TEXT: SASCHA WESTPHAL
Jeder Krieg, noch der unerbittlichste, hat seine Atempausen und Auszeiten. Selbst Martha und George, berühmtestes Ehekriegspaar der Bühnengeschichte, nehmen sie sich. Zwischen den Tiefschlägen, die sie einander verpassen, gibt es Augenblicke von anrührender Zartheit und inniger Verbundenheit. In ihnen verrät Martha, dass sie ihre Tränen auffangen und ins Eisfach legen will, um damit später Drinks zu kühlen. Doch fällt es leicht, diese Momente zu übergehen und zu vergessen. Schließlich sind es die verbalen, gelegentlich physischen Schlachten zwischen dem ambitionslosen Geschichtsprofessor und seiner enttäuschten Ehefrau, die Albees Klassiker ausmachen. Die Niederländerin Liesbeth Coltof geht nicht über sie hinweg. Sie fängt sie auf und friert sie auf ihre Art ein. Ihre Lesart des Dramas ist so akribisch wie überraschend. So sind die von Björn Gabriel und Julia Schubert gespielten späten Abendgäste nicht nur Zuschauer und Opfer im Ehekrieg, vielmehr deren Doppelgänger: der Nachwuchs. Schon jetzt ist ihre Beziehung ähnlich zerrüttet wie die des älteren Paares.
In den Szenen des Innehaltens und der Stille bemächtigt sich Zärtlichkeit der ansonsten bis zur Erschöpfung gehenden Aufführung und ihres Quartetts. Die beiden ewigen Kombattanten haben sich in zahllosen, von Alkohol und Abscheu getränkten Nächten gestählt. Jede Sekunde davon schwingt mit in Friederike Tiefenbachers körperlicher Präsenz. Ihre Bewegungen haben etwas Verführerisches und Bedrohliches. Sie gleicht einer Raubkatze, während Axel Holst etwas von einem imposanten Dickhäuter hat, den kaum etwas aus der Reserve locken kann. Wenn dies Martha dennoch gelingt, gibt es kein Halten mehr. Trotzdem schwingt noch etwas anderes mit – ein Rest von Liebe, der nicht zur Neige geht.