INTERVIEW: MICHAEL STRUCK-SCHLOEN
Das Chefbüro im Aalto-Musiktheater hat sich verändert. Wo vor nicht langer Zeit der Intendant und Generalmusikdirektor Stefan Soltesz im abgewetzten Sofa hing und sich eine Zigarette nach der anderen ansteckte, herrschen jetzt Reinheit und geschäftliche Sachlichkeit. Sofort wird klar: Der Künstlerintendant hat das Haus verlassen, ein Manager ist eingezogen. Hein Mulders, gebürtiger Niederländer, 52 Jahre alt, scheint extrem entspannt. Seit dieser Spielzeit ist Mulders Intendant von Oper und Philharmonie in Essen. Ein schweres Erbe nach 16 Jahren Soltesz, der die Essener Philharmoniker in ein Spitzenorchester verwan-delt und die Stadt in finanziell schwierigen Zeiten verlassen hat. Das Dirigieren überlasst Mulders dem hochbegabten Tschechen Tomáš Netopil, der in seiner ersten Spielzeit als GMD in Essen mit Verdi und Janáček debütiert. Ein Gespräch über Mozart, italienisches Parfüm, tschechische Musik, Programmatik, Ensemble- und Geld-Politik und den Repertoire-Betrieb.
K.WEST: Wie lange kennen Sie sich?
MULDERS: Eigentlich nicht sehr lange …
NETOPIL: Ich habe einige Male in Essen dirigiert, also das Orchester kennt mich schon. Aber engeren Kontakt mit Hein gibt es erst seit meiner Ernennung zum Chefdirigenten.
K.WEST: Hatte das Orchester ein Mitspracherecht?
MULDERS: Nicht direkt, wir entscheiden. Aber es ist natürlich wichtig zu wissen, ob es mit dem Orchester funkt. Der Funke ist übergesprungen, und so kamen wir zusammen.
K.WEST: Gibt es denn einen gemeinsamen Musikgeschmack, gemeinsame Interessen?
NETOPIL: Doch, sehr, was die Planung der kommenden Spielzeiten sehr vereinfacht hat. Wir haben ähnliche Ideen, wie sich Oper und Konzert programmatisch verbinden lassen.
MULDERS: Zum Beispiel haben wir uns sehr schnell bei unserer Liebe zu Mozart gefunden. Bisher lag hier der Schwerpunkt eher bei Strauss und Wagner. Tomáš hat in Prag viel Mozart dirigiert, und als Landsmann von Dvořák und Smetana liebt er das slawische Repertoire. Natürlich muss ein GMD ein breites Repertoire haben, deshalb starten wir mit Verdis »Macbeth« und halten auch sonst die stilistische Bandbreite groß. Aber Mozart und slawische Stücke werden in Zukunft miteinen roten Faden bilden. Tomáš dirigiert zwei von fünf Neuproduktionen; in der übrigen Zeit kann er seine internationale Karriere verfolgen.
NETOPIL: Neu für Essen ist, dass wir mehr Gastdirigenten eine Chance geben wollen. Ich beginne mit Verdi, dirigiere die Wiederaufnahme von Wagners »Holländer« und die Premiere von Janáčeks »Jenůfa«.
MULDERS: … und »Don Giovanni«!
NETOPIL: Stimmt, dazu kommen die Konzerte – das ergibt ungefähr viereinhalb Monate Anwesenheit in Essen.
K.WEST: Wie verstehen Sie die Rolle des Chefdirigenten zwischen Zuchtmeister und Familienvater?
NETOPIL: Wesentliche Erfahrungen habe ich gerade als Musikdirektor des Nationaltheaters in Prag gemacht; aber an der Moldau ist das Orchester doppelt so groß wie hier und muss zwei Häuser bespielen. In Essen sehe ich mehr Möglichkeiten, die Qualität des Orchesters zu beeinflussen, weil wir zusammen in der Oper und auf dem Konzertpodium arbeiten, was ich als großen Luxus empfinde. Wir spielen also Musik von Mozart bis hin zu Musik des 20. Jahrhunderts – und eben Oper. Sehr verlockend.
