TEXT: NICOLE STRECKER
Der Körper – er kann ein Unort sein. Eine Art Transitraum zwischen zwei Erfüllungen: entweder ganz Mann oder ganz Frau zu sein. Wie für die Kubanerin Melissa. Mehr als 20 Jahre lebte sie im männlichen ›Unort‹, sie, die in ihrem Denken und Fühlen immer weiblich war. Ein »ID-Clash« – so haben die beiden Kölner Künstler Angie Hiesl und Roland Kaiser diesen Zusammenprall genannt, diese Diskrepanz zwischen Physis einerseits und Psyche und Intellekt andererseits. Wenige Wochen vor der Premiere des so benannten Stückes liegt Melissa nun in einem Krefelder Krankenhaus. Es werde, verrät Hiesl, gerade die »zweite geschlechtsangleichende Operation« durchgeführt. Wenn sie dann, befreit von den Attributen des Mannes, zu den Proben dazu stößt, werden Angie Hiesl und Roland Kaiser diesen versehrt-veränderten Körper in ein kleines Glashaus setzen. Als kostbares Schauobjekt. Als Exempel für kultivierte Natur.
»Was heißt das: in einem falschen Körper, verunortet in sich selber zu sein?«, so lautet die Ausgangsfrage für Hiesls/Kaisers neues Projekt. Wie immer in den seit 1997 gemeinsam realisierten Performances geht das Künstlerpaar vom Leib aus, und wie immer inszenieren sie am theaterfernen Ort. In der Vergangenheit haben die beiden schon aus dem schmuddeligen Kölner Rotlichtmilieu am Hauptbahnhof ein schön-schauriges Chinatown mit roten Lampions und brutal-autoritärer Überwachung gemacht. Oder sie verwandelten eine Industriebrache in eine archäologische Zone, in der der Zuschauer unverhofft auf rostige Relikte seiner gegenwärtigen Zivilisation stieß. Situationsspezifische Aktionen mit Kunst als Störung, als sinnenöffnende Unterbrechung im – meist hässlichen – Alltag.
BESCHNITTENE NATUR
Diesmal ist es eine städtische Gärtnerei in Köln-Poll. Gigantische Gewächshäuser auf großem Areal. Ein Ort, an dem die Natur gezüchtet, beschnitten, umgetopft wird. Hier werden neben der Kubanerin Melissa vier weitere transidente Frauen Biografisches preisgeben. Sie werden Gefühlslagen in Bilder verwandeln, ihre Körper inszenieren – chirurgisch, hormonell geformte Körper. Und sie werden ihren sozialen Status in ihrer jeweiligen Heimat reflektieren – etwa die Kultur der Hijras. Für unser Tertium non datur-Menschenbild fremd, gibt es in Südasien eine jahrtausendealte Transgender-Tradition. Schon Texte in Sanskrit erzählen vom Dritten Geschlecht – bis die Briten kamen und aus der östlichen Dreiheit einen westlichen Dualismus machten, aus Hijras amtliche Männer. Heute leben diese Transgender-Frauen am Rande der Gesellschaft, oftmals als Prostituierte, sind geächtet – und werden doch zu Festen eingeladen, um Segnungen auszusprechen. Zwei Hijrahs haben Hiesl/Kaiser bei einem Workshop in Bangladesch ›gecastet‹. In ihrer Heimat sind sie Choreografinnen für folkloristischen Tanz und Polit-Aktivistinnen für die Sache der Hijras. In einem der Gewächshäuser tänzeln sie nun mit schnörkeligen Armbewegungen um silbern-glitzernde Wasserkrüge herum, singen, lächeln immerzu, klatschen mit abgespreizten Fingern in die Hände. Anmutig, empfindsam, devot – weiblich?
»ID-Clash«, Vorstellungen vom 10. bis 12. und 17. bis 19. Oktober 2013 um 18 Uhr in der Kölner Stadtgärtnerei, Am Grauen Stein 26, Köln. www.angiehiesl.de