INTERVIEW: ANDREAS WILINK
Die eine Sonnenblume auf dem Fensterbrett tut not in dem trostlosen Büroraum auf Kölns Gürzenich-Straße inmitten der Fußgängerzone; dazu ein historisches Plakat vom Carlswerk, dem ehemaligen Industriegelände in Köln-Mülheim, wohin das Schauspiel während der Sanierung des Stammhauses am Offenplatz zieht; auf Stefan Bachmanns Schreibtisch liegt seine derzeitige »Bibel«, in Weiß gebunden: »Der Streik«, Roman von Any Rand. Als wir uns treffen, steht das Team kurz vor dem Umzug in das von der City entfernte, räumlich großzügig gestaltete »Depot« mit zwei separaten Spielstätten. Draußen vor der Tür dient die Anlage eines Offenen Gartens der Begrünungund pflanzt programmatisch einen Sämling für bürgerschaftliches Wachstum im urbanen melting pot Mülheim.
K.WEST: Herr Bachmann, haben Sie einen grünen Daumen?
BACHMANN: Ich weiß nicht, ob ich einen habe, meine Frau hat einen, auf jeden Fall. Bei dem Garten-Projekt arbeiten wir mit den »Prinzessinnen-Gärten« in Berlin zusammen, europaweit das Vorzeige-Urban-Gardening-Projekt, die uns einiges an Know-how zur Verfügung gestellt haben. Es geht ja nicht nur um das Pflanzen an sich, sondern um eine soziale Komponente. Die erblassen vor Neid, wie gut uns das gleich anfangs gelungen ist. Aus der Mülheimer Nachbarschaft bildeten sich sehr schnell Kerntruppen, die mithelfen.
K.WEST: Leisten Sie damit dem Stadtteil indirekt Aufbauhilfe?
BACHMANN: Das wäre zu kolonialistisch formuliert. Lieber würde ich behutsamer sagen: Es ist ein Angebot zur zwanglosen Begegnung. Indem wir als Schauspiel eine Art Satellit in einem Bezirk bilden, der entfernt liegt vom Theater, räumlich wie vom Interesse her, haben wir die Chance, etwas zu verändern. Mit dem Garten schaffen wir eine Plattform und kommen mit der direkten, extrem multikulturellen Nachbarschaft zusammen. Mein Frau, Melanie Kretschmann, die das Projekt leitet, und Thomas Laue als Dramaturg hatten sich beispielsweise früh mit den sogenannten Stadtteilmüttern getroffen, 35 teils sehr akademisch gebildete Frauen mit Wurzeln in der ganzen Welt, die ihr Zentrum an der Keupstraße in Mülheim haben und unterschiedliche Communities repräsentieren. Der Garten stieß auf Begeisterung. Daraus abgeleitet, haben wir den Arbeitstitel »Alles Bio« gefunden, was nichts mit biologischem Anbau zu tun hat, das ist sowieso klar, sondern mit Biografie. Nicht nur Menschen, auch Pflanzen haben eine Biografie. Bei der Aktion, uns Keimlinge für den Garten zu bringen, kam ein pensionierter, aus Anatolien eingewanderter Arbeiter aus dem Carlswerk, das Kabel gefertigt hat, die u.a. ermöglichten, die Europa und Asien verbindende Brücke über den Bosporus zu bauen. Er brachte auch einen Weinstock mit, den er bei uns eingepflanzt hat. Das hat doch eine ungemeine Poesie.
K.WEST: Im Carlswerk, das jetzt das »Depot« des Kölner Schauspiels beherbergt, wurden einst Kabel für Amerika gefertigt.
BACHMANN: Dort wurde das erste Telekommunikationskabel produziert, das Mitte des letzten Jahrhunderts unterseeisch zwischen Deutschland und Nordamerika verlegt worden ist. Wir werden uns in einem Projekt mit der Geschichte vom Carlswerk beschäftigen.
K.WEST: Auch Ihr Spielplan bewegt sich gewissermaßen zwischen Köln und Amerika, mit Kafka etwa und mit Ihrer Adaption des Romans von Any Rands »Der Streik«.
BACHMANN: Wir streifen mit Andrej Tarkowski auch Russland; aber klar, es ist schon so, dass wir den Spielplan intensiv entwickelten, als wir wussten, an welcher Spielstätte wir sein würden. Das heißt: Wir folgen mit unserer Fantasie dem Kabel, das wie ein Netzwerk um die Welt gespannt wurde.
