TEXT: SARAH HEPPEKAUSEN
Die Berliner Theatermacher »copy & waste« sind Schlagwortverschwender. Und in ihrem Fall bedeutet verschwenden die lustvolle Steigerung von verwenden. Ein Überfluss an wissenschaftlichen Verweisen, an historischem Material und aktuellen Assoziationen zeichnet jedes ihrer Stücke aus. Seit 2012 recherchiert die Truppe vor allem in Mülheim und im Ruhrgebiet, für zwei Jahre vom »Fond Doppelpass« der Kulturstiftung des Bundes gefördert, gemeinsam mit dem Mülheimer Ringlokschuppen, wo sie ihre Produktionen zeigen. Vier Arbeiten sind geplant – für ihre ortsspezifischen Performances sei das Ruhrgebiet prädestiniert, sagen copy & waste. Denn sie behandeln gern Themen wie Soziales, Arbeit, Migration – und die finde man hier alle, und zwar in ungeklärterer Form als anderswo.
Doch simple Partizipationsprojekte sind nicht ihre Sache. Autor Jörg Albrecht ist ein Referenzsammler und Sprachergründer, Wörter wie Partizipation und Projekt sind für ihn genauso wie für Regisseur und Schauspieler Steffen Klewar sowie Dramaturgin Wilma Renfordt Anlass zu theoretischer und spielerischer Reflexion. Alle drei sind um die 30 und bilden den Kern der Gruppe. »Partizipation heißt: zusammen verschwenden«, lautete entsprechend ein Satz in ihrer ersten Mülheimer Arbeit mit den Namen »Einsatz hinter der V.ierten Wand«.
Dieser Einsatz war ein hochkomplexer. Eine Mission multipler Personen in nahe Ruhrgebietsszenerien und ferne Gedankenwelten. Stadtentwicklung wurde kurzgeschlossen mit Thomas Pynchon. Der amerikanische Schriftsteller ist ein Meister vielschichtiger Strukturen und verwirrender Bezugsnetze von Figuren und Handlungen. Sein Romandebüt »V.« war Wort- und Personenlieferant für Albrecht.
FÜNF FREUNDE ALS FOLIE
Diesmal liefert Enid Blyton die fiktionale Folie, auf der Reichtum und Architektur problematisiert werden. In »Enid Blytons Geheimnis um den unsichtbaren Reichtum einer Gesellschaft, die nur sich will« schicken copy & waste die sechs Spürnasen Dicki, Betti, Flipp, Gina, Rolf und Hund Purzel ins Mülheimer Villenviertel Uhlenhorst, in dem Häuser verschwinden. Wie für etliche andere ihrer Generation zählten Blytons Geheimnis- und Abenteuergeschichten um die Fünf Freunde, die Schwarze Sieben oder eben die sechs Spürnasen für Albrecht und Klewar zur Lieblingslektüre in ihrer Kindheit. Jörg Albrecht, der als erfolgreicher Romanautor auch außerhalb von copy & waste sprachvirtuose und vielschichtige Textcollagen schreibt, liest Enid Blyton heute noch, wenn er krank ist. Er schätzt »das Wohlige«.
Wohl fühlen soll sich auch das Publikum ihrer Performance. Deshalb gibt’s gleich zu Beginn Eis, Schokoriegel und gemischte süße Tüten. Wie schon bei »Cheap Throat«, bei dem sich copy & waste im vergangenen November beim »Favoriten«-Festival das Pornografische im Stadtmarketing einverleibten, um der Partizipation die Scham auszutreiben, haben sie sich auch in ihrer aktuellen Arbeit für das Hörspiel-Format entschieden. Passt ja auch zu Enid Blyton. Aber so einfach ist es dann natürlich doch nicht.
DIENERDINGE TUN
Versorgt mit reichlich Süßkram, Limonade und einem Klappstuhl können sich die Zuschauer um die Bühne herum bewegen. Caspar Pichner hat ein Haus aus Spanplatten gezimmert, umgeben von Rasen und einem Gartenzaun. Hier darf Schauspieler Klewar Dienerdinge verrichten und Chihuahua Ren umhertollen. Eine suburbane Vorzeigeidylle, ein allenfalls angedeutetes Uhlenhorst. Mehr Installation als Spielbühne. »Die Bewohner dieses Viertels lassen ihren privaten Bereich besonders dunkel, sie lassen sich nicht verhören. Wie alle Reichen sind sie ein schwieriger empirischer Untersuchungsgegenstand«, sagt Flipp im Text. Auch Rechercheschwierigkeiten finden bei copy & waste ihren sprachlichen Ausdruck.
