TEXT: NICOLE STRECKER
Der Mann, dieses derzeit so Quoten-und Sexismus-gequälte Wesen, steckt auch bei ihm, wie er sagt, »in der Krise«: Jefta van Dinther, Choreograf mit Vorliebe für einen maskulinen Cast. In seinen Männerkörpern scheinen die Knochen ihre Härte verloren zu haben. Alles schlängelt, wabbelt, wellt supersoft vor sich hin, ohne Ende, ohne Pause. Erotisch sieht das aus, manchmal auch ein bisschen lächerlich, wie eine ironische Mischung aus dem Klischee-Bild vom ›Mann, mehr Hose als Hirn‹ und genussvollem Sex-Narzissmus.
»Wir sind es nicht gewohnt, den Mann in einer sinnlichen Beziehung zu sich selbst, zu seinem eigenen Körper zu sehen«, sagt van Dinther und zeigt eben das. 50 faszinierende Minuten lang, und zwar, wie der Titel verheißt, ziemlich explizit: »This is Concrete« heißt van Dinthers neues Stück, mit dem er im März auf PACT Zollverein gastiert.
Zwei Tänzer in Darkroom-Intimität reiben die Körper an einem Lautsprecher. Fetisch ›Treiber‹, denn aus ihm kommt, was die beiden Männer ganz offenbar in wollüstige Wallung bringt: supercool designter Techno (Komponist: David Kiers), Jefta van Dinthers bevorzugte Musikrichtung. Schon in seiner Erfolgsproduktion »Grind«, für die er zuletzt den Preis »Wild Card 2012« beim NRW-Festival »Favoriten« bekam, waren es die düsteren Loops und Grooves des Techno, die ihn in seinem großartigen Solo vor sich her und zugleich in endlos wiederholte Bewegungsmuster trieben – in dunkel-gewaltsame Ekstase.
Er liebe am Techno das veränderte Verhältnis zur Zeit: das Verstreichen von Zeit und zugleich die Stagnation. So kann man es natürlich auch ausdrücken, wenn man wie er gern in Clubs geht. Clubs in Berlin, van Dinthers Wahlheimat. Clubbing sei die eine Inspirationsquelle für seinen spezifischen Bewegungsstil. Kundalini Yoga ist eine andere. Beiden gemeinsam sind repetitive Strukturen, langsame »Transgressionen«, wie van Dinther sagt, sein Stilprinzip.
Schon als man ihn das erste Mal in einer eigenen choreografischen Arbeit sah, hing er irgendwie in einer Endlosschleife. In »It’s in the air« federte er eine Stunde lang gemeinsam mit Ko-Choreografin Mette Ingvartsen auf zwei Trampolins. Mal brettsteif, mal als Vierfüßler, beglückt, gequält, auf und ab. Eine Provokation, eine Clownerie auch, und van Dinther – ein wunderbar tiefernst-komischer Performer. Ein Abend, den man nicht vergisst.
Er sei nicht humoristisch veranlagt, behauptet van Dinther jetzt, und sein Weg zur Kunst war nicht gerade von postmoderner Ironie geprägt. Als Kind tanzte und sang er noch im Dienste des Herrn in der Öffentlichkeit – seine Eltern waren baptistische Missionare. Dann wandte er sich von der Religion ab und den Männern zu. Ein Problem für seine Eltern, das schon, erzählt van Dinther. Andererseits: kein allzu großes mehr, vor ihm hätten schon sein älterer Bruder und seine Schwester ihr – ungleich dramatischeres – Coming-Out gehabt.
Die schmerzhafte Rebellion also erlebte er mehr als Zeuge, und da wäre nichts, was heute tänzerisch therapiert werden müsste. So ist auch sein neues Stück »This is Concrete«, in dem er und der Tänzer Thiago Granato sich anbaggern, abknutschen und das Publikum mit ihrer Intimität konfrontieren, zwar persönlich, aber nicht politisch. Zu Homosexualität habe er nichts zu sagen, zu Sexualität schon. »Für mich geht es um immaterielle Phänomene wie Sinnlichkeit, Sich-Angezogen-Fühlen, Begehren – das sind Kräfte, aus denen Bewegung und Choreografie entsteht.« Und der krisengebeutelte Mann? Er ist für van Dinther weniger ein soziologisches, als ein philosophisch-existenzielles Phänomen: Der Mann auf seiner Bühne ist verwundbar, seinen eigenen Affekten ganz und gar ausgeliefert und wirkt in der widerstandslosen Gummi-Trancewelt des Dancefloors wie ein weltentrückter Astronaut im All. Begehren in unendlichen Weiten. Doch immerhin: Auch die endet irgendwann in Erlösung: Weiße Luftballons schießen vom Boden in den schwarzen Bühnenhimmel – welch’ wunderbar romantisch-spöttische Klimax.
8. und 9. März 2013, PACT Zollvein, Essen. www.pact-zollverein.de