TEXT: MELANIE SUCHY
Entkleidete Menschen auf Theaterbühnen sind ja nichts Neues. Doch viele Zuschauer empfinden die Nackigen immer noch als Provokation, vermuten pseudomodernes Grenzüberschreitungsgehabe oder die Unfähigkeit, Entblößung mit anderen Mitteln darzustellen. Doch kein Regisseur oder Choreograf sagt heutzutage, er wolle mit freigelegten Geschlechtsteilen provozieren. Dafür sind die Herren und Damen Künstler zu gebildet. Sie haben komplexere Gründe und hüllen sich erklärend in die schicken Pelze der Theorien, gesellschaftskritischen und kunsthistorischen Diskurse.
Wenn der Diskurs nicht gleich wie ein Mäntelchen mitgeliefert wird, ist ihre Kunst auf der Bühne im doppelten Sinne nackt. Das sichtlich Reduzierte spricht selbst. Immer geht es dabei auch um den Blick des Zuschauers aufs Präsentierte, aufs Präsentieren, Repräsentieren; auf das, was ein Körper als Körper sein kann, soll, will, darf; um Erwartungen, Erfahrungen und Vorbildungen.
Die Aufführungsreihe »Public Bodies« im Forum Freies Theater in Düsseldorf widmet sich solchen Fragen und umfasst Werke dreier Künstlerinnen. Im Juni zeigte Keren Levi bereits ihr »Dry Piece«, das hübsche nackte Frauen zu Ornamenten formt, die von einer Live-Kamera aufgenommen und projiziert an alte Busby-Berkeley-Filme erinnern – nur ohne Wasser. Die schöne Ordnung löst sich auf in Fragmente, Splitterbilder, Körperteile.
Florentina Holzinger spielt von vornherein mit dem Unperfekten. Ihr Stück »Wellness« kommt im November im FFT heraus. Der Titel deutet schon an, dass etwas nicht gut genug ist. Die 1986 geborene Wienerin hat in Amsterdam Choreografie studiert, gewann bei ImpulsTanz in Wien 2012 einen Preis und tourt schon viel. »Kein Applaus für Scheiße«, das sie zusammen mit ihrem Bühnenpartner Vincent Riebeek entwickelt hat, gastierte im Mai im FFT. Ihnen geht es ums Wohlsein, ums Gut-sein-Wollen. In ihrem Stück »Spirit« waren gebatikte Hippiegewänder und Posen wie von Fotos des frühen, frohen, freien Ausdruckstanzes zu sehen. Und ab und an gab der hochgerutschte Rocksaum rot oder blau gefärbte Schamhaare frei.
»We are just here to please the audience«, plauderte Holzinger in »Kein Applaus« von ihrem Akrobatiktuch herab. Also ist alles Show. Sie vermengen Ernst, Unsinn, Ironie bis zur Unkenntlichkeit. Bedienen sich aus der Kulturgeschichte, entnehmen Gemälden dekadente Posen mit Träubchen, heutiger Sexreklame das Räkeln (der Mann gibt hier die Frau). Zirkus, plumper Tanz, plumpe Dialoge, inbrünstig mitgesungene Popsongs, dazu Masken, Perücken. Ob echt, eigen, authentisch oder zitiert, ist gar nicht das Thema. Sie fressen alles, wie den roten Faden, den sie andächtig kauen und den Florentina Holzinger aus ihrer Vagina zieht wie die Performancekünstlerin Carolee Schneemann 1975 ein Bändel mit Text und feministischem Anspruch. Alles schon mal dagewesen. Nur diese Körper nicht.
Viel wuchtiger gehen im September die Mittvierzigerin Claudia Bosse und ihr theatercombinat aus Wien das Körper-Thema an in »Designed Desires«. Zwölf Darsteller lungern und wüten in mehreren Räumen, demonstrieren für Nichts mit weißen Schildern, erzählen von sich, ihren Körpern, und sprechen philosophische Sätze von Plato bis Christoph Menke. Ihre Stimmen tönen zuweilen getrennt von ihnen aus Lautsprechern. Verlust des Privaten: Hier schwingt Kritik an Macht, Markt und Manipulation noch mit. Ein letztes Aufbäumen?
»Designed Desires« von »theatercombinat« am 27. und 28. September 2013 im Venus & Apoll, Düsseldorf. »Wellness« von Florentina Holzinger und Vincent Riebeek am 22. und 23. November 2013 im FFT Juta.