TEXT UND INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Auf den ersten Blick passen Ort und Thema perfekt zusammen. Der zweite Blick aber macht skeptisch: Klammert sich das Ruhr Museum unter seinem neuen Direktor Theodor Grütter an eine Vergangenheit, die seit Jahrzehnten rasant schwindet und spätestens mit dem Ende der Steinkohlesubvention 2018 endgültig vorbei ist? Ein K.WEST-Gespräch über die Aufgaben eines »Heimatmuseums des Ruhrgebiets« sowie über das kraftvolle Fortleben eines totgesagten Stoffs.
K.WEST: Herr Grütter, einmal Kohle, immer Kohle? Warum nimmt das Ruhr Museum die Pütt-Brille nicht ab?
GRÜTTER: »Kohle.Global« wird absolut keine Nostalgieausstellung. Weder bezieht sie sich aufs Ruhrgebiet und seine Kohlezechen, noch hat sie überhaupt eine historische Ausrichtung, sondern eine ökonomische und geologische. Zwar ist die Ära der Kohle im Revier erst einmal vorbei, das sollte uns aber nicht zu der falschen Annahme verleiten, auch weltweit sei das so. Das Gegenteil ist der Fall. Die International Energy Agency sagt, dass bis 2035 die fossilen Energieträger – also Öl, Kohle, Erdgas – drei Viertel des weltweiten Energiehungers stillen, und das meiste hiervon deckt wiederum die Kohle. An der Stromerzeugung ist sie zu über 50 Prozent beteiligt. Kohle wird heute weltweit gefördert, nicht mehr nur im nördlichen Erdgürtel, auch längst in China, Indonesien, Indien.
K.WEST: Nur nicht mehr bei uns!
GRÜTTER: Irrtum! Im Ruhrgebiet nicht mehr, dafür aber in den Braunkohlerevieren am Niederrhein und in der Lausitz. In Nordrhein-Westfalen produzieren wir mehr Kohle als je zuvor, Braunkohle eben. Deutschland ist der weltweit größte Braunkohleproduzent überhaupt, RWE global gesehen der zehntgrößte Kohleproduzent. Die öffentliche Meinung glaubt, die Kohle sei am Ende. Die Realität sieht anders aus. Kohle ist ein Boom-Stoff weltweiten Ausmaßes. Die Kohleströme – Kohle als Handelsware – fließen rund um den Globus. Führen von Südafrika über Südamerika in unsere Kraftwerke. Stichwort Energiewende: Noch ist Kohle die Nummer Eins der sogenannten Brückentechnologie. Und was wir in Deutschland an Braunkohle abbauen, wird hier verfeuert, auch in Kraftwerken im Ruhrgebiet. So gesehen kann man sagen: Das Revier ist immer noch Kohleland.
SECHS JAHRE DAUERTE DIE VORBEREITUNG
Auch der Handel mit Holz, Seltenen Erden oder Computerchips ist global; doch ist Kohle für Grütter ein quasi naturwüchsiges Thema des Ruhr Museums. Die Erfahrungen mit 180 Jahren Montanindustrie in all ihren Facetten – Entstehung von Städten, Vernichtung von Landschaft, Wachsen des Wohlstandes breiter Schichten, Entwicklung sozialen Selbstbewusstseins, Fortschritt der Technik, schließlich Abbau von Großindustrie auf breiter Fläche – prädestiniere für einen besonderen Blick auf die Länder, in denen dieselben Prozesse sich nun mutatis mutandis wiederholten.
Der Anlass für diese Kohle-Schau allerdings waren Zweifel, die sich bei der Konzeption der Dauerausstellung des Museums in den Jahren vor der Gründung 2010 auftaten: Während die Historiker im Museumsteam ganz selbstverständlich vom Ende der Kohle und damit vom Beginn der De-Industrialisierung ausgingen, warnten die Geologen und Wirtschaftsfachleute vor Voreiligkeit, erzählt Grütter. Und die Zahlen, die sie nach und nach präsentierten, hätten nachdenklich gemacht. Etwa, dass in China in zwei Jahren so viel Kohle gefördert werde wie im Ruhrgebiet in seiner gesamten Geschichte. Oder dass die weltweiten Kohlevorräte noch für hunderte von Jahren reichen: die Reserven seien so groß, dass man es bislang für nicht nötig befunden habe, einen Standard für ihre Berechnung zu entwickeln.
