TEXT: STEFANIE STADEL
Keine Stadt in Europa könne sich messen mit Köln, was Pracht und Großartigkeit angehe – so schwärmte im 15. Jahrhundert der spätere Papst Pius II. Es zeichne sich aus durch seine Kirchen und Wohnhäuser, seinen Reichtum, seine tüchtigen Bürger. Mit rund 40.000 Einwohnern war Köln damals die größte und bedeutendste Stadt in Deutschland. Beim Blick auf die imposante Silhouette verschlug es den vielen Reisenden, Wallfahrern, Kaufleuten oft die Sprache, wenn sie sich zu Fuß, mit Pferd und Wagen oder per Schiff auf dem Rhein näherten.
Auch heute kommen ständig Besucher her, die meisten zieht es in die Innenstadt. In dem dortigen Gedränge mag es manch einem allerdings bald nach Flucht zu Mute sein. Ganz nahe liegt da der Weg in den Keller des Wallraf-Richartz-Museums, wo man in der Schau »Geheimnisse der Maler« jetzt tief abtauchen kann ins gute alte Kölner Mittelalter.
Doch selbst vor diesem hehren Ort macht das schnöde Hier und Jetzt nicht Halt. In Gestalt einer Fototapete haben sich die Allerwelts-Ladenzeilen von oben nach unten ins Ausstellungsentree geschlichen. Als Einstimmung sozusagen. Denn ausgerechnet dort, wo sich heute die Plastiktütenträger tummeln, hausten vor 600 Jahren die hervorragenden Maler der Stadt. Daher der Name Schildergasse für die Kölner Einkaufsmeile, auch wenn die einstigen Anrainer mit ihren Pinseln natürlich bei weitem nicht nur Schilde verzierten.
WER HAT WAS WIE GEMALT?
Die Bemalung von Fahnen und Vorhängen, Türen, Kästchen und Truhen fiel in ihr Ressort, ebenso wie Buchmalereien. Das alles schafften die Maler neben den vielen Tafelbildern für Kirchen, Klöster oder die Andacht daheim. Das älteste Kölner Museum bewahrt gewichtige Beispiele aus dieser Sparte, die nun auch im Zentrum der aktuellen Ausstellung stehen.
Weit in die Tiefe lässt die Schau einen dringen. Denn es geht nicht nur darum, jene wunderbaren Bild-Beispiele vorzuzeigen. Das ganze Drumherum wird aufgerollt. Wo, wie, unter welchen Bedingungen und mit welchen Hintergedanken sind die Kölner Maler in ihrer Blütezeit zwischen 1380 und 1450 ans Werk gegangen? Wer hat was gemalt? Allein oder im Team? Und wodurch zeichnet sich die Arbeit des einen oder anderen überhaupt aus?
Lauter Fragen, denen die Kunsthistoriker und Kunsttechnologen aus Köln und München in ihrem vom Bundesforschungsministerium unterstützen Projekt seit 2009 nachgegangen sind. Mit Röntgenstrahl, Infrarot und Mikroskop drangen sie weit vor in die Materie und förderten erstaunliche und überraschend viele Neuigkeiten zu Tage – rund um Datierung und Autorschaft, die Anlage manch einer Tafel und die Arbeitstechniken der Maler.
WIE MALTE MAN IM MITTELALTER?
Der Schau nun gelingt es, die zum Teil komplexen und kleinteiligen Untersuchungen und Folgerungen anschaulich und durchaus breitentauglich aufzubereiten. Man beginnt mit einem Blick in die mittelalterliche Malerstube: Wie hat man sich die Arbeit dort vorzustellen? In Zimmern, die wahrscheinlich oftmals noch nicht einmal verglaste Fenster besaßen? Auch ein Ofen war keine Selbstverständlichkeit. Wenn überhaupt geheizt wurde, dann häufiger mit offenem Feuer.
Man hatte also mit Staub und Ruß zu rechnen. Mit mangelndem Licht und vielleicht auch mit Durchzug. Trotzdem zeigt sich unter dem Mikroskop kaum ein Ruß- oder Staubkorn, das die Farben trüben würde. Stattdessen saubere und überaus feine Pinselarbeit, wie sie bei trübem Licht nur schwer denkbar ist. Noch mehr Akribie verlangte gewiss die oft großflächige Vergoldung – wie ein Hauch mussten die überaus feinen Blättchen auf die Leinwand gelegt werden, wobei jede Luftbewegung fatal gewirkt hätte. Bei all den Widrigkeiten wundert einen die Perfektion.
Rätsel gibt auch die Autorschaft auf, denn die Kölner Maler des Spätmittelalters signierten ihre Arbeiten grundsätzlich nicht – weil sie sich weniger als Künstlerpersönlichkeiten, denn als Handwerker sahen. Und vielleicht, so mutmaßt Roland Krischel, Leiter der Mittelalterabteilung am Wallraf, weil sie sich »als Medien der göttlichen Inspiration« fühlten und als Einzelne hinter das Kollektiv zurücktraten. Selbst von dem bis heute berühmtesten Malerstar des Mittelalters, Stefan Lochner, ist kein einziges signiertes Werk überliefert.
