TEXT UND INTERVIEWS: ULRICH DEUTER
Der Siegener Architekt Michael Arns entwirft gern zeitgenössische, luftig-kubische Wohnhäuser; aber er ist auch Spezialist für die alten Fachwerkbauten seiner Heimat Sieger- und Sauerland, von denen er zahlreiche renoviert und bewahrt hat, darunter das Elternhaus des aus Siegen stammenden Bernd Becher. Von den »Fachwerkhäusern des Siegener Industriegebietes«, die Bernd und Hilla Becher in den 1960er und 70er Jahren in Serie fotografierten und mit denen sie ihren Stil begründeten, aber seien heute kaum noch welche in dem Zustand »wie die Bechers das fotografieren konnten«, klagt Arns im Gespräch. Denkmalpflege, und zwar nicht nur die von Domen und Schlössern, sondern auch von Alltagsarchitektur, hat herausragende Bedeutung in einem Bundesland, das zum einen sehr tiefe historische Wurzeln sowie große Siedlungsdichte und regionale Buntheit besitzt, zum andern durch Industrialisierung und Krieg viel von seinem Baudenkmalbestand verloren hat. 86.800 unter Schutz gestellte Bau- und Bodendenkmäler verzeichnete 2012 die Liste in NRW, knapp ein Drittel mehr als 1992. Im gleichen Zeitraum sank die Summe, die das Land für den Erhalt dieser identitätsstiftenden Geschichtszeugnisse zur Verfügung stellte, von 35,4 auf 11,4 Millionen Euro, um 60 Prozent.
Im Haushaltsjahr 2013 ist dieser Betrag noch einmal um zwei Millionen gekürzt worden, in 2014, so verkündete Bauminister Michael Groschek (SPD) Mitte Juli, wird erneut gestrichen, dann beträgt der Zuschuss noch ganze 4,1 Millionen Euro, die aber ausschließlich für die Instandhaltung »herausragender Sakralbauwerke« (Dome in Aachen, Köln, Xanten) sowie die Bodendenkmalpflege eingesetzt werden sollen. Dafür legt die NRW.Bank ein Kreditprogramm von 60 Millionen Euro auf (40 Mio. für gemeinnützige, gewerbliche und kirchliche Bauvorhaben, 20 Mio. für private), zu geringsten Zinsen und mit langen Laufzeiten.
Michael Arns hat Anfang Juni 2013 im Düsseldorfer Landtag in seiner Eigenschaft als Vize-Präsident der Architektenkammer NRW bei der Anhörung zur Novelle des Denkmalschutzgesetzes auch zur damals schon in Gerüchten bekannten neuerlichen Zuschusskürzung Stellung bezogen und den Ausschussmitgliedern mitgegeben, er halte es für unmoralisch, wenn der Staat einerseits privaten Eigentümern einen Teil ihrer Verfügungsgewalt über ihr Gebäude wegnehme, indem er es unter Denkmalschutz stelle, mit all den daran geknüpften Auflagen. Er auf der anderen Seite aber nicht – nicht mehr – bereit sei, die Eigentümer bei den Mehraufwendungen, die mit einem Denkmal verbunden seien, finanziell zu unterstützen.
FRAGEN AN DIE FACHLEUTE
Naturgemäß preist die Landesregierung ihre Kürzungen als finanzdisziplinär geboten und das Darlehensprogramm als Lösung der Zukunft. Aber das Schuldenbremsargument erledigt sich von selbst, wenn man den Denkmalförderzuschuss ins Verhältnis zum Gesamtlandesetat 2013 von 60 Milliarden (2014 von 62,5 Mrd.) und zum NRW-Gesamtschuldenstand von 220 Milliarden Euro setzt. Bleibt die Darlehens-Idee – ein probates Mittel im Denkmalschutz? Fragen wir die Fachleute:
Prof. Dr. Heinz Günter Horn ist Archäologe, war Leiter der Bodendenkmalpflege Rheinland, danach (bis 2005) Ministerialrat im Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr, lehrte an der Universität Köln, ist Stellv. Vorsitzender des 1906 gegründeten Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz.