Im Internet, in der Bibliothek und beim Amt für Stadtforschung und Statistik hat Wilma Renfordt nachgeforscht. Sie hat Interviews im Rotary- und im Hockey-Club geführt. Jörg Albrecht bringt das Material in eine sprachliche Form, die mit Worten und Bedeutung spielt, die einen Gedanken abbricht, nur um direkt zum nächsten zu springen. »Irgendwie hängt alles zusammen«, erkennt auch Renfordt immer wieder bei der Recherche für ein Stück. Es ist die fragmentarische Form der Wahrnehmung, die copy & waste in ihren Arbeiten künstlerisch nachbilden. Das überfordert bisweilen. Aber damit kann das Kollektiv gut leben. Unterforderung sei der Hauptgrund für Langeweile, sagt Klewar. Und Langeweile sei das schlimmste.
ECHTE WILDTIERE
Das ist es auch für Gina, eins der rich kids aus dem Uhlenhorst: »Gibt es einen neuen Fall? Ich will Ferien von diesen Sommerferien, in denen ich umkomme vor Langeweile.« Thyssen und Stinnes, Ruhrgebietsgeschichte und eine geplante Gartenstadt, die es nur zu drei Gebäuden geschafft hat, das Nettoeinkommen der Superreichen, halbleere Hochhäuser und ein leerstehender Kaufhof, die Gästefarm Uhlenhorst [Namibia] mit echten Wildtieren und eine Radioshow – das alles sind erlebte oder erzählte Stationen der Spürnasen, die später einmal sagen werden: »Früher war ich unternehmungsfreudig, heute bin ich unternehmerfreundlich«. Steffen Klewar spricht die Hörspielstimmen übrigens alle allein. Zu viel Kinderzimmer-Wohligkeit soll auf der kleinen Bühne im Ringlokschuppen dann doch nicht aufkommen.
In Ian Purnells Videos gibt es Fassaden des Reichtums nicht nur von oben aus der Luft, sondern auch aus der Hundeperspektive zu sehen. Ren und die Kamera laufen durchs Schloss Broich, durchs Rathaus, sie begegnen dem verdächtigen Gärtner und dem Poolboy (die Ausländer sind bei Enid Blytons ideologischen Geschichten immer die Kriminellen, auch das bleibt natürlich nicht unausgesprochen im Stück, auch das wird zum sprachlich inszenierten Gedankensprung). In eine Uhlenhorst-Villa sind copy & waste nicht hineingekommen. Albrecht hat die Unmöglichkeit der eigenen Bilder zum Textthema gemacht: »Wie pflanzt man Gewächse derart, daß dahinter alles verschwindet? Und jetzt IST dahinter alles verschwunden, und niemand weiß, wohin.« Häuser sind immer auch Menschen bei copy & waste. Architektur ist immer auch in Emotionen zu übersetzen. Ortsspezifisch heißt also auch gesellschaftsspezifisch, Gestaltung von Räumen bedeutet für copy & waste auch Selbstgestaltung.
Wie leben wir? Diese Frage stellen alle ihre Arbeiten. Mal im überbordenden Wort-Wegwerf-Schauspiel, das Strukturschwäche mit noch mehr Unübersichtlichkeit beantwortet, wie bei »Einsatz hinter der V.ierten Wand«. Mal im konzentrierteren Installationsformat, das vergnügt den vielen Assoziationen nachlauscht, wie bei ihrer aktuellen Performance. Copy & waste begeben sich wie Blytons Spürnasen auf Entdeckungsreise. Nein, sie werfen sich hinein in die Welt der Sprache, des Internets, des Fernsehens, der Lebensräume. Sie verschwenden sich. Und das ist ein wahrer Luxus.
Termine 5. & 7. Juli 2013. Tel.: 0208/99316-0 www.ringlokschuppen.de