K.WEST: Um beim Garten als Metapher zu bleiben, was für Blütenträume hegen Sie? Oder weniger floral gesagt: Wie soll sich Ihr Kölner Schauspielhaus nach zwei Jahren positioniert haben?
BACHMANN: Wesentlich für mich war, Verbindlichkeit herzustellen. Es wäre leicht gewesen, die großen Namen zu versammeln. Wichtiger war mir, Leute zu finden, die sich eine größere Kontinuität vorstellen konnten. Angefangen beim Ensemble. Es ist nicht mehr so üblich, Schauspieler unter Vertrag zu nehmen – ohne Sonderkonditionen. Das Gastieren an mehreren Orten führt dazu, dass sich Häuser einer bestimmten Kategorie ähneln. Stadttheater muss tiefer – Garten-Metaphorik! – verwurzelt sein, als es mittlerweile Usus ist. Es sollte ein sehr spezifisches Profil entstehen. Im nächsten Schritt hieß das, wir möchten auch Regisseure gewinnen, die sich dezidiert zu diesem Ort bekennen. Wir ziehen mit vier Haus-Regisseuren ins Rennen, von denen zwei in der Spielzeit jeweils drei Inszenierungen machen, die anderen beiden je zwei. Zusammen nahezu die Hälfte der 21 Premieren. Sie wohnen hier, prägen stilistisch das Haus und sind drum herum auch zu haben, etwa um parallel Veranstaltungen zu bestreiten. Das Gewächs Schauspiel Köln soll eine eigene Züchtung werden.
K.WEST: Ich frage nach zwei speziellen Züchtungen: Gregor Schneider macht in der Halle Kalk eine Installation. Wie das?
BACHMANN: Er ist ein Mitbringsel von meiner Weltreise. Ich habe »haus ur« in Los Angeles gesehen. Und ihn getroffen, als er zufällig in seiner Ausstellung einen Vortrag hielt. So entstand ein Kontakt, der nie mehr abriss. Da lag die Möglichkeit einer Zusammenarbeit nahe. Zudem macht er eine sehr theatrale Kunst.
K.WEST: Peter Kern gestaltet mittwochs bis samstags eine Show, die ich mir wie eine Performance von Schlingensief vorstelle.
BACHMANN: Peter Kern ist für mich in seiner rigorosen künstlerischen Positionierung jemand, den wir in unserem Bedürfnis, Einigkeit herzustellen, vermissen würden. Einer, der produktiv stänkert. Die gute alte Fassbinder-Schule, Streit zu suchen, zu brauchen, zu provozieren. Jemand, der das Leben zur Kunst und die Kunst zum Leben erklärt. Ein Zeuge aus einer anderen Zeit, ein Gesamtkunstwerk in seinem unermüdlichen Produktions-Drang. Kern markiert eine Farbe, die ich toll finde, ohne vorhersehen zu können, was wirklich an seinen Abenden passieren wird.
K.WEST: Ich komme auf die Regisseure zurück. Der Regie-Tourismus hat doch zwei Seiten. Man wird missmutig, wenn man an mehreren führenden Theatern die stets gleichen Namen liest und sieht. Andererseits gibt es gute Gründe dafür. Diese Theatermacher-Stars stehen für – wenn auch nicht immer – künstlerische Qualität und ästhetische Originalität. Diesen Unmut haben Sie mit ihren Regisseuren mehr oder weniger ganz vermieden. Fehlt da nicht etwas im Angebot?
BACHMANN: Darüber unterhalten wir uns in zwei Jahren. Man kann nicht im Voraus sagen, dass etwas fehlt. Wir sind prima aufgestellt. Nicht immer ist das Bekannteste das Beste. Ich wollte nicht auf das Bewährte zurückgreifen, sondern Eigenes kreieren. Das mag mit Risiko verbunden sind. Ist aber auch mein Auftrag. Ich bin guten Mutes. Die Who-is-Who-Liste abzutelefonieren, wäre ein Leichtes gewesen. Ich habe nichts gegen diejenigen, die diese Liste anführen, gewiss auch großenteils berechtigt. Es sind Regisseure, die bei mir in Basel gewesen sind, in ihren Anfängen: Stemann, Pucher, Nübling, Thalheimer, Kriegenburg, Barbara Frey. Und ich habe noch ein paar Wichtige vergessen. Sie haben das Klima in Basel als besonders produktiv und kreativ erlebt. Jetzt schwirren sie umher und sind Stars mit entsprechenden Ansprüchen und der dazu gehörenden Unverbindlichkeit.