K.WEST: Herr Horn, statt Zuschüsse Darlehen für den Denkmalschutz – was halten Sie davon?
HORN: Das wird nicht greifen, vor allem in der privaten, kommunalen und der kirchlichen Denkmalpflege nicht. Entscheidend sind hierbei ja nicht Objekte wie der Kölner Dom oder Schloss Brühl. Die stellen nämlich nicht das Gros. Zu 95 Prozent werden kleine Denkmaleigentümer betroffen sein, die sehr viel Einsatz und Kapital in ihr privates Häuschen stecken, und die, da es vom Staat zum Denkmal erklärt ist, der Allgemeinheit auch eine gewisse Last abnehmen. Um diesen Erhaltungsaufwand wenigstens ein wenig zu honorieren, hat es bisher immer die sogenannte kleine Denkmalförderung gegeben, das waren Beträge bis zu 3.000 und 4.000 Euro. Die machten auf keinen Fall eine ganze Baumaßnahme möglich, aber sie bewirkten eine Initialzündung. Und die wurde dann durch private Ausgaben um ein Vielfaches vermehrt.
K.WEST: Und ein billiges Darlehen kann kein Anreiz sein?
HORN: Für einige wenige Große sicherlich. Künftig soll es ja so sein, dass alles, was mit dem Umbau eines denkmalwerten Gebäudes zu tun hat, per Darlehen gefördert und von der Steuer abgesetzt werden kann; früher betraf dies immer nur die denkmalbedingten Mehrkosten. Es werden sicher einige Objekte davon einen Nutzen haben, die sonst verfallen würden. Hier kann ein großer Investor einsteigen, sich preisgünstige Darlehen beschaffen und anschließend das Ganze zum Beispiel vermieten. Das ist nicht schlecht, ist aber nicht die Denkmalpflege, die dem kleinen Mann hilft. Nehmen wir Schloss Gymnich, das ehemalige Domizil der Kelly Family. Das ist versteigert worden, nun gibt es einen Investor, der da Hotellerie hineinbringen will. Der wird dann seine gesamten Umbau-kosten geltend machen können, gleichsam von der Steckdose bis zum Firmenschild. Ich habe gar nichts dagegen, dass Denkmäler kommerziell genutzt werden. Ich will auch nicht sagen, dass diese Darlehensförderung an sich unsinnig ist. Sie kann aber auch zukünftig nur eine Facette der staatlichen Denkmalförderung sein.
K.WEST: In einem Offenen Brief, den der Rheinische Verein an die Ministerpräsidentin gerichtet hat, schildern Sie die Folgen der Landesdenkmalpolitik sehr düster: Die unterschiedlichen Regionen Nordrhein-Westfalens würden ihr charakteristisches Gesicht verlieren. Ist das nicht ein bisschen arg schwarz gemalt?
HORN: Nein. Das ist es nicht. Wie gesagt, von den Kürzungen wird das absolute Gros der Denkmäler erfasst. Das fängt beim Wegekreuz an und hört beim Vierkanthof auf. Und dazwischen gibt es eine ganze Bandbreite von ganz charakteristischen Gebäuden, die unsere Städte, Dörfer und Landschaften unverwechselbar prägen. Wenn die nicht gepflegt sind, dann geht das Bild kaputt. Nicht heute und morgen, aber spätestens in zehn Jahren. Was jetzt nicht mehr möglich ist, hat Langzeitfolgen.
DARLEHEN IST FÜR PRIVATLEUTE KEINE LÖSUNG
Ende des letzten Jahrhunderts drohte der 1928 eingeweihten »Jahnkampfbahn« in Solingen mit ihrem wunderschönen expressionistisch angehauchten Tor-Ensemble der Verfall. Bürger engagierten sich mit einem Förderverein gegen den Verlust des traditionsreichen Stadions, in dem schon Vogts, Rahn, Netzer, Seeler, Assauer, Weisweiler gespielt hatten. Sie leisteten Arbeit und sammelten 50.000 Mark als Anschubfinanzierung für die Sanierung des Ensembles, das nicht ihnen, sondern der Stadt gehört. Die stimmte dem Erhalt zu, nachdem das Land aus Denkmalschutzmitteln 310.000 DM bereitgestellt hatte – 1,5 Millionen DM kostete die Sanierung, die ein nun tagtäglich von Schülern, Anwohnern, Amateursportlern »genutztes Denkmal« am Leben erhalten hat. Seit 1994 steht das Gesamtstadion unter Denkmalschutz – und erhält, jüngste Genugtuung für den Förderverein, den Deutschen Denkmalschutzpreis 2013. Wenn es den Verein nicht gegeben hätte, ist Vorsitzender Guido Rohn, zusammen mit Klaus Lorenz Mann der ersten Stunde, sich sicher, »dann stünden hier Einfamilienhäuser«.
