INTERVIEW: INGO JUKNAT
An Aschermittwoch ist alles vorbei, heißt es in Köln. Das stimmt nicht ganz. In den Expo-Hallen geht es jetzt erst los. Die Generalprobe von PeterLichts neuem Theaterstück steht an. Es ist 19 Uhr im Ausweichquartier des Kölner Schauspielhauses, das gerade saniert wird. In der alten Fabrikhalle singt sich das Ensemble warm. »Das Sausen der Welt« – die erste große Aufführung in PeterLichts Heimatstadt – ist ein sehr musikalisches Stück mit kleiner Band und großem Chor.
So ist das fast immer bei den Arbeiten von PeterLicht. Kein Wunder bei jemand, der aus dem Pop-Bereich kommt. Vor zehn Jahren hatte PeterLicht einen Hit namens »Sommerdeck«. Seitdem veröffentlicht er in schöner Regelmäßigkeit Alben, die viele als literarischen Indie-Pop bezeichnen. Nebenbei schreibt er Bücher. Für seinen Text »Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends« erhielt er 2007 den 3Sat- und Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb.
Irgendwann ist PeterLicht ins Theater gerutscht, beinahe zufällig, wie er einräumt. Mittlerweile laufen seine Stücke im ganzen deutschsprachigen Raum. »Das Sausen der Welt« ist ein »Krisenstück«. Oder besser: Es thematisiert das Gefühl einer wirtschaftlichen, ökologischen und persönlichen Krise. Wie alle Theaterarbeiten von PeterLicht hat es keinen Plot im klassischen Sinne. Es setzt sich aus gedichtartigen Textfragmenten zusammen. In den besten Momenten entwickelt es eine ganz eigene Sprache, in den weniger guten geht das Signal im Weißen Rauschen aus Vagheiten, Andeutungen und zuviel Poesie auch mal verloren. Aber vielleicht soll das so sein.
K.WEST: »Das Sausen der Welt« ist eine Kooperation mit dem Ensemble »See!« Wie kam die Zusammenarbeit zustande?
PETERLICHT: Wir kennen uns schon lange und haben häufig zusammen gearbeitet. Aus einer Aktion von See! sind mehrere Plattencover entstanden. An den Münchner Kammerspielen haben wir außerdem das »Festival vom unsichtbaren Menschen« kuratiert.
K.WEST: Empfinden Sie beim Schreiben von Theatertexten größeren Druck als bei der Arbeit an einem neuen Album? Immerhin gibt es hier eine klare Deadline, die Premiere.
PETERLICHT: Eines ist klar: Der Lappen muss hoch – in diesem Fall zwei Tage nach Karneval! Das ist ein ziemlich spezieller Druck. Andererseits ist die Arbeit an einem Album auch nicht einfach – gerade dadurch, dass es keine Deadline gibt. Dann macht man sich den Druck selbst.
K.WEST: Die Texte von »Das Sausen der Welt« stammen von Ihnen; wie ist die Musik hinzugekommen?
PETERLICHT: Das ist ein bisschen kompliziert. Ich habe verschiedene Liedentwürfe und Motive erarbeitet. Diese wurden dann vom musikalischen Ensemble des Schauspielhauses unter der Leitung von Ben Lauber umgesetzt. Manche Soundscapes haben sie auch ganz neu entwickelt.
K.WEST: Nun sind Sie ja selbst ein bekannter Musiker. Fällt es Ihnen schwer, in diesem Bereich loszulassen und die Verantwortung abzugeben?
PETERLICHT: (überlegt lange) Jein, würde ich sagen. Auf der einen Seite empfinde ich es als eine große Bereicherung, wenn andere Leute meine Musik remixen und neu interpretieren. Aber man hat natürlich auch ein Gefühl der Aufregung, wenn man schließlich hört, was da entstanden ist. Ich bin aber sehr zufrieden. Das Ergebnis ist toll geworden.
K.WEST: Sehen Sie sich mitterweile eigentlich primär als Bühnenautor oder als Musiker?
PETERLICHT: Es ist eine Mischung aus beidem. Ich bin gewissermaßen weder das eine noch das andere und fühle mich wohl, nirgendwo ganz zuhause zu sein. Ich verstehe den heutigen Abend z. B. als Gesamtwerk, als Soundgebilde, das wie ein Lied funktioniert.
K.WEST: Sie haben mal gesagt, dass Theater sei ein utopischer Raum. Wie meinen Sie das?
PETERLICHT: Ich meine das als Gegensatz zum Pop-Business. Da schreibe ich Songs, bringe Platten heraus, gehe auf Tour – das hat eine klare Struktur. Und am Ende gibt es die Charts, die Hitparade, ein Ranking. So funktioniert das Ganze. Das Theater ist da viel freier.
K.WEST: Denken Sie beim Schreiben über die Wirkung Ihrer Songs nach? Kommen Ihnen Gedanken wie: »Das könnte ein Hit sein«, »Damit will ich ins Radio« oder Ähnliches? Manche Musiker behaupten ja, sie schrieben die Songs nur für sich selbst.
PETERLICHT: Jeder Song von mir soll ein Hit sein. Ich trage diese Musik nach draußen und möchte, dass sie jemanden erreicht. Die Songs sollen treffen – was ja auch die Übersetzung von »Hit« ist.