K.WEST: Ihre Saison bietet 21 Premieren. Können Sie sich das leisten? Sie müssen gut verhandelt haben.
BACHMANN: Ja. Ich habe gut verhandelt. Ich habe nicht bessere Bedingungen als Karin Beier ausgehandelt, vielmehr dieselben, wobei bereits offen war, ob das überhaupt gehen würde. In meinem Vertrag ist sehr klar definiert, wie hoch mein Zuschuss ist. Das war sehr wichtig angesichts der Situation zwischen Schauspiel und Oper und dem intern Chaotischen der Bühnen Köln. Ein Gutteil meiner Arbeit in den letzten zwei Jahren war, eine Konsolidierung hinzukriegen zusammen mit meinen Partnern. Im Moment wächst das Vertrauen wieder. Das macht vieles möglich. Vor einem Jahr sah das noch höchst unübersichtlich aus. Insofern ein Etappenerfolg. Aber der Prozess ist nie abgeschlossen. Ich habe jedenfalls ein ganz gutes Gefühl.
K.WEST: Was verbindet Sie mit Köln?
BACHMANN: Erst mal wenig. Familiär und auch sonst. Irgendwo gab es eine Großtante, die aus Köln stammt; und eine Oma roch nach Kölnisch Wasser. Ich kannte Köln vom Bahnhof aus, mal ein Besuch im Museum Ludwig und den Dom besichtigen. Das war’s schon. Aber ich spreche von Vergangenem. Ich bin jetzt seit zwei Jahren hier zugange. Seit März wohnen wir hier fest.
K.WEST: Ein ketzerischer Gedanke: Wären Sie für das Düsseldorfer Schauspielhaus womöglich der bessere Kandidat gewesen, wenn die Position des Intendanten frühzeitig frei geworden wäre? Basel ähnelt in seiner bequemen Bürgerlichkeit Düsseldorf eher als Köln.
BACHMANN: Ich habe dreimal in Düsseldorf gearbeitet. Ich sehe das komplett konträr. Ich hätte Düsseldorf um keinen Preis gemacht. Es ist eine Todesfalle. Das weiß man auch, in vielerlei Hinsicht ließe sich das genauer erörtern. Aber ich möchte nicht bashen. Ich hätte sogar ein Konzept für Düsseldorf. Aber ein Konzept, bei dem ich mich komplett verbiegen müsste. Das wäre ein zynischer Ansatz. Punkt. Von der Lebendigkeit und vom Klima her, von dem, was Theater auslösen kann, ist Köln unvergleichlich spannender. Die Alternative wäre nicht in Frage gekommen. Die Bürgerlichkeit ist nicht das Signifikante für mich. Klar, ich komme aus der behüteten Schweiz, habe mich aber auch bald mit meinem Leben von der Schweiz entfernt. Wenn wir das Programm von Basel in Köln gemacht hätten, hätten wir es vor Ort einfacher gehabt. Ich wüsste keine Stadt, wo ich es lieber machen würde, als in Köln.
K.WEST: Gibt es einen Bachmann-Stil, so wie man Stemann, Thalheimer, seit ihrer Kölner Zeit auch Karin Beier erkennt? Wenn ich mir Jelineks »Winterreise« in Wien, Ihren »Parasit« in Mannheim, die »Maria Stuart« in Düsseldorf oder »Die Genesis« in Zürich anschaue, finde ich keinen Nukleus.
BACHMANN: Das schmeichelt mir. So war mein Bestreben von Anfang an. Mein Konzept ist, keines zu haben. Das entspricht meiner Grund-Lust und Grund-Neugier, sich neu zu erfinden, einzutauchen in Stoffe und aus Stücken heraus eine Form zu entwickeln. Wobei die Arbeitsweise gar nicht so unterschiedlich ist. Nur die Gestalt kann sich sehr unterscheiden. Unbescheiden gesagt: Vielleicht gibt es die Hybris in mir, alles können zu wollen.
