TEXT: ANDREAS WILINK
Kulinarisch ist er ein Feinschmecker, ästhetisch eher ein Allesfresser. Von gutem Essen versteht Walter Bockmayer etwas; die Küche behauptet sich bei ihm und seinem Lebensgefährten Rolf Bührmann zentral – als zeitgemäße Variante des Lagefeuers – im Wohnbereich des großzügigen Kölner Hinterhauses. Eine Etage drüber, Ruhezone und Arbeitsgebiet, hat er ein veritables DVD-Lager angelegt (wo sich früher Videokassetten stapelten – so lange kennen wir uns schon). Die Filme erheben wahrlich nicht alle Anspruch auf den klassischen Kanon. Oder was soll man von einem Titel wie »Geständnis einer Nonne« halten, einer nicht sehr katholischen Beichte mit Anita Ekberg, und erklärtermaßen ein Favorit Bockmayers? Man würde angesichts des blasphemischen B-Movies nicht unbedingt vermuten, dass der Trash-Fan – noch vor Bette Davis, John Waters, Neil Jordan etc. – als Lieblingsfilm Bergmans »Lächeln einer Sommernacht« nennt. Vielleicht aber kommt man dieser Wahl näher, wenn man weiß, was Bergman über seine depressive Situation im Jahr 1955 vor »Sommarnattens Leende« schreibt: »Ich hatte zwei Alternativen: das Drehbuch zu schreiben oder mich umzubringen«. Die das Ich enthüllende und verbergende Kunst als lebensrettende Maßnahme.
»Die Welt muss romantisiert werden«, forderte Novalis 1798 in seinen »Fragmenten und Studien«. Walter Bockmayer, ein Romantiker des verbotenen Glücks Kitsch, würde vermutlich emphatisch ausrufen und dabei die Augen ebenso rollen wie die Arme in einer imaginären Showgeste kreisen lassen: »Die Welt muss trivialisiert werden«. Bockmayer zündet »Sternstunden des guten schlechten Geschmacks«. Aus einer zügellosen Schöpfungsorgie, deren Ursprung die billigen Schlagerfilme der 60er Jahre sind, tauchen seit drei Jahrzehnten auf: eine alte Tarzanbraut in Hot Pants, ein Bayer in New York, Leute vom Rummel und Kiez, eine Carmen vom Klapperhof und eine Triviata, die keine dezent hüstelnde Salondame ist, jede Menge Huren, Transen, Schwule, Dingsdas im Dirndl, Drag Queens und Königinnen der Herzen. Im Zeichen der seit Kindertagen von ihm bevorzugten Ente (die Firma, die all das und einiges mehr unter ihre Fittiche nimmt, heißt »Entenproduktion«) regiert Bockmayer als Zeremonienmeister quietschvergnügt über das rosa Reich mit einem Hofstaat »bester Freundinnen« und Engeln im Männerfell. Was von einem beinahe totalitär zu nennenden Kunstanspruch zeugt. Wally oder wie er die Welt sieht. Er sieht sie jedenfalls so, dass in ihr seine Träume wahr werden. Und die anderer, hat er doch unter anderem Hella von Sinnen, Dirk Bach, Ralph Morgenstern und Veronika Ferres auf die Bühne verholfen. Träume, die sich jedenfalls nicht in der zweiten Reihe erfüllen: »Entweder Solist oder gar nicht.« Und so ist auch das Fotoshooting mit ihm helle Freude – ein Spiel ohne Grenzen. Wenn’s sein müsste, würde er für die Kamera auch strippen. Lampenfieber heißt bei ihm, dass die Sicherungen durchbrennen.
Jahrgang 1948, kleinbürgerliches Elternhaus in der pfälzischen Provinz. Das Brot der frühen Jahre der Adenauer-Republik, an der er vielleicht nicht litt, weil er sie sich bunt ausmalte. Ein Junge, der lieber stickt als Fußball spielt (ganz anders als Freund Rolf). Fast wäre er mit Zigeunern im »Grünen Wagen« auf und davon gegangen. Von einem Filmvorführer wird er früh in den Männersex eingeweiht; die erste große unglückliche Liebe erlebt er mit GI Gary, für den er, als wäre es eine Rolle der Leander, nach Georgia/USA auswandert, wenn auch nur für ein paar Monate. Nach der Rückkehr geht er auch mal kurz auf den Strich – bereits in Köln angekommen.
