TEXT: ALEXANDRA WACH
In dem Jahr, in dem deutsche Truppen in Polen einfallen und damit den Zweiten Weltkrieg entfachen, balanciert er mit seiner Kamera auf der Aussichtsplattform des Eiffelturms. Das Mannequin vor ihm ist nicht zu beneiden. Während es sich mit der einen Hand am Gerüst festhält, fächert es mit der anderen sein ausuferndes Faltenkleid auf und blickt todesmutig in die Tiefe. Es ist nur ein Modebild, aber zugleich auch ein versteckter Kommentar auf das am Abgrund schwebende Europa.
Gerade mal drei Jahre lang betrieb Erwin Blumenfeld in Paris das Metier der Modefotografie, als ihm in New York ein Vertrag angeboten wurde. Bereits der dritte Landwechsel des Berliners aus einer gutbürgerlich-jüdischen Familie stand bevor. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg verkehrte der rebellische Jugendliche während seiner Lehre in einem Damenkonfektionsgeschäft mit Else Lasker-Schüler, Erwin Piscator und George Grosz. Dann wurde er 1917 eingezogen. Kaum heimgekehrt, zog er, angewidert von der deutschen Autoritätsgläubigkeit, mit seiner Frau nach Holland, wo er den Lebensunterhalt der Familie mit Lederwaren verdiente. Seine grausamen Fronterlebnisse als Sanitätswagenführer verarbeitete er nebenher unter dem Namen Jan Bloomfield in wütend antibürgerlichen Collagen – als »Sonntagsmaler futuristisch-dadaistischer Prägung«, wie er selbstironisch meinte. Und er experimentierte mit der Lichtkunst, auf überbelichteten Schwarzweiß-Porträts ätherisch blasser Frauen, die hinter durchsichtigen Schleiern den Blick in die Ferne schweifen lassen.
»Auch wenn er als Fotograf nicht berühmt geworden wäre, so wäre er es mit Sicherheit als zynischer und beunruhigender Beobachter des Lebens mit all seinen weniger angenehmen Aspekten geworden«, schrieb später sein Freund Cecil Beaton. Damit war vor allem die »Hitlerfresse« gemeint, eine Fotomontage von 1932 mit dem Gesicht des Diktators, verfremdet zum Totenkopf, die zehn Jahre später von der amerikanischen Luftwaffe als Flugblatt über deutschen Städten abgeworfen werden sollte. Blumenfeld lernte Beaton, den Hofporträtisten der britischen Königsfamilie, in Paris kennen, wo es ihn nach der Episode in Amsterdam wegen der blühenden Presselandschaft hingezogen hatte: Er wollte endlich professioneller Fotograf werden. In den Zirkeln der Surrealisten fand er Fürsprecher, die ihn nicht nur in seiner avantgardistischen Sehweise bekräftigten. Sie verhalfen ihm zu den ersten ambitionierten Publikationen in der Kunstzeitschrift Verve. Dank seiner Kontakte nach Übersee verschaffte Beaton dem innovationsfreudigen Kollegen die Anstellung bei Harper’s Bazaar – wenn auch nur für kurze Dauer. Als Blumenfeld nach einem Jahr wieder den französischen Boden betrat, war das Land bereits von den Nazis besetzt und der feindliche »Reichsdeutsche« wurde im Konzentrationslager Le Vernet interniert. Wie durch ein Wunder gelang ihm die Flucht; zum zweiten Mal überquerte er den Atlantik.
AUFSTIEG IN DEN OLYMP
Mit dem eigenen Fotostudio am 222 Central Park South, das er zwei Jahre später in New York eröffnet, beginnt sein kometenhafter Aufstieg in den Olymp der bestbezahlten Modefotografen, ein Genre, das ihm zwar fortan die Existenz sichert, für das er aber nur wenig übrig hat. Spöttisch brüstet er sich rückblickend gerne damit, »diesen kunstfeindlichen Eitelkeitsjahrmarkt zu verachten«. Seine nicht selten anarchistisch angehauchten Auftragsserien für Vogue, Cosmopolitan, Harper´s Bazaar, Life und Look setzen trotzdem Maßstäbe, nicht zuletzt, weil der Perfektionist mit Sinn für die Schnitte und die Eigenheiten der Stoffe nichts dem Zufall überlässt, von der Auswahl der Modelle bis zur Verwendung der neuesten technischen Möglichkeiten.