Glückliche Zeiten. Es scheint, die jetzige Landesregierung besitzt kein Gespür dafür, dass es in einer Gesellschaft symbolische Bereiche gibt, die man nicht so einfach beschädigt, zumal wenn der finanzielle Vorteil minimal ist. Der damalige NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück gab 2004 die Linie vor, als er in der ihm eigenen herunterputzenden Art beschied, Kunst und Kultur gebühre keine Sonderstellung, es sei nicht gleich »das Abendland in Gefahr, wenn ein gewisser Prozentsatz an Landesförderung eingespart« werde. Seiner Nachfolgerin Hannelore Kraft wird nachgesagt, sie halte Denkmalschutz für elitär.
Der Architekt Michael Arns ist derzeit mit der Instandsetzung und dem Umbau eines Fachwerkhofs in einem Dorf im Sauerland befasst, eines sächsischen Hallenhauses von 1770, das allmählich verfiel und nun endlich jemanden gefunden hatte, der bereit war, sein Kapital in das Gebäude zu investieren, um darin zu wohnen. Fachwerksanierung und innere Umbauten erzeugen Kosten von ca. 550.000 Euro; nach bisheriger Regelung hätte die Denkmalförderung, sagt Arns, 100.000 bis 125.000 Euro beigesteuert. Arns: »Die sind jetzt weg. Jetzt muss ich mich rechtfertigen gegenüber dem Bauherrn, dem ich doch geraten hatte, all diese Baumaßnahmen unter dem Aspekt der Förderungserwartung vorzunehmen. Und der mich nun fragt, was ich ihm angetan habe.
Die beiden Landschaftsverbände – Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) – sind über ihre Fachämter für Denkmalpflege qua Gesetz zuständig für die Beratung bei allen Fragen des Denkmalerhalts, also wenn es um Unterschutzstellung oder die Erlaubnis von Maßnahmen an Denkmälern geht. Hier existiert seit Jahrzehnten eine Aufgabenteilung: Die LVs statten die Ämter aus, das Land gibt Fördergeld für die Maßnahmen Dritter. »Wenn sich jetzt einer dieser Partner aus diesem System zurückzieht«, sagt Dr. Andrea Pufke, Leiterin des Amtes für Denkmalpflege im Rheinland, »dann kommt ein Ungleichgewicht zustande.«
K.WEST: Frau Pufke, was bedeuten die fortgesetzten Kürzungen des Landesetats Denkmalschutz für die Arbeit des LVR?
PUFKE: Es wird uns wohl immer weniger gelingen, größere Projekte auf den Weg zu bringen, z.B. gefährdete Denkmäler zu erhalten, die einer umfangreichen Instandsetzung bedürfen. In der Vergangenheit ist uns dies deswegen gelungen, weil wir mit Zuschussmitteln des Landes auch einem Privateigentümer helfen konnten, die Erhaltung eines solchen Denkmals im öffentlichen Interesse – um das es ja immer geht – auf sich zu nehmen. Bislang hatten wir bei der Denkmalförderung zwei große Fördermöglichkeiten: Es gab die Zuschussförderung, die sich in den letzten Jahren im fünfstelligen Bereich bewegte, und 20.000 bis 30.000 Euro sind bei einer Gesamtmaßnahme von 200.000 bis 400.000 Euro eher wenig, dafür aber hilfreich. Denn mit Hilfe dieser Landeszuschüsse war es dann möglich, weitere Förderer zu gewinnen, wie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Diese Kofinanzierungsmodelle werden uns nun möglicherweise wegbrechen. Wir haben jetzt schon eine erste Absage von Bundesfördermitteln aus dem Programm »National wertvolle Kulturdenkmäler«, weil die erforderliche Kofinanzierung des Landes fehlt. Das ist Geld, das NRW verlorengeht! Ein weiterer wesentlicher Förderzweig waren die Pauschalzuweisungen. Diese Fördermittel, die vom Land für den Denkmalschutz an die Kommunen gingen, waren segensreicher, als man denkt. Hier haben sogar Beträge von vielleicht 1.000 Euro für kleine Instandsetzungs- und Reparaturmaßnahmen oft ein Vielfaches an privaten Leistungen generiert. Außerdem haben die Eigentümer dies als eine Form der Wertschätzung empfunden.
