TEXT: STEFANIE STADEL
Eine »märchenhafte Stimmung«: die Fahrt über die Felder im Nebel, dann das verwunschene Wasserschloss. Es war ein kühler Montag im Januar, als Katharina Sieverding zum Ortstermin nach Moyland kam. Noch immer nicht sicher, ob sie die Anregung der Museumsleitung tatsächlich aufnehmen sollte. Ob sie wirklich mit einer Einzel-Ausstellung hier einziehen wollte. War ihr das Schloss doch noch immer suspekt. Vor allem, weil Joseph Beuys – oder besser die weltweit größte Sammlung seiner Arbeiten – hier zu Hause ist. Sieverding hatte einst in Düsseldorf bei der Künstlerlegende studiert und weiß, wie hartnäckig sich ein solch prominenter Lehrer in der eigenen Vita festsetzen kann. Die Schau in Beuys’ Hauptquartier könnte dem eigenen Schüler-Image leicht Vorschub leisten, so ihre Befürchtung.
Als weiterer Grund für Sieverdings langes Zögern kommt so etwas wie Ehrfurcht vor dem Künstler, Lehrer, Menschen hinzu – es bedürfe schon einiger Anstrengungen, dem »Beuys-Fort-Knox« gerecht zu werden. Doch nach dem Besuch im Winter wollte die Künstlerin es wagen. Wenig später begab sie sich ans multimediale Werk mit dem erklärten Vorsatz, das Solo zu einem »Glanzpunkt« auf Schloss Moyland werden zu lassen.
IN DER FACTORY
Die Arbeit ist nun getan, der Nebel hat sich längst gelichtet. Stattdessen sengende Sommer-Sonne – zuerst in Bedburg-Hau, wo Sieverdings Schau inzwischen angelaufen ist. Und anschließend in Düsseldorf, wo die Künstlerin seit Jahrzehnten lebt. Auf dem Rückweg vom Ausstellungsbesuch am Niederrhein trifft man sie dort im Hinterhaus-Loft, der »Factory«. Ganz in schwarz, das rote Haar streng nach hinten frisiert und zum Zopf gebunden – eben so, wie sie bekannt ist aus unzähligen Selbstbildnissen. Zwischen etlichen Festplatten, großen Monitoren, imposanten Druckmaschinen spricht die bald 70-Jährige über ihr Werk im Allgemeinen und über die Schau im Besonderen.
»Weltlinie 1968 – 2013« – der Ausstellungstitel klingt nach Retrospektive. Auch das Faltblatt kündigt die »große Überblicksschau« an. Ist das in Sieverdings Sinne? Sie holt tief Luft und dreht die Augen gen Himmel – nein, offenbar ganz und gar nicht. Vielmehr empfinde sie ihren Auftritt als Groß-Installation. Und so mutet das dichte, ausgetüftelte Arrangement auch an.
Indem es auf alte Arbeiten zurückgreift, sie in neue Formate oder Medien überführt und mit ganz neuen zusammenbringt, sagt es sehr viel über Sieverdings Werk. So einiges kommt darin zusammen: Foto, Film, Installation. Selbstfotografierte und vorgefundene Bilder. Reflexionen über das Individuum und den Kosmos, politische und gesellschaftliche Fragestellungen, Bilder aus den Massenmedien, Aufnahmen, die dem medizinischen und naturwissenschaftlichen Kontext entstammen. Und natürlich immer wieder fotografische Selbstporträts als Projektionsfläche, auf vielfältige Weise verfremdet, oft schwankend zwischen Gesicht und Maske.
ALLES KREIST UM DIE SONNE
Nichts davon fehlt auf Schloss Moyland, und alles kreist – wie so oft bei Sieverding – um die Sonne. Diesmal gibt sie sich allerdings nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Kein gleißendes Licht, kein loderndes Rot. In Sieverdings jüngster, erst kurz vor der Schau vollendeter Arbeit zeigt sich das Gestirn stattdessen in erfrischendem Blau.
Drei Jahre lang habe sie tagtäglich Daten aus dem Internet geladen, Bilder einer Weltraummission der NASA, die Strahlungs- und Oberflächenphänomene der Sonne untersucht. Am Ende waren es über 100.000 Aufnahmen, aus denen die Künstlerin ihren faszinierenden Film zusammengesetzt hat. Die vier mal vier Meter große Projektion an der Stirnwand des zentralen Ausstellungssaals ist Kern und Höhepunkt ihrer Ausstellung. Hätte man die Muße, so könnte man der blauen Sonne über zwei Stunden beim Kreisen zusehen, würde immer wieder leuchtende Eruptionen erkennen und dabei den rein wissenschaftlichen Hintergrund des ästhetisch überaus einnehmenden Schauspiels wahrscheinlich schnell vergessen.
