TEXT: ULRICH DEUTER
Auf der Biennale von Venedig des Jahres 1999 nahm die internationale Kunstszene zum ersten Mal von Dan Perjovschi Notiz. Er hatte den Boden des rumänischen Pavillons mit Filzstift-Zeichnungen bedeckt, einfachen, Cartoon-ähnlichen Figurationen, die das Leben im postsozialistischen Osteuropa thematisierten: politisierten, karikierten. Zu jenem Zeitpunkt war der 1961 in Sibiu in Rumänien Geborene allerdings bereits zehn Jahre in Europa und Amerika künstlerisch aktiv, die Anfänge seiner Arbeit rühren aus den letzten Jahren der Ceaușescu-Diktatur, und die damaligen Erfahrungen mögen entscheidend seinen bis heute gültigen Stil sowie seine Kunstauffassung geprägt haben: Aussage und Intervention.
Perjovschi ist Zeichner; seine Werkzeuge sind Tuschestift, Filzschreiber und Kreide, seine Bildträger Notizbuch, Wände, Glasfenster, Gehsteige. Perjovschi ist auch Skribent, auf Rumänisch, Französisch, Deutsch, meist aber Englisch benennt oder kommentiert er fast jede seine Zeichnungen: rasch hingeworfene, aufs Allerwesentliche reduzierte Umrisszeichnungen, die Eines eigentlich immer sind: kritisch.
Und vergänglich. Seit Venedig hat Perjovschi die weißen Wände von Dutzenden Galerien und Museen bedeckt: die des MoMA in New York (2007), des Royal Ontario Museums in Toronto (2010), des Museums Ludwig in Köln (2005); hat die Treppenstufen des Kasseler Fridericianums bekritzelt (2003) oder den Beton der Mischanlage der Kokerei Zollverein in Essen (2003). Doch geblieben sind von all dem nur Dokumentation und Erinnerung: Entweder der Künstler zerstört seine Arbeit nach Ende der Ausstellung selbst, oder er gibt sie den Ausstellungsbesuchern preis, die etwa aufgefordert sie auf, die Wand- oder Bodenzeichnungen fortzuführen, auszuwischen oder zu übermalen. Oder die sie, wie in Venedig 1999, unter ihren Schuhsohlen davontragen. Wenn nicht der Regen das im Freien entstandene Werk auslöscht.
DAS PUBLIKUM MALT MIT UND WEITER
Nicht anders wird es auch jetzt in der Jahrhunderthalle in Bochum sein: Für die Ruhrtriennale 2013 wird Dan Perjovschi die zuvor schwarz gestrichene Rückwand des Foyers samt allen Vor- und Rücksprüngen mit weißen Kreidezeichnungen bedecken, er wird zudem mit schwarzem Filzstift auf der Glasfront nach draußen arbeiten. Und er wird den Bodenstreifen unter dem Vordach als Bildträger nutzen – »Wall Window« wird diese Arbeit knapp und folgerichtig heißen. Bzw. »Wall Window Workshop«, denn jeder Besucher der Ruhrtriennale ist eingeladen, Perjovschis Zeichnungsgewimmel, das am Tag der Eröffnung abgeschlossen sein soll, als eben nicht abgeschlossen zu betrachten und mit eigener Hand fortzusetzen: weiterzuzeichnen, zu überkritzeln oder abzureiben.
Denn Dan Perjovschi betrachtet seine Kunst als Glosse, als Randbemerkung zum Zeitgeschehen. In einem unablässigen Schaffensprozess entstehen in Skizzenbüchern Figuren und Szenen, Bildchen und Sätzchen; von dort werden sie auf die große Fläche übertragen, besser gesagt, frisch hingezeichnet. Bestimmte Konstellationen und Typen kehren immer wieder und bewahren so, durch Wiederholung, das Werk. Das ist ein wimmelnder, ständig erneuerter, tausendfältiger Kommentar, ein gezeichneter Zwischenruf zu Politik und Zeitgeschichte, ein Chor knapper, kritischer, witziger oder grimmiger Bemerkungen zu Globalisierung, Wirtschaftskrise, religiösem Fundamentalismus, Nationalismus, Konsumentarismus.
Oder zum Kunstbetrieb: Zeichnet Perjovschi auf der Wand eines Museums, so finden sich mit Sicherheit ein paar bissige Bemerkungen zur allfälligen Kommerzialisierung der Kunst oder zur Abhängigkeit des Museums von Sponsoren. Zu erwarten ist also, dass Perjovschi nicht nur die Lage in Europa und Deutschland, sondern auch das Ruhrgebietskunstfest aufs Korn und auf die Kreide nimmt.
23. August bis 6. Oktober 2013 in der Jahrhunderthalle Bochum. Öffentl. Workshop 23. August ab 15 Uhr. www.ruhrtriennale.de