TEXT: ULRICH DEUTER
Sigmund Freud zufolge geht der humoristische Lustgewinn aus erspartem Gefühlsaufwand hervor. Wendet man den Blick aber vom einzelnen und seiner Seele ab auf die Kommunikation zwischen mindestens zwei Menschen, die eine komische Rede ja in der Regel darstellt, so sieht man rasch, dass von Witz, Satire, Parodie e tutti quanti Viele etwas haben. Bis auf die natürlich, die das Ganze nicht verstehen. Und das sind nicht nur die, die generell ihre Probleme mit doppelter Bedeutung haben. Sondern vor allem die, die der Community nicht angehören und folglich deren Codes nicht kennen, mit deren Spiel der Spaß funktioniert. Die Folge ist: Die die lachen, erleben nicht nur einen Lustgewinn, sondern auch eine verstärkte Gruppenzuge-hörigkeit. Die, die nicht lachen können, sind außen vor.
Und schon sind wir nicht nur in Essen, also Nordrhein-Westfalen, dessen eine Einwohnerhälfte dem Humor der anderen grimmig verständnislos gegenübersteht. Sondern auch und vor allem in der Zuwanderergesellschaft. Worü-ber Deutschtürken lachen, was sie komisch finden, lässt sich wahrscheinlich weniger aus den Auftritten Fatih Çevikkollus oder Django Asüls herauslesen, die eher Kabarettveranstaltungen für Deutsche mit Interesse an Migrantenkomik sind, als aus den Scherzchen und Witzchen, die beim Familienfest oder Fastenbrechen spontan und flüchtig über den Tisch fliegen und dann recht wahrscheinlich auch die eigene Situation als Migrant inmitten der Übermacht des und der Deutschen zum Thema haben.
Jedenfalls ist davon ein soziologisches Forschungsprojekt überzeugt, das am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) begonnen hat und ein wenig unkomisch »Migration und Komik – Soziale Funktionen und konversationelle Potentiale von Komik und Satire in den inter-ethnischen Beziehungen Deutschlands« heißt. Projektleiterin Halyna Leontiy jedoch ist ein lustiger Mensch und das Projekt selbst durchaus geeignet, Spaß zu machen und dabei Neuland zu kartieren. Nämlich den Bereich, in dem die Soziotope der Eingesessenen und der Zuwanderer kommunikativ aufeinanderstoßen und per komischer Rede markiert werden.
FELDFORSCHUNG IST NÖTIG
»Wir wollen herausfinden«, sagt Leontiy, »wie und mit welchen Mitteln der komischen Genres die Kommunikation zwischen Migranten und Einheimischen verläuft, aber auch die interne Kommunikation in der eigenen Community. Wie verarbeiten Migranten ihre oft konfliktreichen Migrationserlebnisse und Identitätskonflikte mithilfe der Komik? Aber auch, wie lachen sie über andere Migrantengruppen?«
Um zu erfahren, wie Migranten die Komik im Alltag einsetzen, wie sie über sich und über andere kommunizieren und mit welchen komischen Mitteln, ist eingehende Feldforschung nötig, »teilnehmende Beobachtung«, wie Leontiys Kollege Michael Walter präzisiert. Leontiy: »Als Mi-grant ist man in der Öffentlichkeit lieber zurückhaltend. Zuhause darf man mehr sagen, das müssen wir ethnografisch erforschen. Wir haben die zwei statistisch größten Gruppen im Blick, Deutschtürken sowie Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, also Russlanddeutsche. Wir wollen die Menschen kennenlernen, ihr Vertrauen gewinnen, gute Beziehungen zu ihnen aufbauen.« Diese Forschungen werden sich über viele Monate hinziehen, es »werden Beobachtungsprotokolle und Feldnotizen erstellt – und wenn möglich – durch Video bzw. Tonaufnahmen ergänzt«, sagt Walter.
Diese, die sicherlich anstrengendste und spannendste Phase des Projekts, beginnt im Sommer; wobei Leontiy, die 1973 in der Ukraine geboren und in Konstanz promoviert wurde, die Erforschung der Alltagskomik der Aussiedler übernimmt. Für die der Deutschtürken wurde eine Wissenschaftlerin deutsch-türkischer Herkunft gefunden.
Samt einer Pilotphase arbeitet »Migration und Komik« seit 2010; im ersten Projektabschnitt lag der Schwerpunkt auf der Erforschung institutionellen Scherzemachens, sprich des Ethno-Kabaretts. In seinem Kabarettprogramm und Buch »Der Moslem-TÜV« macht sich etwa der in Köln geborene Fatih Çevikkollu (»Ich sehe aus wie Ali und spreche wie Hans«) über die deutsche Angst vor dem Islam lustig, er zieht den Zuschauer/Leser immer wieder auf seine Seite, bevor er einen interkulturellen Alltags-Clash karikiert und damit einen Boden gemeinsamen Lachens unter die Bruchlinien zwischen Deutschen und Deutschtürken legt. Ähnlich sind Kaya Yanar oder Bülent Ceylan unterwegs.