K.WEST: Stefan Soltesz hat die Qualität der Philharmoniker gestärkt, aber vor allem im romantischen Repertoire. Welche Klangvorstellungen haben Sie?
NETOPIL: Im Moment kümmern wir uns um Verdi: Da spielen sie sehr schön, aber ich brauche mehr italienisches Parfüm. Außerdem würde ich gern den klassischen Stil intensivieren und dem Publikum die tschechische Musik nahebringen – keinen Mainstream, sondern Meister wie Vořišek, Josef Suk oder Karel Husa, die hier kaum einer kennt.
MULDERS: Wir werden in Zukunft das Opern- und Konzertprogramm viel stärker miteinander verknüpfen. Parallel zur Premiere des »Macbeth« gibt es in der Philharmonie zu Verdis 200. Geburtstag das Requiem; das Schauspiel bietet in seiner Eröffnungspremiere den Vergleich mit dem Original von Shakespeare. Ähnlich wollen wir bei den übrigen vier Neuproduktionen die Programme der Oper und der übrigen Häuser abzustimmen.
K.WEST: Herr Mulders, als Intendant sind Sie Debütant. Wie sind Sie überhaupt zur Oper gekommen?
MULDERS: Ich habe Kunstgeschichte studiert, aber schon als Kind die Musik und das Klavier geliebt. Das Klavierstudium dauerte allerdings nur ein Jahr – dann wurde mir klar, dass man das monoman machen muss, um über den Durchschnitt hinauszuwachsen. Immerhin: es hat mein Herz geöffnet für die Musik. Und dann kam die Leidenschaft für Oper. In meinen Jahren als Betriebsdirektor an der Flämischen Oper in Antwerpen und in Amsterdam haben die Leute schon gesagt: Du wirst bestimmt Intendant. Ich habe mich auf der zweiten Position eigentlich ganz wohl gefühlt, aber nach 18 Jahren Oper kommt man doch an den Punkt: Jetzt wäre es schön, auch selbst mal was zu machen. Dann kam ein Anruf aus Essen, und alles ging ganz schnell.
K.WEST: Als Intendant haben Sie zuerst das Essener Solistenensemble ausgetauscht …
MULDERS: Nur zum Teil. Wir haben zehn Sänger übernommen und neun frisch engagiert. Andere Solisten wie die wunderbare Sopranistin Simona Šaturová haben wir als ständige Gäste ans Haus gebunden. Überhaupt ist unser Konzept, die Sänger nicht allzu lange zu halten. Ich will Ausnahmetalente, die am Anfang ihrer Weltkarriere stehen – aber von denen wir wissen, dass sie das Haus in zwei, drei Jahren wieder verlassen werden. Danach können wir hier wieder frisches Blut injizieren. Das ist mir lieber, als wenn die Sänger im Ensemble über-wintern, ohne wirklich gefordert zu werden.
K.WEST: Herr Netopil, wie verlief Ihre bisherige Dirigentenkarriere?
NETOPIL: Ich komme aus Mähren, aus einer kleinen Stadt nahe Brünn, und habe Geige am Konservatorium studiert. Dirigieren musste ich eher heimlich lernen, denn mein Geigenlehrer war Konzertmeister im Orchester und hasste alle Dirigenten. Ich wohne heute immer noch in Mähren. Danach habe ich fünf Jahre lang in Prag Dirigieren studiert, später in Schweden und den USA.
K.WEST: Liegt Ihnen das deutsche Repertoiretheater?
NETOPIL: Ich kenne es ganz gut aus Prag. Da lagen zwischen den Vorstellungen eines, sagen wir, »Don Giovanni« oft Wochen und Monate, während in der übrigen Zeit viele andere Stücke gespielt wurden. Das kann sich ohne Qualitäts-verluste nur ein sehr gutes Haus leisten.