ZU FÜNFT AN EINEM BILD
Erschwert wird die Spurensuche dadurch, dass in der verschworenen Kölner Malergemeinschaft die Spezialisierung erstaunlich weit fortgeschritten war und man sich oft zusammen an ein und demselben Werk zu schaffen machte. So erkannten die Forscher beispielsweise in der nach 1418 datierten »Muttergottes mit der Wickenblüte« allein drei Hände, die wohl gleichzeitig an der Punzierung des Goldgrundes gearbeitet haben – das Grundmuster ist dasselbe, doch jeder der drei führte es in der eigenen Handschrift aus. Auch in den Figuren auf den drei Tafeln des Triptychons wurden unterschiedliche Malweisen ausgemacht – was darauf schließen lässt, dass womöglich insgesamt fünf Meister ihre Finger im Spiel hatten.
Um ein paar Ecken verglichen konnten die Außenseiten des Triptychons dem »Meister von St. Laurenz« und das Bild der Muttergottes auf der Mitteltafel dem »Meister der heiligen Veronika« zugeschrieben werden. Diese Identifizierung wiederum bot Anlass für die neue These, dass dieser recht bedeutende Meister zwar nach dem Bild der heiligen Veronika benannt ist, dieses aber wohl gar nicht geschaffen hat.
Nur ein Beispiel für die oft ziemlich verzwickte Zuschreibungsproblematik. Nicht einfacher wird die Sache durch die seinerzeit verbreiteten Musterbücher. Denn dieselben Gesichter oder Gesten in unterschiedlichen Bildern sind durchaus kein Beleg dafür, dass ein und derselbe verantwortlich zeichnet. Es können auch ganz unterschiedliche gewesen sein, die bloß das gleiche Buch benutzt haben. Offensichtlich wird dies in Köln beim Vergleich einer gemalten »Anbetung der Könige«, deren Figuren beinahe identisch sind mit jenen auf einer Glasmalerei.
HAUPTBEISPIEL STEFAN LOCHNER
Wie hielt es Stefan Lochner mit dem Malen allein und im Team? Die Schau widmet dem »Meister ohnegleichen« ein eigenes Kapitel, wo außer den altbekannten Werken ein paar aufschlussreiche Zugaben geboten werden. Neben dem fantastischen »Weltengericht« hängt da etwa die jüngst gemachte Aufnahme einer hochmodernen Infrarot-Kamera. Deutlicher als je zuvor ist darauf die unter der Farbe verborgene Vorzeichnung zu bewundern: Alle Formen und Details scheinen dort haarklein vorgegeben. Und nicht nur das. Auch Licht und Schatten sind mit parallelen oder kreuzweisen Schraffuren so exakt modelliert, dass schon in der Zeichnung ein plastischer Eindruck entsteht. Lauter Eigenheiten, die kaum einen Zweifel lassen – hier war ausschließlich der Meister selbst aktiv.
Auch die malerische Ausführung übernahm Lochner diesmal wohl größtenteils selbst. Nur einige Gesichter zeigen erstaunliche Abweichungen in Malweise, Modellierung und Ausführung der Augenpartie. Vielleicht hat er hier bewusst einem Mitarbeiter den Pinsel übergeben, um die Vielfalt der Formen noch zu steigern.
Und noch eine Überlegung drängt sich mit Blick auf die neusten Untersuchungen auf. So darf man neuerdings vermuten, dass dieses frühe Werk als Mitteltafel eines Triptychons mit Flügeln versehen war, die es zeitweise verhüllten. Vorstellbar wäre auch ein Vorhang, hinter dem es von Zeit zu Zeit verborgen werden konnte. Denn – wie sich zeigte – waren zu Lochners Zeiten Tafeln mit Goldgrund in der Regel nicht permanent sichtbar. Ihr Glanz durfte nur zu bestimmten Gelegenheiten Eindruck machen auf die Gläubigen.
So machten die technologischen Durchleuchtungen an etlichen der alten Tafeln Spuren von Dübeln und Scharnieren sichtbar – Hinweise auf verhüllende Vorrichtungen, die im Zuge der Säkularisation seit dem 19. Jahrhundert demontiert worden sind und sich nun erstmals wieder mit einiger Sicherheit rekonstruieren lassen. Zum Beispielfür den »Kalvarienberg der Familie Wasservass«. Erst in der Röntgenaufnahme des Zierrahmens wurden Löcher und die Reste zwei großer Scharniere erkennbar.
Auch Lochners berühmte »Madonna in der Rosenlaube« zeigte sich wohl nur dann und wann. Den Rest der Zeit ruhte sie hinter einem zweiten Flügel, der heute verloren ist. In der Kölner Schau glänzt sie selbstverständlich unverhüllt. Doch offenbart sich selbst aus nächster Nähe und mit scharfen Augen betrachtet schwerlich ihre malerische Feinheit in all ihrer Fülle.
In Köln helfen extrem vergrößerte Detailaufnahmen, die uns Lochners Kunst ganz nahe bringen: Marias ungemein genau erfasste Brosche, deren Perlen fast greifbar erscheinen. Die zarten, hellen Pünktchen und Häkchen auf den Blättern. Jene rote Blüte, die wohl mit Hilfe eines spitzen Holzstäbchens modelliert wurde. Das Fell der Teufel im »Weltengericht«: mal weich verwischt, mal borstig wie aus der nassen Farbe gekratzt.
Doch trotz all der neuesten technischen Möglichkeiten, die in Köln zum Einsatz kamen, bleibt manch ein Fragezeichen stehen. So ganz werden diese Werke ihr Geheimnis wohl nie preisgeben.
Bis 9. Februar 2014. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud. Tel.: 0221/221 21119. www.museenkoeln.de