TEXT: ANDREJ KLAHN
Die Arrangements der beiden Schwarz-Weiß-Aufnahmen gleichen sich wie die Zwillinge, die auf ihnen zu sehen sind. Jodi Biebers 1995 entstandene Fotografie »The silence of the Ranto Twins« zeigt zwei junge schwarze Mädchen, die schüchtern in die Kamera schauen. Sie stehen niedlich herausgeputzt und etwas verloren vor einer dunklen, porösen Wand, tragen weiße, mit Spitze verzierte Hüte, passend geklöppelte ausladende Kragen, Strickjäckchen, weiße Überröcke und Kniestrümpfe. Ihre Arme berühren sich, die Körperhaltung ist dieselbe wie die der siebenjährigen eineiigen Zwillinge Cathleen and Colleen Wade, die Diane Arbus 1966 in Roselle, New Jersey, aufgenommen hat. Als hätte Bieber knapp drei Jahrzehnte später in Südafrika so etwas wie das Negativ zu Arbus’ »Identical Twins, Roselle, New Jersey, 1967« anfertigen wollen, um den Schwarz-Weiß-Kontrast auch als politischen vor Augen zu führen. Als Hell und Dunkel umkehrenden Kommentar zur weißen Fotohistorie – denn auf Arbus’ berühmtem Bild sind die Gesichter der Mädchen und der Hintergrund hell, die Kleider aber schwarz.
»The silence of the Ranto Twins« macht anschaulich, dass Biebers Arbeit von Anfang an mehr ist als Reportage-Fotografie auf der Suche nach dem entscheidenden Moment. Die Aufnahme gehört zu einer Werkgruppe, die im Museum Goch am Anfang ihres beeindruckend facettenreichen Schaffens steht. Entstanden ist »Between dogs an wolves« ab Mitte der 1990er Jahre, beginnend nach den ersten freien Wahlen in Südafrika.
Zu dieser Zeit arbeitete die Tochter weißer Eltern als freie Fotografin bei der Tageszeitung The Star. Da hatte die südafrikanische »struggle photography«, die den Kampf gegen die alltägliche Diskriminierung mit der Kamera führte, ihre dramatischste Phase bereits hinter sich. Doch auch Jodi Bieber folgt in den 1990er Jahren und bis heute einem sozialdokumentarischen Impuls. Die politische Dynamik und den gesellschaftlichen Transformationsprozess nach dem Ende des Apartheidregimes will sie mit der Kamera festhalten, ohne sich dabei von der Tagesaktualität den Blick verstellen zu lassen.
ERKUNDIGUNG DER RANDBEREICHE
In ihrem Langzeitprojekt »Between dogs an wolves« erkundet die 1966 in Johannesburg geborene Bieber Randbereiche der südafrikanischen Gesellschaft; Gegenden, in denen Angehörige der Mittelklasse, der auch Bieber entstammt, sich nicht zuhause fühlen. Sie geht auf Entdeckungstour durch ihr Heimatland. Dorthin, wo sich schwarze Kinder zum Spaß Pistolen in den Mund stecken. Oder sie erkundet den Johannesburger Stadtteil Fitas, wo der arbeitslose Kleinkriminelle David Jacobie mit seiner Mutter in einem Gemeindehaus wohnt. Ihn hat Jodi Bieber Tag und Nacht begleitet, und anders als viele ihrer Kollegen sucht sie vorher das Einverständnis derjenigen, die sie fotografiert. So konnte sie Jacobie nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Friedhof aufnehmen, wo er sich ausruht; tagsüber fotografiert sie ihn in den Straßen und Hinterhöfen, beim Abhängen. Mal versteckt Jacobie resignativ den Kopf zwischen den Knien, mal steht er als ausgelassener Possenreißer im Mittelpunkt. Bieber überlässt diese Bilder dem Betrachter nicht kommentarlos, sondern stellt ihnen Zitate Jacobies an die Seite.
Klarsichtig reflektiert der junge Mann seine Situation, so distanziert und analytisch, als schaute er mit der Kamera auf sein Leben: »In dieser armen Nachbarschaft zu leben ohne die Möglichkeit sie verlassen zu können, egal wie sehr Du es willst, baut Wut und Trauer auf. Man kann es in ihren Gesichtern lesen, die meisten haben diesen versteinerten Blick. Du musst ihnen nur in die Augen sehen, denn ihre Augen sind die Spiegel ihrer Seelen. Es spielt keine Rolle wie fröhlich ihr Gesicht aussieht, sie sind nicht glücklich.«
KRIEGSPORNOGRAFIE?