Der paradoxe Titel des Werks, »Die Sonne um Mitternacht schauen«, führt weit zurück: Bereits in den frühen 70ern hatte Sieverding eine Fotoserie mit riesigen, verfremdeten Selbstporträts so genannt und dabei ein ganz konkretes Erlebnis vor Augen. »Damals habe ich oft nachts gearbeitet, weil man da die meiste Ruhe hat. Es gab immer wieder überraschende Erlebnisse in der Dunkelkammer, wenn sich auf dem Fotopapier plötzlich das Bild offenbarte.« Daneben schwingen, laut Sieverding, auch antike Sonnenmysterien im Titel mit. Eingeweihte hätten die Sonne durch die Erde hindurch imaginiert. »Diese Übung finde ich großartig – weg von dem ganzen Sonnenkult, wie wir ihn betreiben«.
GEKONNTES RECYCLING
Im zentralen Saal gruppieren sich vier weitere Großprojektionen um das Gestirn, gespeist durch Arbeiten aus den vergangenen vier Jahrzehnten. Vor allem Papierarbeiten, die Sieverding eingescannt hat, um sie nun schwerelos und in Großformat an den Wänden gleichsam zum Schweben zu bringen. In unterschiedlichem Takt wechseln die Bilder und lassen, wie im Zeitraffer, Bekanntes vorüberrauschen – so sieht gekonntes Recycling aus.
Man wird erinnert an jenen frühen Film »Live-Death«, in dem die Künstlerin mit einem leuchtend roten Mantel hantiert, dann an die Fotoserie »Transformer«, wo sie 1973 das eigene Porträt mit dem ihres Partners Klaus Mettig verschmelzen lässt. Oder auch an »die Sonne um Mitternacht schauen« in der ersten Fassung mit dem ikonisch vergoldeten Konterfei der Künstlerin.
Immer wieder einmal griff Sieverding für ihre Werke nach medizinischem Bildmaterial – es liegt auch nicht ganz fern. Als Arzttochter hatte sie es 1963 selbst mit dem Studium der Medizin versucht, sich aber gleichzeitig an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg eingeschrieben, wo es ihr allerdings bald langweilig wurde. Spannender fand Sieverding den Malersaal des Hamburger Schauspielhauses. Zunächst wählte sie deshalb das Theater als Schule, wechselte dann nach Düsseldorf in die Klasse des Bühnenbildners Teo Otto, wo Beuys auf sie aufmerksam wurde und die junge Frau in den eigenen Bannkreis zog.
RÜCKGRIFF AUFS ARCHIV
Ganz spurlos scheint die Theater-Phase nicht an ihr vorübergegangen zu sein. Durchaus möglich, dass aus dieser Zeit ihr Hang zur wirkungsvollen Inszenierung herrührt, der nun auch auf Schloss Moyland beeindruckt. Alles hängt zusammen: Die Sonne als Dreh- und Angelpunkt, dazu der konzentrierte Blick übers Schaffen der vergangenen Jahrzehnte. Und schließlich die Präsentation in den seitlichen Korridoren der Ausstellungshalle: Hier zeigt Sieverding aktuelle Arbeiten, die ihre »Weltlinie 1968 – 2013« ergänzen und vervollständigen – das im Zentrum konzentrierte künstlerische Werk »historisch oder massenmedial verorten«, wie sie sagt.
Für ihren persönlichen Rückblick auf ausgewählte Ereignisse und Persönlichkeiten seit den 70ern greift die Künstlerin vor allem auf Druckerzeugnisse aus dem eigenen, reichen Archiv zurück. Für den Auftritt in Bedburg-Hau hat sie die Kisten erstmals geöffnet und abgelichtet. Man schaut mit Sieverdings Kamera in Kartons voller Einladungskarten und auf Spiegel-Ausgaben aus vier Jahrzehnten, die Stapel so geordnet, dass obenauf immer zwei in Inhalt und Kombination prägnante Cover zum Liegen kommen. Während etwa links »E.T. Das kleine Monster aus dem All« posiert, drängt sich rechts die Frage nach den »Flick-Millionen« in den Vordergrund. Oder während auf der einen Seite unter der Schlagzeile »Kommunismus heute« Hammer und Meißel rosten und brechen, geht es auf der anderen um den »Aufruhr in China«.
Klar ist Sieverding das ewige Beuys-Schüler-Dasein leid, doch an ihrer Verbundenheit zum alten Lehrer ändert das nichts. Auch die Gemeinsamkeiten bleiben: Es ist jene eigenartige Verquickung von Kunst und Politik, von Individuum und Gesellschaft, Mystik und Tagesgeschehen, die, bei Beuys angelegt, sich nun auch auf Sieverdings Moylander »Weltlinie« klar abzeichnet.
Zu Recht schaut die Künstlerin zufrieden auf die Ergebnisse ihrer Anstrengungen der letzten Wochen und Monate. »Für mich war dieses Projekt eine große Herausforderung«, so ihr Resümee. Doch abschließend könne sie wohl sagen, dass die Gesamtinstallation in dieser Form an diesem Ort optimal gelungen ist. Und noch etwas: Zwar habe sie mit Beuys nie über »die Sonne um Mitternacht« gesprochen. Doch Sieverding ist sich ganz sicher: »Er hätte sofort kapiert, was dieser Satz bedeutet«.
Museum Schloss Moyland, Bedburg-Hau, bis 24. November 2013. Tel.: 02824/951027. www.moyland.de