K.WEST: Im Vorwort zum Programmbuch schreiben Sie über den Intendanten, also über sich, er sei »leise, kühn und abenteuerlustig«.
BACHMANN: Ich habe nicht »Ich« geschrieben, sondern »Er« – in der dritten Person.
K.WEST: Aber dieser »Er« unterhält Beziehungen zu Stefan Bachmann.
BACHMANN: Es ist eine Figur. Aber mit Ähnlichkeiten. Vorworte kommen oft dröge daher, da wollte ich mit einer Fiktionalisierung arbeiten. Natürlich bin ich das.
K.WEST: Zum Abenteuerlichen gehört auch die von Ihnen genommene Auszeit, als Sie en famille durch die Welt reisten. Was hat Sie dazu motiviert, was haben Sie davon mitgebracht? Der Aufbruch bot beinahe eine Parallele zu Paul Claudels »Der Seidene Schuh«, den Sie in Basel und für Mortiers Ruhr-Triennale inszeniert haben.
BACHMANN: Das war eine schöne Koinzidenz. Damals dachte ich, dass für mich alles sehr schnell gegangen ist. Mit Anfang dreißig jüngster Schauspieldirektor im deutschsprachigen Raum und sehr erfolgreich. Ich habe das als ungemein auszehrend erlebt, war dem zu der Zeit noch viel unmittelbarer ausgesetzt. Ich konnte bei den Regie-Papas beobachten, die Mitte vierzig waren – wie jetzt ich, dass sie etwas Abgebrühtes, Zynisches, Lust-loses, Erstarrtes hatten. So ein toller Beruf, und dann geht es nur noch um Status, Macht, Eitelkeit. So wollte ich nicht werden. Der Wunschgedanke war, eine Pause einzulegen. Der wesentliche Faktor war meine Frau Melanie Kretschmann, die ich in Basel kennengelernt hatte, die von einer ähnlichen oder noch größeren Abenteuerlust durchdrungen war. Mit ihr ließ sich diese Fantasie verwirklichen. Dazu kam dann noch ein Kind, was meine Frau überhaupt nicht hinderte. Sie war da total optimistisch. Das Ganze war nicht befristet. Nichts war geplant. Die Stationen haben sich auf dem Weg ergeben, auch die Dauer war nicht festgelegt. Es hätte womöglich noch länger gedauert, wenn sich nicht Zwillinge angekündigt hätten. Die Biografie sollte noch mal auf den Prüfstand gestellt werden.
K:WEST: Und nach der Rückkehr …?
BACHMANN: Man könnte sagen, die Erfahrungen, die so vielfältig und nicht auf einen Begriff zu bringen sind, haben sich in den Zellen eingelagert. Ich bin nicht mit der einen leuchtenden Idee zurückgekommen. Im Gegenteil. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wie es geht. Das hat mich Jahre gekostet. Ich bin durch Schmerzhaftes hindurchgegangen. Übrigens auch als Gastregisseur, der wieder tingelte. Das waren noch einmal Lehrjahre. Die Konsequenz ist, dass mir seit etwa vier Jahren die Theaterarbeit so viel Spaß macht wie nie zuvor.
K:WEST: Ich vermute, dass »Der Streik« eines der Bücher ist, die Sie auf der Weltreise gelesen haben.
BACHMANN: Ja. Ich bin durch den Film »Der Mann mit dem Dynamit« mit Gary Cooper darauf gestoßen, einem Film noir-Melodram über Architekten, in dem das Mittelmäßige gegen das Geniale antritt. Die Story fand ich strange. Es ist das erste Buch von Any Rand, einer vor dem Stalinismus geflohenen russischen Jüdin. Ihr Hauptwerk ist »Der Streik« von 1957 – das hat mich in seiner Unerbittlichkeit nicht mehr losgelassen. In den USA ist der Roman Schullektüre, jeder kennt ihn, aber er wird dort viel weniger ideologisch rezipiert, von der Tea-Party bis WikiLeaks und Silicon Valley. Die Rechte waren lange nicht erhältlich, und an den Theatern hat man meinen Vorschlag weggelächelt. »Der Streik« sollte mit Brad Pitt und Angelina Jolie verfilmt werden. Jetzt ist ein TV-Mehrteiler entstanden – sehr schlecht übrigens. Das Buch sehe ich im Zusammenhang meiner Beschäftigung mit Utopien. Es hat etwas ähnlich Abwegiges wie Claudels katholisches Universum, wenngleich auf anderem literarischen Niveau. Es geht um Utopie und Freiheit unter radikalsten Prämissen, die diametral unseren Überzeugungen entgegenstehen.
