INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Das (gemeinsam mit Urbane Künste Ruhr) für ein volles Jahr geplante Stadt- und Kunstfestival »Detroit-Projekt« will Solidarität beweisen, aber auch – Krise ist Chance – neue Formen demokratischer Teilhabe entwickeln. Dazu kommen Künstler, Architekten, Stadtplaner und Wissenschaftler aus den europäischen GM-Standorten Deutschland,
Polen, Spanien und Großbritannien an die Ruhr. K.WEST begleitet »Das Detroit-Projekt« von Anfang an berichtend und beratend. Und spricht zum Auftakt mit dem Historiker und ersten Direktor des Ruhr Museums auf Zollverein, Ulrich Borsdorf, über Opel, Montan und die Stehaufmentalität im Revier.
K.WEST: Opel fährt davon – geht damit eine Ära zu Ende und wenn ja, welche? Oder ist diese Ära längst vorbei?
BORSDORF: Opel ist ein Lehrstück über eine nicht nachhaltig gelungene Art des Strukturwandels. Als sich Ende der 1950er Jahre zum ersten Mal die Krise der Montanindustrie abzeichnete, ging man sofort auf die Suche nach einer ähnlichen Großstruktur, die die schrumpfende Kohlewirtschaft ersetzen könnte. Die fand man in Bochum in einem Nachbarsektor des Montanbereichs, der Autoindustrie. Aber nur dieses eine Mal. Erst viel später hat man begriffen, dass man den Strukturwandel offenbar nur klein und schrittweise vollziehen kann. Insofern ist die Opel-Schließung der allerletzte Akt dieser Phase des Strukturwandels, der großflächig und großvolumig dachte.
K.WEST: Kann es sein, dass alle maßgeblichen Akteure viel zu lange übersehen haben, dass Kohle und Stahl eine historische Einmaligkeit darstellten, die man nicht einfach ausdehnen kann? Ohnehin dauerte diese Phase in Deutschland aufgrund von Krieg und Wiederaufbau länger als anderswo, etwa in den USA.
BORSDORF: In diesem Irrtum waren aber beinah alle befangen. Das rührt aus der althergebrachten Vorstellung her, dass die Montanindustrie eine Schlüsselindustrie sei. Dabei waren schon im Zweiten Weltkrieg deren marode Strukturen im Ruhrgebiet zu erkennen gewesen, schon damals waren die intelligenteren Industrien längst woanders. Hier wurden Stahlplatten produziert, die »Software« in München, zum Beispiel. Der Krieg bildete ein retardierendes Moment für den Niedergang der Montanindustrie, ein weiteres der Koreakrieg. 1958 fing es an zu kriseln, aber da setzte man auf die üblichen Anpassungs- und Erneuerungsmaßnahmen. Dass da ein Zeitalter zu Ende ging, hat niemand begriffen, erst in den 70er Jahren wurde es den ersten bewusst. Und dann ging es los mit der Organisierung des Abschiedsschmerzes bei jeder Zechenschließung: der letzte Kohlenwagen, die letzte Fahrt!
K.WEST: Das wurde tatsächlich wie ein Abschied von den Eltern zelebriert. Aber statt nun zu sagen: Ich bin selbst erwachsen, hat sich das Ruhrgebiet ganz schnell nach neuen Eltern umgesehen. Opel zum Beispiel. Und jetzt haben die uns ebenfalls verlassen! Das hat auch etwas Unreifes.
BORSDORF: Was passiert jetzt eigentlich mit dem riesigen Gelände von Opel, 1,6 Millionen Quadratmeter? Wem gehört dieser Teil der Erdoberfläche? In den 1960er Jahren hat die Stadt Bochum mehrere Millionen DM investieren müssen, um das Gelände herzurichten und es den Alt-eigentümern, einer Zeche, abzukaufen. An General Motors wurde es dann zu einem Bruchteil weiterverkauft. Juristisch gehört es sicherlich GM, politisch, moralisch, historisch aber müsste es in die Allmende des Gemeinwesens zurück fallen.
K.WEST: Damit was damit passiert?
BORSDORF: Es kann und darf ja nicht sein, dass jetzt aus allen möglichen Ecken jemand herbei rennt und dies und das dort hinmachen will, das größte Autohaus der Welt zum Beispiel. Gut wäre eine raumordnungspolitische Instanz, stark genug, um einen Prozess des Nachdenkens und Planens in Gang zu setzen, meinetwegen mit Hilfe des Landes und des Bundes. Auch da könnten IBA Emscherpark und Stiftung Industriedenkmalpflege Vorbild sein: Das heißt, erst mal den Komplex übernehmen und ihn dem Verwertungsdruck entziehen, um der Gesellschaft Zeit zu geben nachzudenken, fünf bis zehn Jahre Zeit. Ich träume von einem demokratischen Prozess, an dem wie in Isohypsen der Betroffenheit das ganze Ruhrgebiet teilnimmt. Als eine Lehre aus Stuttgart 21 und angelehnt an die Arbeitsplattform »Bochum Perspektive 2022«, die sich mit dem Opel-Standort befasst, könnte man das Ganze doch »Bochum 22« taufen und in diesen acht Jahren herausfinden, was man mit dem Gelände machen will, wie die ökologischen und ökonomischen Ansprüche der Menschen berücksichtig werden usw.