Eine Zeitlang hat Bockmayer Garderobier gespielt an der dortigen Oper, aber da war er eigentlich schon Künstler, der bald seine ersten Super-Acht-Filme dreht, die »Nymphomanie« heißen oder »Salzstangengeflüster« und »Salzstangengeschrei«. So ging es weiter: Eine Zeitlang Anti-Star. Eine Zeitlang Hollywood, als der ausgezeichnete Bundesfilmpreisträger Shelley Winters und Sydne Rome für das Zirkus-Melodram »Looping« vor die Kamera holte. Eine Zeitlang Mädchen (aber nicht Mann) für alles für »Mary« Rainer Werner Fassbinder (RWF). Eine Zeitlang Kneipier der längst legendären Kölner »Filmdose«, die er dann fix zur Minibühne umkrempelt, auf der allein seine selbstgeschriebenen Stücke »Geierwally« und »Sissi – Beuteljahre einer Kaiserin« tausend Mal laufen. Eine Zeitlang und stets aufs Neue Theaterbesitzer, Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler, Revue-Inszenator und Ziegfield vom Vedel. Aber immer – und das mit Profitum und Perfektion – das Gesamtkunstwerk Walter Bockmayer alias Wally alias Waltraud alias die Bockmayersche,
Dass wir »von der Frucht besserer Zeiten« leben, wie Novalis seine Gedanken fortsetzt, würde Bockmayer verneinen. Die süße, schon etwas faulige Frucht, das sind ihm die fiesen, fetten, schrägen, schrillen Zeiten. Alle Zeit ist ihm gemäß – und nicht er ihr. Er biegt sie sich zurecht. Et kütt wie’t kütt, sagt der Kölner. Und er, obwohl in Fehrbach geboren und in Pirmasens aufgewachsen, ist so kölsch wie Millowitsch und Trude Herr es waren und kölscher als Bio je sein wird.
Er kann sich amüsieren, exaltieren, mokieren über tolle Tussen in US-Talkshows und in deutschen Urwald-TV-Camps, über doofe Blondinen wie Paris Hilton, die allem Anschein zum Trotz dennoch wissen, was sie tun, über 17-jährige Society-Töchter mit aufgespritzten Lippen, über maliziöse Diven, falsche Witwen, tranige Luder, bekiffte Ex-Stars und andere Biester oder den Glitzer-Magic von Siegfried und Roy. Sein Geschmack ist noch heute eher Oskar Roehler als Wim Wenders. Lieber Divine, den-die-das er einst in London besuchte, um das monstre sacré zu casten, als das Ondulierte, Moderate, Gesittete. Dieter Hildebrandt konnte sich nichts Langweiligeres vorstellen als einen Abend mit Wolfgang Mischnick zu verbringen, wie würde sich Walter Bockmayer wohl mit, sagen wir: Senta Berger fühlen? Nicht auszudenken.
Empathie und Ironie schließen sich bei ihm nicht aus. Sein Witz ist scharf, sarkastisch, beißend, sein Frohsinn unermüdlich, seine Direktheit entwaffnend: »Was hinter der Hand getuschelt wird, finde ich furchtbar.« Das schätzt er auch an Ingrid Caven, ehemals Madame Fassbinder. »Sie geht voll in die Konfrontation.« Bei Bockmayer muss man nur Blattschüsse fürchten, er meuchelt nicht in den Rücken.
Er scheint schmerzfrei zu sein, was aber womöglich das Resultat geglückter Auto-Immunisierung ist. Und Überlebens-Strategie: »Ich bin en Tunt, das sage ich, bevor es andere hinter mir herrufen. So habe ich alle Vorteile auf meiner Seite.«
Tabubrüche und erotische Libertinage waren bei ihm nie revolutionäres Projekt, sondern angewandte Praxis: »Besser schwul – als ein altes Wollkleid«, hat er eine Kundin in einem Backladen angeblafft. Bockmayer besitzt seine eigene, egozentrische Ideologie, die den Underground in eine spitzengesäumte Beletage hievt. Das Politische ließ er links liegen – ob als sozialer Befund wie bei Rosa von Praunheim, als eskapistisch opernhafte Geste wie bei Werner Schroeter, oder als verzweifelt genaue, glamouröse Analyse wie bei Fassbinder, in dessen 41 Filmen Liebe immer das Instrument gesellschaftlicher Unterdrückung ist. Bei Bockmayer ist es anarchisch juchzende Befreiung – gewiss die gesündere Form der Revolte. Bei ihm scheitert der Außenseiter nicht, sondern verschiebt in der Selbstfeier den Rand zur Mitte.
Als Kind, erzählt er, habe er in der heimischen US-Garnisonsstadt Pirmasens halb bewusst mitbekommen, wie Kinder farbiger Soldaten ausgegrenzt wurden. Man spielt nicht mit den Schmuddelkindern, Negerkindern, schwulen Jungs. Dieses Programm hat er früh kapiert. Ganz ohne aggressive Tendenz ist er nicht, weder in seinen Filmen noch in den kölschen Bühnen-Lustspielen, die das Comedy-Genre aus dem Hinterzimmer bis ins Fernsehstudio geholt haben. Ganz ohne ist er selbst auch nicht. Blitzschnell erfasst er Personen und Situationen. Ein Voyeur aus Instinkt – »der geborene Spanner« und »zeigefreudig –, dem das Loch im Theatervorhang zweites Auge ist. Gewissermaßen die Variation zu diesem Urmotiv bildet der Blick aus seinem Apartment-Fenster am Zweitwohnsitz Miami vis à vis zu einem begehrenswerten »Danish«.