Vor einem Jahr hat Heinrich Theodor Grütter die Direktion des Ruhr Museums von Ulrich Borsdorf übernommen; doch »Kohle.Global« datiert noch aus dessen Amtszeit, etwa sechs Jahre dauerte die Vorbereitung durch die Kuratorin, die Geologin Ulrike Stottrop, und ihre Kollegen, die weltweit recherchierten. Der globale Blick, sagt Grütter, sei aber für Geologen selbstverständlich, schließlich sei ihr wissenschaftlicher Gegenstand nicht regional einzugrenzen und datierten die Kohlevorräte aus einer Zeit, als die Landmasse noch in einem einzigen Kontinent, Pangäa, vereint waren.
300 MILLIONEN JAHRE IM ZEITRAFFER
Im Zentrum der Ausstellung – gestaltet von der Schweizerin Ursula Gillmann und dem Stuttgarter Medienbüro »Jangled Nerves« – dreht sich ein drei mal drei Meter messender Globus, auf dem das Entstehen der Kohle vor rund 300 Millionen Jahren im Zeitraffer zu sehen ist, das Wandern der Kontinente, die heutige Verteilung der Lager sowie die Handelsströme der Kohle. Beinah auf einen Blick wird deutlich, dass die Menschheit in der erdgeschichtlich winzigen Zeitspanne, die es sie gibt, die über Millionen Jahre gewachsenen Schätze der fossilen Zeit verfrühstückt.
GRÜTTER: Man sieht, wie sich die Kohle über die Erde verteilt, man sieht, wo die Verantwortlichen des Kohlegeschäfts sitzen – interessant ist, der größte Kohlenhändler der Welt ist eine Firma aus der Schweiz. Die Seitenräume widmen sich der Technik und den sozialen Aspekten des Bergbaus. Es gibt Interviews mit Kumpeln aus den Kohleländern der sogenannten Dritten Welt, die ihr Arbeitsleben schildern. Man muss wissen, dass auf der einen Seite in Ländern, wo die Kohle dicht an der Erdoberfläche lagert, gigantische Maschinen im Einsatz sind, so wie wir es aus der Braunkohle bei Garzweiler kennen. Da ist der Arbeitsplatz des Bergmanns ein Bildschirm-Job. Auf der anderen Seite arbeiten aber zirka 20 Millionen Menschen noch immer im Individualbergbau, wie das hierzulande vor der Industrialisierung der Fall war, und dies mit allen Konsequenzen. Kohle bedeutet auch am anderen Ende der Welt Fluch und Segen zugleich, befördert Wohlstand, vernichtet die Umwelt.
Da wo Kohle gefördert wird, entstehen Städte – Geschichte und Gesellschaft folgen der Geologie, so wie die Dauerausstellung im Ruhr Museum es für das Ruhrgebiet deutlich macht. Und wie dort präsentiert »Kohle.Global« neben Foto- und Filmdokumenten auch Objekte: verschiedenste Kohlesorten aus den verschiedensten Lagerstätten der Welt, bis hin zum selbst gepressten Brikett einer chinesischen Hausfrau; Fossilien, Kohleprodukte, Modelle der Fördertechnik, Arbeitsgeräte und Erinnerungsstücke aus der Welt der Kohle – von all dem aber nur Minimales aus dem Ruhrgebiet.
K.WEST: Die Sichtweise des Ruhr Museums war bislang historisch, also rückwärts: »Gold vor Schwarz« oder »200 Jahre Krupp«. Jetzt mit »Kohle.Global« ist sie seitwärts. Welche Richtung kommt als nächste?
GRÜTTER: Zusammen mit dem Deutschen Bergbaumuseum, dem Haus der Geschichte des Ruhrgebietes und den Industriemuseen planen wir ein größeres Projekt, das den Ausstieg aus der Kohle kommentiert. Der Wechsel in neue Industrien ist meines Erachtens die Herausforderung der nächsten zehn Jahre, und der muss kulturell vermittelt werden.
K.WEST: Aber das Bewusstsein des Strukturwandels ist doch seit Jahrzehnten in den Köpfen! Spätestens seit der IBA.
GRÜTTER: Dieser Prozess ist längst nicht zu Ende oder zum Erfolg geworden. Sicher, erst mit dem Verschwinden der Montanindustrie begann die Identifikation der Menschen mit der eigenen Region. Aber eine handfeste Perspektive ist daraus nicht erwachsen. Die Zukunftsgewissheit ist eher gestört. Das Ruhrgebiet muss noch viel genauer seine Wurzeln betrachten, um zu wissen, wohin es nach dem Ende der Kohle wachsen will. Ein Ruhrgebiet ohne Industrie, das ist Illusion. Aber welche Industrie, das wissen wir noch nicht so genau.
15. April bis 24. November 2013. Tel.: 0201/24681-444. www.ruhrmuseum.de