K.WEST: Strukturwandel, Stuttgart 21, Opelschließung als Chance, ganz neue Formen der demokratischen Teilhabe zu finden?
BORSDORF: Man sollte – zeitgleich mit den anderen Planungsprozessen – ausgewählten, am Gemeinwohl orientierten Gruppen, die vielleicht durch einen Wettbewerb legitimiert wurden, Geld in die Hand geben und sie es selbst verwalten lassen für ein Projekt, das mit der Neunutzung des Geländes zusammenhängt. Ich weiß von einem Nachbarschaftsideen fördernden Wettbewerb der Montag Stiftung, wie bedacht und klug Menschen in Sachen Asyl, Ökologie, gemeinsame Produktion usw. denken und planen können. Wenn man sie lässt.
K.WEST: Die Mentalität der Menschen im Ruhrgebiet ist stark geprägt von der Industrie und der Arbeit dort, positiv wie negativ. Droht eigentlich – noch einmal verstärkt durch die Opel-Schließung – ein Mentalitätsbruch, ein Identitätsverlust mit allen sozialen Folgen?
BORSDORF: Die Werksschließung ist sicherlich ein schwerer Schlag für die Bochumer Identität. Aber wohl nicht für das ganze Ruhrgebiet. In dem demokratischen Planungsprozess, den ich fantasiert habe, müsste diese Frage der identitären Klammer eine Rolle spielen. Auch wenn man jetzt nicht jedes Identitätsbegehren mit der Gründung eines Museums beantworten kann. (Lacht.)
K.WEST: Die berühmte Mentalität der Ruhris, ist sie erschüttert, wankt sie gar?
BORSDORF: Ich glaube auch, dass es diese Mentalität gibt, selbst wenn Vieles daran schönes Vorurteil ist. Und es gibt ihre Schattenseite, wo es üblich war zu sagen: Der Betriebsrat oder Knappschaftsälteste richtet das, und wir helfen ihm dabei. Passiver Paternalismus. Aber das Positive, die Direktheit, der Pragmatismus, das Zupackenkönnen, die selbstverständliche Solidarität, das lässt sich, davon bin ich überzeugt, zu einer modernen Partizipationsfähigkeit umbauen. Die Chance dazu ist mental da, denn das Ruhrgebiet besitzt heute dank der Gründung der fünf Unis ein breites Ausbildungsbürgertum – Ausbildungsbürgertum, weil es kein gewachsenes Bildungsbürgertum ist. Das gehört übrigens historisch zusammen: die Ansiedlung von Opel und die Gründung der Ruhr Universität, keine zwei Kilometer daneben. Das sind zwei Versuche der Neuorientierung in den 1960er Jahren. Die eine ist mittelfristig gescheitert, die andere hat eine nachhaltige Wirkung gehabt. Die RUB muss unbedingt an der Nach-Opel-Planung beteiligt werden.
K.WEST: Wie?
BORSDORF: Die RUB hat mich gefragt, ob ich ihr zum 50-jährigen Jubiläum 2015 eine Ausstellung ausrichte. Das finde ich aber nicht so spannend, dagegen ist meine etwas spinnerte Idee die, ein Montageband von Opel als Ausstellungsparcour einzusetzen. Das wäre etwas, was ich schon immer mal wollte: Das Publikum steht oder sitzt, und die Objekte kommen vorbeigefahren. Voraussetzung wäre natürlich, es gibt diese Bänder dann noch und die RUB könnte Opel dafür gewinnen.
K.WEST: Tolle Idee.
BORSDORF: Die könnte dem Schauspiel Bochum doch auch gefallen.
K.WEST: Bestimmt. Ich würde auch eine Art Fest gut finden, ein Trotzfest nach dem Motto: Jetzt erst recht! Und für Opel den Stinkefinger.
BORSDORF: »Mach vòran!« wäre eine schöne Parole. Mit der revier-typischen Betonung auf dem vor. Also: Vor der Hacke ist es duster, aber man hackt eben doch. Und so ein Fest, oder ein festlicher ziviler Aufstand zur Schließung des Opelwerks könnte auch ein gutes Mentalitätsthermometer sein. Vielleicht müssen die Stadtplaner und Wirtschaftsförderer jetzt ganz schnell Dinge tun, die sie nachher bereuen. Aber für die Wissenschaftler und Künstler lautet das Geschäft doch: Produktive Skepsis und optimistischer Zweifel!
Auftakt des Detroit-Projekts mit Fest und Symposium 10. bis 12. Oktober 2013. www.schauspielhausbochum.de