In Essen zeigt man nun Arbeiten, die in den Jahren 1941 bis 1960 entstanden sind: Schwarzweiß-Motive, Originalmagazine und rund 100 Abzüge von digital rekonstruierten Diapositiven, die als Druckvorlagen verwendet wurden. Die von der Enkelin Nadia Blumenfeld-Charbit, dem Museum Folkwang und dem Musée Nicéphore Niépce in Chalon-sur-Saône gemeinsam kuratierte Werkschau fokussiert auf die Farbe, das Markenzeichen des Studios. Blumenfelds verblasste 664 Spezial-Farbfilme wurden von dem Chaloner Fotomuseum vier Jahre lang am Computer bearbeitet. Bisher waren nur die Bildstrecken bekannt, die beim Artdirector und Drucker nicht in Ungnade gefallen waren. Der Rest verschwand ohne Abzug für die private Dokumentation in seinem Archiv.
Die Wirkung der wiederhergestellten Originalfarben ist verblüffend plastisch, wenn die grüne Abendrobe des blonden Vamps auf »City Lights« von 1946 vor dem nachtdunklen Hintergrund zum Greifen nahe erscheint. Aber auch das zeitlose Werbefoto »Red Cross«, das die März-Ausgabe der amerikanischen Vogue von 1945 schmückte, kurz vor der Kapitulation von Deutschland und Japan, hat nichts von seiner Modernität verloren. Die schlanke Frau im schwarzen Kleid und dem türkisfarbenen Hut posiert hinter einer Art Milchglas. Die Konturen lassen sich kaum erkennen, lösen sich in der Immaterialität einer versteckten Lichtquelle auf. Die Hände sind nach vorne ausgestreckt, suchen Distanz zum Betrachter. Oder sollen sie Assoziationen an eine betende Madonna-Figur auslösen? Überstrahlt wird die rätselhafte Pose von einem roten Kreuz, das sich fast über den ganzen Körper erstreckt, ein geometrisches Monster, ähnlich einschüchternd wie Malewitschs Ikone »Das Schwarze Quadrat«, wäre da nicht der Hefttitel »Do you part for the Red Cross«, der auf die Versorgung von Verwundeten und befreiten KZ-Häftlingen durch Rot-Kreuz-Helferinnen verweist. Eine bis heute ungewöhnliche Kampagne, minimalistisch in der grafischen Auflösung und gewagt in der Kombination von Ethik und Stil.
MÄDCHEN MIT LEICA
Der Mut, die konventionelle Modepräsentation auf die Probe zu stellen, auf künstlerische Verfahren des »Neuen Sehens« und der surrealistischen Ästhetik zurückzugreifen wie Solarisation, Mehrfachbelichtung, Verzerrung von Proportionen oder Farbverfremdungen, zahlt sich aus. Davon zeugen über hundert Covers, die auf das Konto des Studios gehen, aber auch verworfene Titelblattentwürfe wie die Idee für die amerikanische Vogue vom Mai 1949, die in das nobel weiße Gesicht des Models einen Gitterschatten projiziert und damit Alexander Rodtschenkos revolutionären Klassiker »Mädchen mit Leica« von 1934 zitiert.
Blumenfelds europäische Herkunft fällt selbst in den strengsten Kompositionen auf, denen die Porträtierten, darunter auch die blutjungen Grace Kelly und Audrey Hepburn, mit ballettwürdigen Schiefhaltungen trotzen. Die Kleidung gerät dabei fast in den Hintergrund, wie die bunten Handschuhe, die eine auf dem Boden ausgestreckte kühle Schönheit unbeachtet liegen lässt, oder die roten Lippen in Großaufnahme, denen als einziges Accessoire Zigarettenqualm entsteigt. Der Modezirkus? Viel Rauch um nichts eben, mit reichlich »Geschmack von morgen«, den zu entdecken Blumenfeld selbstbewusst in seiner mit Sarkasmen und pikaresken Provokationen überquellenden Autobiografie »Einbildungsroman« für sich reklamierte. Fertig gestellt hat er sie kurz vor seinem Tod 1969 in Rom. Obwohl auf deutsch geschrieben, fand sie im Land seiner Geburt erst 30 Jahre später einen Verleger. Die Begründung: »Zu respektlos, zu ironisch, keine sentimentale Erinnerungen«.
Bis 5. Mai 2013. Englischsprachiger Katalog mit deutschem Einleger im Steidl Verlag, 38 Euro. Tel.: 0201/8845 444. www.museum-folkwang.de