VON STEFFEN KOPETZKY
Steffen Kopetzky, 1971 in Paffenhofen geboren, ist Prosa- und Theaterautor. Für sein Stück »Herr Krampas: Auftauchend« erhielt er 1999 den Else-Lasker-Schüler-Preis; zuletzt erschien von ihm der Roman »Grand Tour oder Die Nacht der Großen Complication«. Zusammen mit dem Bonner Generalintendanten Klaus Weise ist Kopetzky künstlerischer Leiter der Biennale Bonn 2004, die erstmals (nach dem Ende der Ära Manfred Beilharz/ Tankred Dorst) im veränderten Konzept stattfindet. Das Festival widmet sich einer Stadt: New York; nicht nur mit Theatergastspielen, sondern auch mit Filmen, Lesungen und bildender Kunst. – Für K.WEST berichtet Steffen Kopetzky von seinen dreimonatigen Recherchen in der Kunsthauptstadt der Welt.
Sobald man in New York landet, vergisst man, dass man eigentlich woanders lebt. New York ist eine Stadt, die einen nahezu von Beginn an animiert, kreativ zu werden. Ob Koch oder Taxifahrer oder Künstler, jeder, der nach New York, nach Manhattan kommt, möchte da bleiben und es schaffen. Denn wenn man es in New York schafft, schafft man es überall – dieses Credo entwickelt eine faszinierende Eigendynamik.
Ich bin hauptsächlich zu Fuß durch diese Stadt gegangen. Mit meinen Cowboy-Stiefeln – durchgenäht und aus unverwüstlichem Leder. Wir hatten ein paar Fixpunkte, die wir zuvor recherchiert hatten, diese und jene Theater, da ging ich einfach mal hin, um zu schauen, was gespielt würde. Ganz einfach. Im Foyer sieht man ein paar Flyer herum liegen, Programmhefte anderer Bühnen, und so kommt man weiter. Und wenn man das ein paar Monate lang macht, hat man einen gewissen, wenn auch vielleicht eher atmosphärischen Überblick. Und stellt unter anderem zu seiner Überraschung fest, dass die international operierenden Festivals hier in Europa – auch in Deutschland –, wenn sie Theater aus New York einladen, mit einem relativ kleinen Ausschnitt der Szene arbeiten. Das sieht man zum Beispiel an »Flow«, einem Stück, von dem alle sagen werden: Unglaublich, dass das noch nie in Europa zu sehen war! Weil es so wirkt, als ob man es längst kennen müsste, es ist The Essence of HipHop Theater! So etwas kriegt man aber eben nur mit, wenn man ein bisschen länger als drei Tage in der Stadt ist.
Wie findet man sich zurecht in dem Dschungel New York? Mir ist es bei meiner Recherche nicht anders ergangen als jedem Einwanderer dort: Man kommt an, ist allein und kennt niemanden. Dann lernt man als einsamer Einzelkämpfer jemanden kennen, fängt an, im Dialog mit jemandem was zu machen. Bis man dann eine Community um sich hat, eine Family – das sind die drei Stufen eines Einwanderers in New York und die lassen sich auch in den Produktionen der Theater gut zeigen. Sodass das die Struktur der Auswahl geworden ist: One Man Shows, Couples und Families.
Um Einzelkämpfer und ihre Sehnsucht nach einem Gegenüber geht es zum Beispiel oft bei Richard Maxwell, von dem wir mit »Showcase« und »Good Samaritans« zwei Produktionen eingeladen haben. In den One-Man-Shows ist oft die Herkunft das kulturelle Kapital, mit dem jemand wuchert. Denn praktisch jeder, der in New York Kunst macht, ist zugezogen. Und wenn du dich nicht erinnerst, wo du herkommst, gehst du unter. Es sei denn, du bist Millionär. Wenn das nicht der Fall ist, wenn du erst einmal Fuß fassen musst, bist du ohne Herkunft verloren. Wenn du Theater machen willst, ist dein kultureller Background das Kapital, das du mitbringst. So wie bei Luis Chaluisan mit »Spic Chic«: Er erzählt, wie es ist, wenn man aus Puerto Rico allein in New York ankommt. Er zeigt es so, dass es andere interessiert: in ein paar prägnanten Stichworten. Auf die Art klappt es auch. Man fängt allein an, man versucht, Partner zu finden, aus zweien werden mehrere, die ähnliche Geschichten mitbringen, und dann wird es eine Family.
Schließlich haben wir die großen Produktionen wie »Alladeen«, »bobrauschenbergamerica«, »People Are Wrong!«, »Macbeth« und »To You, The Birdie!«. Die sind nur deshalb möglich, weil dahinter Families stehen, die seit zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren inmitten dieses eigentlich kunstfeindlichen und wirklich nur vom Geld regierten Großstadtdschungels zusammenhalten. Und innerhalb dieser Families wiederum ist das Zentrum eine Persönlichkeit, meistens eine Frau, die um jeden Cent kämpft und alles Böse fern hält. Bei The Builders Association (»Alladeen«) ist es Marianne Weems, bei der Siti Company (»bobrauschenbergamerica«) die fantastische Anne Bogart und bei der Wooster Group (»To You, The Birdie!«) die legendäre Elizabeth LeCompte.