K.WEST: Als Kompensation soll es zinsgünstige Darlehen geben. Eine gute Idee?
DARLEHEN IST EHER WAS FÜR INVESTOREN
PUFKE: Der normale Denkmaleigentümer, der sein geerbtes oder gekauftes Denkmal zur eigenen Nutzung in Stand setzen will, hat wenig von dem Darlehensmodell. Vielleicht wird er schon durch die Bonitätsprüfung fallen. Hier sorgten die Landeszuschüsse vielfach auch erst für die Kreditwürdigkeit von Denkmaleigentümern. Außerdem ist für ihn im Darlehensprogramm eine Maximal-Förderhöhe von 80.000 Euro festgelegt, so dass er bei einer Gesamtmaßnahme von vielleicht 400.000 Euro oder mehr ohnehin einen Zusatzkredit braucht. Oder nehmen Sie einen Heimatverein, der durch Manpower und Bares sehr viel investiert hat in ein Objekt, das ihm nicht gehört – warum sollte der einen Kredit aufnehmen und wie zurückzahlen? Der Bereich der privaten Förderung scheint mir nicht wirklich durchdacht zu sein. Interessant ist das Modell eher für Investoren!
K.WEST: Wenn es weniger Denkmal-Instandhaltung gibt, wird dann auch das Bauhandwerk leiden?
PUFKE: Erhebungen besagen, dass ein Euro Förderung im Denkmalschutz bis zu zehn Euro Investitionen auslösen kann. Oder übertragen auf die steuerliche Abschreibung von Denkmalmaßnahmen, dass ein Euro Steuermindereinnahme bis zu 15 Euro Steuermehreinnahme durch Gewerbesteuer, Umsatzsteuer usw. auslöst. Außerdem hat es Jahre gebraucht, um Handwerker zu qualifizieren mit Ausbildungszentren wie der Akademie des Handwerks auf Schloss Raesfeld. Man wird sehen, ob diese spezialisierten Firmen auf Dauer mit verminderter Auftragslage überleben können. Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, warum man ein in sich funktionierendes, im Grunde sich selbst finanzierendes System nicht fortsetzt. Daran hängen ja auch Ausbildungsplätze!
Der Architekt Arns bestätigt die Sorgen der Fachleute, dass ein ausbalanciertes System demnächst zum Erliegen kommen könnte. In seinem Wohnort Freudenberg gab es immer eine »Schiefergeldkasse«, erzählt er, Mittel aus den Pauschalzuweisungen des Landes an Kommunen. Bei einem Fachwerkhaus, sagt Arns, sei nämlich der Unterhaltungsaufwand hoch: »Da müssen alle sechs Jahre die Gefache und die Hölzer gestrichen werden, das sind Kosten von 15- bis 20.000 Euro.« Arns ist überzeugt, dass so mancher dies ohne eine kleine Anschubfinanzierung aus diesem demnächst leeren Topf nun unterlässt.
Mit Folgen. Auch Guido Rohn sagt: »Einen Kredit in der Höhe der damaligen Förderung hätten wir nie aufnehmen können.« Ironie der Geschichte: Am 8. September feiert der Tag des Offenen Denkmals sein 20-jähriges Jubiläum. Motto: »Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?«
http://tag-des-offenen-denkmals.de/laender/nw/ + www.rheinischer-verein.de + www.jahnkampfbahn.de