TEXT: ULRICH DEUTER
Am 14. September 2001 müht sich ein Tieflader einen einsamen Waldweg im Rothaargebirge hinauf. Die Last, die er auf 13 Achsen voranschleppt, ist ein Felsblock riesigen Ausmaßes, dreieinhalb Meter breit und hoch, doppelt so lang, 140 Tonnen schwer – die Vorform eines Kunstwerks. Auf einer Lichtung tief im Wald, auf dem Kamm irgendwo in der Mitte zwischen den Ortschaften Bad Berleburg und Schmallenberg, endet die Fahrt. Ein Spezialkran hebt den Felsen, braun-grauen, unbehauenen Quarzit, auf ein Betonfundament, das zwischen locker stehenden Buchen vorbereitet ist. Acht meterdicke Baumstämme werden rings um den Steinkoloss aufgerichtet, schließlich in einer Höhe von sechs Metern mit waagerechten Stämmen wie durch Architrave verbunden: »Stein-Zeit-Mensch«, eine Großplastik des Land-Art-Bildhauers Nils-Udo (Pflugfelder).
Kunst im Wald ist, wie Kunst am Bau, in den meisten Fällen ein Schwindel mit der Etikette Kunst; gelungene Interaktion zwischen dieser und ihrem Antagonisten Natur (nicht zu verwechseln mit Kunst im Park) ist so selten, dass man, sie zu erleben, schon die Fahrt ins Kroeller-Müller-Museum im niederländischen Otterlo antreten muss. Nun aber kann man mit seinem Wunsch im Lande bleiben, muss jedoch, vom Kerngebiet Nordrhein-Westfalens aus, immer noch eine weite Reise tun: ins Hochsauerland und den Kreis Siegen-Wittgenstein. Hier, so weit entfernt von jeder Autobahn wie nirgendwo sonst in NRW, ist in vierjährigem, gemächlichem Wachstum ein einzigartiges Kunstprojekt entstanden, der »Waldskulpturenweg Wittgenstein-Sauerland«. Auf gut 17 Kilometern, in den Wäldern zwischen Schmallenberg im Norden und Berleburg im Süden, sollen bis 2005 elf Kunstwerke entstehen; sieben, vielleicht neun davon werden Ende dieses Jahres verwirklicht sein.
Nils-Udos »Stein-Zeit-Mensch« ist das größte von ihnen. Das Kunstwerk mit der Anmutung eines heidnischen Tempels, vielleicht eines Hünengrabs ist von seltsamer Doppeldimension: erschlagend und grob in der Nähe, schlank sich zwischen die Bäume fügend, sobald man nur wenige Meter zurücktritt. Der bayerische Künstler, der sonst eher vergängliche Land-Art-Gebilde voller Demut gegenüber der Natur anfertigt, hat hier ein Dauerwerk geschaffen – und sich dazu hybrider menschlicher Technik bedient, ohne die seine Arbeit nicht hätte bewältigt werden können. Selbstironie? Einen ähnlichen Widerspruch trägt »The Monument of the Lost Falcon« in sich aus, eine Erd- und Pflanzskulptur des New Yorker Künstlers Alan Sontist. Da der aus einem hüfthohen Erdwall bestehende Umriss des »verlorenen Falken« eine Fläche von 30 mal 45 Metern auf einer Waldlichtung bedeckt, ist seine Gestalt nur aus der Vogelschau zu erfassen – für Menschen heißt das: aus der Flugzeugperspektive. Oder eben nie.
Während der »Lost Falcon« im September eingeweiht und in einigen Jahren überwachsen und vom Wald zurückgeholt sein wird, steht Ansgar Nierhoffs »Kein leichtes Spiel« schon seit 2000 an seinem Platz im dunklen Tann, war damit die erste der Waldskulpturen und wird die beständigste sein. Titel und Werk – eine Torsituation aus 40 Zentimeter starkem Stahl – meinen dasselbe: die Schwierigkeit, Getrenntes zu verbinden, Schwellen zu überschreiten, Türen aufzustoßen. Damit spielt der Kölner Künstler auf die Grenze an, die jahrhundertelang Schmallenberg von Berleburg trennte: die Sprachgrenze zwischen Nieder- und Mitteldeutsch (Hessisch) sowie die Religionsgrenze zwischen protestantisch (Wittgenstein) und katholisch (Sauerland). Eine Schranke, die sogar heute noch wirksam sei, wie Wolfgang Völker bedauert, wenn er von der Weltoffenheit der Sauerländer schwärmt, die ihrem Gebiet einen florierenden Tourismus beschert habe, während die Wittgensteiner nach wie vor ein in sich gekehrtes Völkchen seien, arbeitsam, obrigkeitstreu. Völker ist Mitglied der »Wittgensteiner Akademie«, einem Kulturverein, der den Waldskulpturenweg gelegt hat – in privater Regie, doch kuratiert vom Leiter des Marler Skulpturenmuseums, Uwe Rüth, und finanziell erheblich unterstützt von der Landesregierung. Die sah in dem Konzept eine Gelegenheit, die kulturelle Entwicklung an der Peripherie des Landes zu beschleunigen und nahm dafür Kritik von Opposition und Bund der Steuerzahler in Kauf, die das stete Anwachsen der Fördersumme bis zu einer Höhe von derzeit 570.000 Euro moniert hatten. Viel Geld, gewiss; doch handelt es sich hier nicht um die Verhübschung eines Waldweges, sondern um den Aufbau einer einzigartigen Sammlung von Kunstwerken ungewöhnlicher Art aus der Hand von Künstlern internationalen Rangs, die über ihren inhärenten Wert hinaus dem stillen Bergland einen (hoffentlich nicht so großen) Besucherschub bescheren dürfte, wenn sie erst einmal bekannt geworden ist.
Währenddessen ruht Nierhoffs Plastik, ungeachtet auch ihres didaktischen Hintergrunds, gemeinsam mit den sie umgebenden Fichten in einem langen, den Wanderer festhaltenden Schweigen. Andere Waldskulpturen sind da beredter: Lili Fischers Installation »Hexenplatz« plappert, raunt und gruselt mit Geräten, Lehrtafeln und Märchenwaldelementen vom Treiben und Ausgetriebenwerden sagenhafter sowie historischer Hexen im Schmallenberger Land. Und Andreas Oldörps Klangskulptur »Über den Teichen« sendet gar veritable Orgeltieftöne durchs liebliche Tal des Klosters Grafschaft. Nicht nur Land Art sollte zu sehen sein, sondern eine Vielfalt künstlerischer Ansätze in der Auseinandersetzung mit Natur, das war Rüths Maßgabe. Und so wird mit Jochen Gerz’ »Der Wettbewerb« im Juli auch eine soziale Skulptur eingeweiht, ein Briefwechsel zwischen den Bürgern von Berleburg und Schmallenberg, dessen nachdenkliche Zeilen auf 71 Schildern in jeder Ortschaft dokumentiert sind. Arbeiten von Gloria Friedmann und Heinrich Brummack sollen noch in diesem Jahr verwirklicht werden; solche von Maria Nordmann und Magdalena Jetelova komplettieren dann die Sammlung.
Tel: 02751/51-93633, Tourist-Information Bad Berleberg. www.waldskulpturenweg.de