Wenn Sie der Wooster Group einen Besuch abstatten, dann klingeln Sie in der Wooster Street an einer schäbigen Metalltür, drücken auf eine dieser typischen weißen New Yorker Klingelknöpfe neben einem Millionen Mal überschriebenen Schildchen und steigen dann eine schmale, steile Treppe hinauf – das Ganze nennt sich ja Performing Garage, die Probebühne der Wooster Group. Die großen Performances werden allerdings an anderen Spielorten in New York aufgeführt. Oben öffnet sich ein Verschlag, es zeigen sich verschiedene Durchbrüche, aus denen ein großes, labyrinthisches Büro entstanden ist. Das ist der Sitz der Wooster Group. Da stößt man unter anderem auch auf ein Baby, weil dessen Mutter in der Gruppe arbeitet und sonst keine Betreuungsmöglichkeiten hat. Der Kleine kommt übrigens mit nach Bonn, weil die Mutter ihn ja nicht aussetzen kann für die Zeit des Gastspiels. Family soll übrigens nicht heißen, dass es da immer harmonisch zugeht, es fliegen auch die Fetzen. Aber auf der Grundlage einer stabilen Beziehung; eine solche Stimmung herrscht dort.
Alles in New York dreht sich um Beziehungen, Public Relations und Human Relations. Und wenn man keine Beziehungen hat, bezahlt man. So einfach ist das. Wenn du nach New York kommst und auf den Rat von anderen angewiesen bist, kostet es. Jeder Blick kostet sozusagen einen Dollar. Jedes Wort von jemand Wichtigerem kostet fünf Dollar. Dabei ist es sehr wichtig, wie man sich benimmt. Wenn man sich nicht benehmen kann, bezahlt man extra. Wenn man oberflächlich vorgeht, bezahlt man. New York ist wie ein Königshof – deswegen ist es auch so faszinierend, der »Wooster Group« bei ihrer Interpretation der Phaedra zuzusehen.
Es geht in New York eben selbst zu, wie in einem Stück, aber vielleicht eher von Shakespeare, immer gibt es ein paar, die den Thron oder die Königin haben wollen, und das setzt sich in eben dieser Dynamik bis nach unten fort. Das macht das ständige Klima von Revolte aus, genährt von Hoffnung, Ehrgeiz und Illusion. Soll sagen, man fängt als gnadenloser Provinzler irgendwo an, und je nachdem wie man sich benimmt, kann man es bis an die Pforte eines Herzogs schaffen.
Von daher war es für mich eine Schule der Höflichkeit und davon, wie man miteinander umgeht. Mit Respekt. Niemand verschwendet gerne die Zeit eines anderen – keiner hat welche. Egal ob er Gürtel auf der Straße verkauft oder ein Taxi durch Manhattan schaukelt oder eine weltberühmte Theatergruppe leitet.
Andererseits bin ich durch diese Aufenthalte in New York zu einem Patrioten geworden, jemand, der seine Heimat liebt. Für uns ist dieses stinknormale Stadttheater-Foyer, in dem wir hier in den Godesberger Kammerspielen sitzen, nichts Besonderes. Aber genau darum würden uns viele in New York beneiden. Leute, die in Büros hausen, die irgendwo unter einer Treppe liegen, über die alle fünf Minuten eine neue Prostituierte mit ihrem Freier nach oben poltert. Denen gehen die Augen über, wenn sie sehen, was wir in Deutschland für Möglichkeiten besitzen! In New York hat Deutschland einen unglaublich guten Ruf als Kulturnation. Wie gesagt, ich bin darüber fast zu einem Patrioten geworden. Wir haben eine fantastische kulturelle Infrastruktur, einen solchen Reichtum – und wie gehen wir oft damit um! Wie abschätzig und selbstverachtend.
Was den 11. September betrifft, so ist in den Produktionen, die im Augenblick laufen, das Thema allenfalls unterschwellig vorhanden. Der Irak-Krieg hat ziemlich einhellige Abscheu ausgelöst, jedenfalls soweit ich es kennen gelernt habe. Ich meine, ein Viertel der Taxifahrer kommt aus dem Nahen Osten, von denen werden Sie kein Lob darüber hören, dass ein arabisches Land bombardiert wird. Obwohl die in New York leben und sich als New Yorker fühlen.
Einerseits muß man verstehen, daß New Yorker Produktionen in der Regel einen sehr langen Vorlauf haben. Da gab es den 11. September manchmal noch gar nicht. Bei unserer Reihe »Drama! Now!« sind allerdings Stücke zu hören, in denen 9/11 eine Rolle spielt. Bis die dann allerdings herauskommen…
In den Produktionen, die wir gesehen und zum Teil eingeladen haben spielt das grundamerikanische Thema Gewalt aber natürlich eine große Rolle. Natürlich der »Macbeth«, oder auch »God Created Great Whales«: Dessen Autor und Komponist, Rinde Eckert, vertritt die These, dass Amerika das Land der dritten Söhne ist. Das meint: Diejenigen, die Amerika eroberten, waren die, die in Europa den dritten Söhnen entsprachen, die nichts erbten, sondern fortziehen und etwas Neues erobern mussten. Die vielleicht in friedlicher Absicht kamen, aber spätestens bei der Ankunft in New York merkten, dass Amerika Kampf bedeutet. Für Rinde Eckert ist »Moby Dick«, um den es in »Great Whales« geht, ein zentraler Text der amerikanischen Kultur, weil in ihm die Sehnsucht des Amerikaners nach der Neuentdeckung, der Eroberung neuen Territoriums thematisiert wird. Hat das jetzt zu tun mit dem 11. September und dem Irak-Krieg? Natürlich hat es viel damit zu tun. | Dokumentaton: Ulrich Deuter
Die »Biennale Bonn:New York 2004« findet vom 12. bis 20. Juni statt. Insgesamt 102 Veranstaltungen an knapp 20 Orten und mit zahlreichen anderen Institutionen der Bundesstadt zeigen einen Querschnitt durch die Kunstszene im Big Apple, viele der eingeladenen Produktionen waren noch nie in Europa zu sehen. Informationen zum Festival unter www.biennale.bonn.de. VVK: 0228/778-008 und 778-022.