Mit dieser schönen Aussicht lässt er seine Lebenserinnerungen »Flammende Herzen« (dtv, 2005, 14,50 Euro) beginnen und enden, und auch sonst kreuzt als running gag und erotisches Phantasieobjekt dieser Danish ab und an die Seiten des Buches, auf dessen Cover Bockmayer als eine Art schwules Funkenmariechen die Beine wirft. Schon die Eröffnung von Zadeks Bochumer Schauspiel-Intendanz hat er damals als Animateur im Fummel begleitet.
Das erste Outing findet auf Seite 19 seiner Herzens-Ergießungen statt, wo Bockmayer die Affäre von Horst Buchholz mit einem hübschen Wirtssohn, Arthur, aus dem Heimatdorf kolportiert. Indiskret wie alles, was folgt. Bockmayer ist ein scheuer Mensch, der das Wort »Schamgefühl« nicht kennt. Ein Widerspruch? Er hat ein geradezu ignorantes bis arrogantes Verhalten gegenüber der öffentlichen Wahrnehmung und unterhält zugleich ein libidinöses Verhältnis zum Publikum. Warum diese chronique scandaleuse? Einfach, weil’s stimmt. Und raus wollte.
Etwa 100 Seiten der Lebens-Beschreibung, die sich ohne exakte Datierungen zur wattigen Wunder-Wirklichkeit zusammenschiebt, sind der Schere zum Opfer gefallen. Das Instrument hat im eigenen Kopf Schnipp gemacht: Selbstzensur mit juristischem Beistand. Es hätte Klagen gegeben, wenn Bockmayer dem Affen noch mehr Zucker gegeben hätte. Dass einige der solcherart Verschonten ihren Platz an Fassbinders Tisch in seiner »Wurst« getauften Wohnung gegenüber dem Stammlokal »Deutsche Eiche« in München hatten, muss kein Geheimnis sein. Man mag diese Kürzungen nicht unter erzähl-ökonomischem Aspekt bedauern, wohl aber für den Lustgewinn am Wahrheitsspiel – Bockmayers »Chinesisches Roulette«.
Überhaupt RWF, der Bescheidwisser über die Angst – über die »Angst vor der Angst«, über den »Angstapparat aus Kalkül«, über »Angst essen Seele auf«, um es mit einigen seiner Filme oder deren Leitmotiven zu sagen. Fassbinder hat nach Ansicht von Bockmayers »Jane bleibt Jane« im April 1977 einen schönen Aufsatz über den Film geschrieben und darin sein Thema erkannt: nämlich, dass »Jane bleibt Jane« die Angst derer, die ihn drehten, vor dem Alter »erfahrbar, spürbar, endgültig« mache. Das wäre so ein Erklärungsmodell für Bockmayers Credo, dass »jeden Tag Karneval« ist, weil man ja irgendwann dem Fleisch ade sagen muss. Es ist halt ein Tanz über Gräbern. Auch ein Liebes-Reigen. Und es hat zu tun mit Bockmayers Erfahrung, »dass die Älteren ihm etwas erzählen, die Jüngeren jedoch er entertainen muss«. Gleiches gilt für den Sex, sagt er. Der hyperaktive Mittfünfziger fühlt sich selbst wie 20: »Sonst könnte ich die Stücke gar nicht schreiben, die ich schreibe. Würde ich 80, wäre ich wahrscheinlich auf dem Stand eines 40-Jährigen.«
Gerade mal 36 wurde der Freund RWF. Der Bauer von Babylon, wie ihn mal jemand bezeichnet hat, wird von Bockmayer zärtlich in all seiner Disparatheit geschildert. Die erste Begegnung mit »Mary« ist »Die Audienz« überschrieben. Fassbinder befahl. Man folgte. Auch Bockmayer und Bührmann, die bald zum inner circle gehörten. Beide wissen, wen sie in der Fassbinder-Familie mögen und wen nicht. Und wen sie für anmaßend halten bei der Verwaltung der Legende – Ingrid Caven nicht, Irm Hermann nicht, auch Harry Baer nicht.
Die wilden Siebziger, wie weit das zurückliegt. Die schwulen Exzesse, die dark rooms, die hardcore-Szene am Hudson in Manhattan, in die Bockmayer mit RWF hinabsteigt, und die brave Bürger, die nur einen Teddybär-Schwulen wie Wowereit kennen, bei der Lektüre von »Flammende Herzen« nicht für möglich halten werden. Bockmayer ist unversehrt daraus hervorgegangen, der andere nicht. RWF starb im Mai 1982. München, Berlin, Cannes, Paris, New York, Manila – Alkohol, Koks, Tabletten. Der weiße Traum, der auch die Sehnsucht der Veronika Voss und deren Tod war, wurde zum Horrortrip, auch für Bockmayer. Nur durch ein Ultimatum seines Freundes Rolf und dank seines eigenen festen Willens hat er sich daraus befreit.
Er ist mit sich im Reinen, mag es auch noch so dreckig zugehen. Und er kann sich nicht begnügen, will sich nicht fügen, will immer noch siegen, will immer noch Alles oder nichts – Hilde Knefs Schlussakkord lässt sich nichts hinzufügen.