TEXT: ULRICH DEUTER
Carl Sternheim (1878-1942) war als Dramatiker der schonungslose Kritiker des Klein- und Geldbürgertums (der wilhelminischen Ära), in seinen Stücken spielt er seine Figuren so genüsslich gegeneinander aus, dass sie sich gegenseitig lächerlich machen. Reto Finger (geboren 1972) ist als Dramatiker ein eher schonungsvoller Kritiker des Klein- und Ichbürgertums (der Jetztzeit), in seinen Stücken geht es doch mehr um Seele als um Geld. Zu Sternheims Stückzyklus »Aus dem bürgerlichen Heldenleben« gehören »Die Hose«, »Der Snob« und »1913«; sie zeigen den Aufstieg der Familie Maske über drei Generationen hin bis zum WK I. Im Bochumer Schauspielhaus hat Anselm Weber die ersten beiden Komödien von Reto Finger bearbeiten und »1913« von ihm durch »2013« ersetzen lassen, das dessen Thematik ins Heute fortschreibt. Auf der großen Bühne inszeniert Weber alle drei hintereinander weg, wobei das Bindeglied nicht nur die rücksichtslose Selbstverwirklichung ist, die, sich jedes Mal steigernd, von Maske Theobald auf Maske Christian auf dessen Nachkommen vererbt wird, sondern auch der »Tatort«-Schauspieler Dietmar Bär, der den Maske sen. als Ich-Walze mit Gemütslackierung gibt, den dicken Bauch wie ein Stoßfänger vorweg.
In »Die Hose« führt das Herunterrutschen einer solchen am Leib der Gattin Luise (Xenia Snagowski) zu Ehestreit aber auch zu zwei Luise-süchtigen Untermietern und damit zum Wichtigsten: Geld. Das Stück wurde bei der Uraufführung 1911 als das verstanden, was es war: eine böse Satire auf die, die im Parkett saßen. Heute wirkt es bloß wie ein Schwank. In Bochum macht man einen farblos-flachen Comic daraus, weil man das Umfeld der Figuren weglässt. Anders gesagt, es fehlt jede Form der Sofahaftigkeit, aus der heraus alle ihre eckige Gemeinheit erst entwickeln könnten.
Derselbe Fehler setzt sich fort, wenn in »Der Snob« Christian zum Generaldirektor sowie Grafentocher-Gatten aufsteigt: Wieder wollen die Schauspieler zur Gültigkeit ihrer Figuren gar nicht erst vordringen, aus der heraus sie dann deren Lächerlichkeit entfalten könnten. So dass der Witz des Ganzen matt gerät. Und die Psychologie, die die Regie jetzt unentschlossen probiert, nur Reliefmenschen erbringt. Einzig Felix Rechs vor Gier-Gierigkeit nervöser Christian gewinnt Volumen. (Wie schrecklich verschenkt der lustlos-fahle Graf Palen des Martin Horn!)
In »2013« ist Christian zuletzt um die 170 Jahre alt, aber Schwamm über das Ernstnehmen dieses Aktualisierungsversuchs, der mit ein paar Stichworten aus der gegenwärtigen Turbokapitalismuskritik (»Ziel der Maske AG muss es sein, eine Größe zu erreichen, die systemrelevant wirkt«) auskommen zu dürfen meint. Christian wird von seinen drei Töchtern brutal beerbt (Lear!), während der Geist seines Vaters ihn vergeblich zum Widerstand anstachelt (Hamlet!). Ein Shakespeare wird so nicht daraus. Und Dietmar Bär erscheint jetzt nicht nur deshalb schrecklich flach, weil er ein Gespenst zu sein hat. Im Bühnenhintergrund (Raimund Bauer) leuchten die Börsen-Symbole Bulle und Bär. Aber man soll ja keine Namenswitze machen.
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