Heute gehört Jodi Bieber zu den gefragten Reportage-Fotografinnen. Sie hat für das New York Times Magazine, für Geo und den Stern fotografiert und wurde für ihre Reportagen mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem »World Press Photo Award 2011« für ein Foto, das im Auftrag des TIME Magazine entstanden ist. Es zeigt die 18-jährige Afghanin Bibi Aisha, der die Taliban Nase und Ohren abgeschnitten haben. Nach der Veröffentlichung sah sich Bieber mit dem Vorwurf der »Kriegspornografie« konfrontiert, weil sie die verstümmelte Frau schön zeigte, und weil die nicht von ihr stammende Schlagzeile »What Happens if We Leave Afghanistan« das Leiden instrumentalisierte. Bieber aber stellte die Gegenfrage: Würden diejenigen, die sie kritisierten, in einem solchen Foto gerne furchtbar aussehen?
Zu sehen ist Biebers bekanntestes Bild in Goch nicht. Die Ausstellung »Between Darkness and Light« rückt vornehmlich Projekte in den Fokus, die Bieber neben den Auftragsarbeiten verfolgt hat. Auch in diesen Serien ist Gewalt gegen Frauen ein dominantes Thema. »Woman who murder their husbands«, 2005 an nur einem Tag im Gefängnis entstanden, beschäftigt sich mit Opfern, die zu Tätern geworden sind: Frauen, die für sich reklamieren, ihre Ehemänner umgebracht zu haben, um sich vor ihnen zu schützen. Jeweils ein Porträt zeigt die Verurteilten, ein weiteres ihr privates Umfeld in den Zellen.
REALE SCHÖNHEIT
Weniger offen wirkt der Zwang auf Frauen, den die 2008/2009 entstandene Serie »Real Beauty« thematisiert, wenngleich in recht plakativer Umsetzung. Frauen in Unterwäsche posieren vor Biebers Kamera. Selbstbewusst stellen sie ihre Körper zu Schau, die den Schönheitskriterien der Mode-industrie mitnichten entsprechen. Ein jedes dieser Bilder gerät zum heute dann doch etwas wohlfeilen Plädoyer gegen photogeshopte Makellosigkeit und ist zugleich Aufforderung, Schönheit nicht in Kilo zu messen.
Über einen Zeitraum von 15 Jahren verfolgt die Ausstellung Jodi Biebers Entwicklung, die von der schwarz-weiß fotografierten Sozialdokumentation hin zur Bildkomposition in Farbe führt. Anschaulich wird dies in der wunderbaren Serie »Soweto«, entstanden in den Jahren vor der Fußballweltmeisterschaft, die 2010 in Südafrika stattfand. »Soweto« versammelt Bilder, die aus dem Impuls heraus gemacht sind, eine vorweggenommene Gegenerzählung zu schaffen. Andere Geschichten zu erzählen als die, die die ausländischen Reporter in den Townships suchen würden, um die geneigten Fans in aller Welt in den Halbzeitpausen mit Kriminalität, Armut und HIV-Durchseuchung landeskundlich zu unterhalten.
Jodi Bieber wollte die South Western Townships, die zum Symbol des Kampfes gegen die Apartheid geworden sind, so zeigen, wie ihre Bewohner sie sehen. Ambivalent und reich an Kontrasten. Also fuhr Bieber eigenen Angaben zufolge über 7.000 Kilometer durch die Siedlungen, drei Monate lang, und fotografierte: ein wellblechbedachtes Haus, auf dessen Außenwand jemand »No Fear« gesprayt hat; ein schwarzes Mädchen, das durch das ausgeschnittene Gesicht einer kitschigen Papp-Prinzessin linst; eine zur Vase umfunktionierte Fanta-Flasche mit üppigen Hortensien-blüten; die rot über einem gelben Bungalow in den tief violetten Nachthimmel leuchtende Reklametafel eines Grillrestaurants; den Muster-Overkill aus weiß-rot gepunkteter Tischdecke, aufgedruckten Früchten, gestreiftem Kissen, gepunktetem Überzug, vor dem sich ein grobes Karo tragender junger Mann mit Schiebermütze behauptet.
Wer will, mag in dem Coverbild des »Soweto«-Bandes, der im Jahr der Weltmeisterschaft erschienen ist, eine weitere fotohistorische Anspielung erkennen: Es zeigt ein ausschließlich von Schwarzen besuchtes Freibad, mit leicht schräg versetzt aufgenommenem Schwimmbecken; der Horizont teilt das Bild in der Mitte. Die Aufnahme ruft unweigerlich Joel Sternfelds Schwimmbadbild »McLean, Virginia« ins Gedächtnis, das der amerikanische New Color-Pionier 1987 in seine einflussreiche Serie »American Prospects« einreihte. Dem programmatischen Anspruch, der in diesem Zitat mitklingt, halten Biebers Bilder stand. Während Sternfeld die deprimierende Buntheit des »american way of life« durch pastellfarbige Dezenz zu bannen verstand, entdeckt Bieber mit ihren »südafrikanischen Ansichten« die Buntheit eines Landes, das lange unter dem Schwarz-Weiß-Denken litt.
Jodi Bieber: »Between Darkness and Light«, Museum Goch bis zum 26. Mai 2013. www.museum-goch.de