AUCH SPÄTAUSSIEDLER HABEN KABARETT
Dass auch Aussiedler ihre Kabarettisten haben, ist weniger bekannt. Lilia Tetslau ist eine von ihnen; doch da die Gruppe der Russlanddeutschen insgesamt in der Öffentlichkeit wenig präsent ist, ist es auch das Bühnenkabarett, das diese Menschen erfreut. Tetslau tritt ähnlich wie Çevikkollu als sie selbst auf, also als eine Eingewanderte, die Probleme mit dem hat, was unentwegt von ihr verlangt wird: »Integrier’ dich!« Wie so eine Bühnenszene abläuft, kann Halyna Leontiy sehr schön wiedergeben: »Sie sagt, ich bin jetzt in diese Stadt gekommen, in das Hochhaus mit vielen Nachbarn, und ich will mich integrieren. Nimmt sich also eine Flasche Sekt in die Hand, kann noch kein Deutsch außer vielleicht ›Freundschaft‹ und ›Guten Tag‹, klingelt an der Tür – die Leute haben sie angeschaut und sofort verstanden, dass sie ein Problem hat. Und als sie im 9. Stock war, war sie voll – integriert.«
Mehrere solcher Veranstaltungen hat das kleine Essener Team mit je zwei Kameras aufgezeichnet, eine auf die Bühne, eine ins Publikum gerichtet, um die jeweilige Reaktion auf den jeweiligen Sketch zu erfassen; vorher, in der Pause, hinterher wurden Kurzinterviews mit den Zuschauern geführt. Leontiy: »Manche sagen dann, ich habe jetzt mehr erfahren über Aussiedler, wie es ihnen geht, und was sie für Erlebnisse haben. Und deswegen hat so eine Veranstaltung auf jeden Fall eine aufklärerische Funktion.« Die Strategie in den meisten Fällen funktionierender Bühnenkomik heißt Perspektivübernahme; das gemeinsame Lachen über die Selbstironie der Aussiedlerin dort auf der Bühne zum einen, ihre Witze über die seltsamen Eigenarten der Deutschen zum andern schafft eine neue interkulturelle In-Group im Saal. Michael Walter: »In der Veranstaltungswirklichkeit, also während das Kabarett läuft, funktioniert die Vergemeinschaftung schon ziemlich gut. Wie sich das dann nach außen hin transportiert, das wäre dann eine andere Frage.«
KEINE ANGST VOR JUDENWITZEN
»Als betreutes Kabarett ist das schon manchmal bezeichnet worden«, fährt Walter mit stillem Lächeln fort und meint Tetslau, Peter Braun, Katharina Fast und andere Comedians, die in Spätaussiedlerkreisen und ihrem Umfeld mit einer Art Integrationskabarett auftreten, das eindeutig einem pädagogischen Impetus folgt und zeitweilig sogar von für Integration zuständigen Ministerien unterstützt wurde. Was eindeutig nicht für »Rebell Comedy« gilt, jenen jungen, aus Aachen stammenden Stand Up-Comedians mit Frontmann Benaissa Lamroubal, die frech und bisweilen auch grob durchs multikulturelle Unkraut pflügen. Auch sie sind in einer Szene zuhause; doch während die der beim »Deutschen Nachmittag« in Kruft versammelten, aus der Sowjetunion spätausgesiedelten Mennoniten erzkonservativ ist und der gastierende Kabarettist kreuzbrav (auch gegenüber der deutschen Politik); ist jene so schräg, »schwarzköpfig«, von Grenzüberschreitung begeistert wie »Rebell Comedy« selbst. Die nicht einmal Angst davor haben, Judenwitze zu reißen. Leontiy und Walter haben auch die »Rebell«-Show ›untersucht‹ und herausgefunden, dass deren Publikum »solche Themen« besonders gut gefallen haben. Wohl weil sie in der formierten Öffentlichkeit des Fernsehens tabu sind.
Gibt es schon erste Thesen über die Wirkweise der Komik, betätigt sie sich nun eher in- oder eher exkludierend, dient sie und wenn ja wie der Akkulturation? Da werden im KWI abwehrend die Hände gehoben: Wissenschaft braucht Zeit! 2015 soll das von der DFG geförderte Projekt abgeschlossen sein. Dann erfährt man mehr. Und hoffentlich etwas über das längst Bekannte hinaus.