K.WEST: Rigorismus des kapitalistischen Systems: also Ungebundenheit, individuelle Freiheit contra staatlichen Eingriff.
BACHMANN: Es ist das große Plädoyer für den freiest möglichen Kapitalismus, anknüpfend an den Gründungs-Mythos – ich mag ja sehr populäre Mythen – und gespeist von der McCarthy-Paranoia gegen die Kommunisten. Eine Vision, die jetzt von den Rechtsaußen in den USA okkupiert wurde. Das ist aber nicht allein richtig, Natürlich ist es ein Buch aus dem Giftschrank. Aber doch eine unglaublich interessante Auseinandersetzung mit Lebenshaltungen.
K.WEST: Wenn es nur negativ wäre, würde es Sie vermutlich auch nicht anpacken.
BACHMANN: Ich könnte es dann nicht machen. Ich habe große Lust, diesem ungewohnten Denken affirmativ zu begegnen, mich da rein zu fühlen, mit dem Stoff spielerisch ein ungewohntes Gedankengebäude zu erkunden. Außerdem ist das Buch gerade wieder hochaktuell. Der krakenartige Staat, der sich bis in die intimsten Bereiche seiner Bürger hineinwindet. Ist das nun Schutz oder Übergriff? Und das Konzept des Egoismus berührt, auch wenn viele schreien werden. Die Doktrin des Buches behauptet: Altruismus ist des Teufels, weil er fatale Abhängigkeiten schafft, im Gegenteil, mein Handeln muss selbstbezogen sein, ich muss etwas davon haben, sonst gibt es keine Motivation, etwas zu tun. Das wird nicht nur ökonomisch durchgespielt, sondern gilt auch für die Liebe.
K.WEST: Ihr Programm würde mit dem Überbegriff »soziale Exkursionen« zu kurz greifen, es betrifft noch andere existentielle Bereiche, dabei im Radius von Welt und Köln. Ein Drittel behandelt Kölner Affären.
BACHMANN: Das wurde uns sozusagen vom Ort diktiert. Wobei wir nicht ankommen und den Bewohnern ihre Stadt erklären wollten. Das wäre eine arrogante Attitüde. Wir betreiben Recherche: Wo sind wir hier gelandet? Das kann auch für die interessant sein, die ihre Stadt kennen oder zu kennen glauben. Das reicht von Kippenberger und dem Thema, wie positioniert sich Köln als Kunststadt und verhält sich dazu, diesen Status auch verloren zu haben, bis hin zu dem Attentat an der Keupstraße, das fast nur tür-kische Einwohner traf und mit feinem Unterschied Attentat an der Keupstraße heißt und nicht Attentat in Köln. Wäre das am Offenbachplatz passiert, hätte es vermutlich anders geheißen. Wie sieht es also wirklich aus mit der Eingemeindung, auch wenn in Köln Integration weitgehend gut funktioniert? Die Städte werden multikultureller sein, es wird studierte, gebildete, kulturell interessierte Menschen geben, die man sozusagen im kulturellen Angebot eingemeinden muss, auch ins Theater. Man kann nicht mehr auf dem reinen Weimarer Stadttheater-Gedanken aufbauen. Wir fragen, welche Bedürfnisse bestehen, wie können wir dem Rechnung tragen? Ohne dass ich mir einbilde, dass wir das unbedingt gewuppt bekommen in der ersten Spielzeit als Erfolgsmeldung. Wir können anfangen – und weitermachen damit.
Die Eröffnungs-Premieren 2013 im Depot: 27. Sept.: »Der nackte Wahnsinn« von Michael Frayn (Rafael Sanchez). 28. Sept.: Brechts »Der gute Mensch von Sezuan« (Moritz Sostmann). 11. Okt.: »Kippenberger!« (Angela Richter). 12. Okt.: »Der Streik« nach Ayn Rand (Stefan Bachmann). www.schauspiel.koeln.de