K.WEST: Herr Mulders, sind das die Gründe, weshalb Sie das deutsche Repertoiresystem ablehnen und lieber einen En-suite-Spielplan sähen?
MULDERS: Es heißt immer, dass jetzt der Stagione-Mann kommt, aber das stimmt nicht. Das System funktioniert hier bestens, warum sollte ich etwas daran ändern? Meine Abneigung gegen das Repertoiresystem richtet sich nur gegen schlechte, ungeprobte Vorstellungen, in denen irgendwelche Gastsänger auf die Bühne geworfen wurden. Aber das ist hier nicht der Fall.
NETOPIL: Für Essen wäre das Stagione-System ohnehin nicht geeignet, weil es kein touristisches Zentrum ist wie Paris, Amsterdam oder Prag. Was wir ändern wollen, ist eher die Verknüpfung von Oper, Konzert und Schauspiel.
K.WEST: Sie sind aus Antwerpen und Amsterdam eine eher internationale Klientel gewohnt. Für wen spielen Sie am Aalto?
MULDERS: Natürlich für das Essener Publikum und knüpfen dabei an eine Tradition an, die schon vorhanden ist. Wir müssen hier das Rad nicht neu erfinden. Das Feuilleton will halt immer neue Produktionen sehen, aber wir bringen nicht nur Neuproduktionen, sondern mit »Jenůfa« auch einen Klassiker von Robert Carsen, einem international gefeierten Regisseur. Ich finde es wichtig, dass man dem Essener Publi-kum mal eine Carsen-Produktion anbieten kann. Ihn selbst herzubekommen, ist un-realistisch. Wir können ihn nicht bezahlen, und bis 2018 ist er ohnehin ausgebucht. Von Christof Loy, der aus Essen stammt, aber auch auf Jahre ausgebucht ist, bekommen wir Bellinis »Straniera« als Koproduktion mit Zürich und Wien. Allein könnten wir uns dasnicht leisten.
K.WEST: Essen hatte fast 20 Jahre lang eine eigenwillige Doppelspitze: Intendant und Chefdirigent in einer Person. Jetzt gibt es wiedereine Doppelspitze, wobei der Opernintendant Mulders auch Chef der Philharmonie-Konzerte und Intendant der Essener Philharmoniker ist. Warum ist man nicht beim Typ des Künstler-Intendanten geblieben?
MULDERS: Künstler und Organisator, das ist eine starke Belastung, die kein Künstler wirklich tragen will. (Zu Netopil:) Und ich glaube, Du findest es auch gut, wenn Deine künstlerische Arbeit ohne den alltäglichen Organisationskram auskommt. Außerdem hat man als Manager etwas mehr Abstand, so dass man nicht in jede Entscheidung seine eigenen künstlerischen Interessen hineinmischen muss. Spürbar ist jetzt schon, dass es mit dem Konzerthaus logistisch viel besser läuft.
K.WEST: Aber Sie haben mehr zu tun als in Antwerpen oder Amsterdam?
MULDERS: Wahnsinnig viel mehr. Aber ich war selbst 18 Jahre der zweite Mann – ich weiß also, wie wichtig es ist, ein gutes Team zu haben. Ich muss lernen zu delegieren, das ist klar. Andererseits möchte ich die künstlerische Seite auch in Zukunft nicht missen. Ich werde mich sicher immer in künstlerische Fragen einmischen – aber das war bei Soltesz ebenso.
K.WEST: Bei Ihrem Engagement ging Ihnen der Ruf eines Sparintendanten voraus. Wo wollen Sie denn noch knapsen?
MULDERS: Es gibt nichts mehr zu sparen, und wir müssen sehr aufpassen, dass es damit endlich aufhört. Wir haben in der Verwaltung gespart, haben Presse und Marketing zentralisiert, vieles mehr. Für mich ist der Punkt erreicht, wo es nicht mehr weitergeht.