TEXT: ULRICH DEUTER
Kunst in Kästchen ist nicht sein Ding. Heiner Goebbels, selbst ein genialer Erfinder von Kunst zwar aus Musik, doch ohne Label, setzt auch im zweiten Jahr seiner Ruhrtriennale-Intendanz auf spartensprengende Produktionen. Bei der Auswahl seiner Mitstreiter folgt er jedoch festem Muster: Bereits aus seinem ersten Jahr bekannte Künstler wie Romeo Castellucci, Robert Lepage, Boris Charmatz, Anne Teresa De Keersmaeker, Robert Wilson, Tarek Atoui sind auch 2013 mit von der Partie.
Für die Interdisziplinarität des 150 Veranstaltungen umfassenden Programms mag beispielhaft Harry Partch stehen: Der 1974 verstorbene amerikanische Komponist schrieb nicht nur Musik, die völlig quer zur europäischen Kompositionstradition funktioniert, sondern ließ sie auch auf eigens geschaffenen Instrumenten spielen. Weil das »Chromelodeon« und andere unikale Tongeber in den USA stehen, ist der Geistesbruder und Zeitgenosse von John Cage hierzulande nur Insidern bekannt. Die Kölner musikFabrik aber hat nun ihrerseits Partchs Hybriden bauen lassen und führt dessen letzte große Musiktheaterarbeit »Delusion of the Fury« am 23. August in der Jahrhunderthalle Bochum auf: die Triennale-Eröffnungs-Inszenierung in Goebbels’ Regie.
Dahingegen wirkt Helmut Lachenmanns Oper »Das Mädchen mit den Schwefelhölzern«, von Robert Wilson in einer speziellen Steil-Arena inszeniert, regelrecht klassisch; wenn aber die britische Trip-Hop-Band Massive Attack sich mit dem Suggestiv-Dokumentarfilm-Macher Adam Curtis zusammentut, dann dürfte eine Schublade dafür schwer zu finden sein. Das synästhetische Ereignis findet in der gewaltigen Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg statt, wo von Beginn des Festivals an auch die Lichtblitz-Klangstakkato-Installation »test pattern« des japanischen Bild-Ton-Künstlers Ryoji Ikeda ausgebreitet sein wird, ein gigantisches, unter den Füßen der Besucher zuckendes Barcode-Areal. Beide sicherlich eine »kollektive Halluzination«, wie Massive Attack-Komponist Robert Del Najas seine Arbeit preist, und Beispiele für die von Goebbels intendierte »Anhäufung installativer Arbeiten« bei der diesjährigen Triennale, damit der Zuschauer selbstbestimmt verweilen und interagieren könne.
Ganz »analog« (Komponist Goebbels) hingegen seine Musikmaschine aus Klaviaturelementen, Ästen, Metallzungen, Schlegeln, Walzen, Nebel, Wasser und anderem, die im Zentrum von »Stifters Dinge« steht und ein »Klavierstück ohne Pianisten« hervorzaubert – und doch eine Begegnung ist mit dem zu vielen Seiten offenen Rand der Musik. Was, auf andere Weise, auch für das Konzert gelten mag, dass das ChorWerk Ruhr in der Jugendstil-Maschinenhalle der Dortmunder Zeche Zollern mit Werken von John Tavener und Arvo Pärt geben wird – sakrale Musik, der kathedral-ähnlich schleppenden Akustik des neuen Auftrittsortes geschuldet und angemessen.
Robert Lepage wird seine 2012 begonnene Tetralogie »Playing Cards« im Salzlager Zollverein mit »Hearts« fortsetzen: als suggestives Bildertheater. Ein Theater der verstörenden Konfrontationen hingegen ist von den 20 »Situation Rooms« zu erwarten, die die in NRW gut bekannte Gruppe Rimini Protokoll (in der Jahrhunderthalle) aufbaut, um in jeweils speziell eingerichteten Kammern Krieg, Verfolgung, Waffentechnik per iPad und Kopfhörer aus der Sicht der handelnd oder leidend Beteiligten erleben zu lassen. Darüber hinaus treffen Forced Entertainment den libanesischen Klangkünstler Tarek Atoui, lässt Boris Charmatz erneut Kinder tanzen. Und kürt auch diesmal eine Kinderjury die langweiligste Produktion.
Ruhrtriennale vom 23. August bis 6. Oktober 2013. Ticket-Hotline 0221/280210. www.ruhrtriennale.de