K.WEST: Wie schwierig ist es, mit den Marktmechanismen im Pop zu spielen? Sie sind ja einerseits Teil des »Systems«, andererseits verweigern Sie sich ihm auch – z. B. dadurch, dass es von Ihnen keine Porträtfotos gibt.
PETERLICHT: Das ist ein Widerspruch, der einerseits Spaß macht aber auch schwierig ist. Für mich ist das ein absurdes Reagieren auf ein absurdes System.
K.WEST: Wie meinen Sie das?
PETERLICHT: Ich meine das ganze Gebilde, Künstler oder Pop-Musiker zu sein. Da artikuliere ich als Sänger sehr private Dinge und werfe sie dann in einen irgendwie diffusen öffentlichen Bereich, wo sie andere Leute erreichen. Und meine Existenzberechtigung besteht im Grunde nur darin, dass sie das schaffen. Früher habe ich mir das Musikerdasein viel freier vorgestellt. Dann ist mir aufgefallen, wie sehr das System doch getaktet ist.
K.WEST: Ihr neues Stück heißt »Das Sausen der Welt«. Ist der Titel bewusst mehrdeutig gehalten? Das Sausen kann einerseits anstrengend sein, andererseits einen Zustand der positiven Aufregung bedeuten.
PETERLICHT: Ich will das gar nicht immer werten. Manche Gesellschaftsphänomene, die ich im Stücke anspreche, empfinde ich als nicht okay. Andere muss ich nicht anprangern. Ich bin ein teilnehmender Beobachter in einem Feldversuch.
K.WEST: »Das Sausen der Welt« ist sehr fragmentarisch gehalten. Kommt die Form des Performance-Theaters – ohne durchgehenden Plot – einem Pop-Musiker entgegen, der gewohnt ist, in Songs zu denken?
PETERLICHT: Ich hege einen gewissen Zweifel am Plot, weil er sehr gesetzt ist. Mir kommt es so vor, als sei der Plot der Welt eher diffus. Ich empfinde mein Leben selbst als Mosaik von Schnipseln.
K.WEST: Hat Sie manche Karriereabzweigung überrascht? Das Theater, zum Beispiel?
PETERLICHT: Ja, total. Das Theater sowieso, aber auch das Dasein als Indie-Musiker. Dazustehen und meine Lieder vorzutragen – das ist nach wie vor überraschend.
K.WEST: Derzeit arbeiten auffällig viele Musiker aus dem alternativen Bereich am Theater – Schorsch Kamerun, zum Beispiel, aber auch Rocko Schamoni mit seinem Studio Braun. Liegt das womöglich daran, dass es schwieriger geworden ist, im Musikbereich Geld zu verdienen?
PETERLICHT: Ich glaube, das ist keine Strategie. Wobei ich es nicht schlimm fände, wenn es eine wäre. Die Verbindung liegt einfach nah. Es ist ja auch eine Inszenierung, wenn ich als Musiker auf der Bühne stehe.
K.WEST: Seit Ihrer Platte »Lieder vom Ende des Kapitalismus« gelten Sie als jemand, der sich sehr kritisch mit unserem Wirtschaftssystem auseinandersetzt. Zeigen »utopische Räume« wie das Theater nicht, dass unsere Gesellschaft durchaus Nischen zulässt, in denen sich frei experimentieren lässt – Nischen, die mit Absicht aus dem allgemeinen Verwertungsdruck herausgenommen sind?
PETERLICHT: Auf jeden Fall. Das heutige Stück, zum Beispiel, ist öffentlich gefördert. Das heißt, da stecken Steuereinnahmen der Stadt Köln drin. Es ist ja auch nicht so, dass ich Geld böse finde. Ich bin ein großer Kapitalismuskritiker aber ein großer Freund von Kapital. (Lacht.) Und natürlich bin auch ich Teil des Systems. Ich verkaufe Musik und bezahle meine Band. Aber der Kapitalismus als Ganzes ist natürlich ein kritikwürdiges Projekt, das immer neue Blüten hervorbringt. Nehmen Sie das aktuelle Hauptprodukt, das verkauft wird: die Krise. Davon handelt »Das Sausen der Welt«.
K.WEST: Wer verkauft da wem was?
PETERLICHT: Überall müssen Staatsanleihen aufgenommen werden, um sie anderswo reinzupumpen. Das Geld, was im Moment fehlt, ist ja woanders hingeflossen und nicht verschwunden. Die Krise als Markenkern – das ist genial.
K.WEST: Auch im Sinne einer Angstvermarktung?
PETERLICHT: Sie passt dazu. Der gesellschaftliche Abstieg findet ja gar nicht statt bei vielen Gruppen. Aber die Angst ist da. Und sie entwickelt starke Verkaufskräfte. Der ganze Immobilienmarkt ist ein Angstmarkt, die Altersvorsorge und sogar die Bildung – welche Schulen ich meinen Kindern zur Verfügung stelle. Überall ist Angst. Das ist ein tolles Produkt. In dieses Herz der Angst stößt auch das Stück heute Abend vor. Die zentrale Metapher ist der Tinnitus, das Angstgeräusch.
»Das Sausen der Welt«, Schauspiel Köln, 4.–6. März, 19.30 Uhr. www.schauspielkoeln.de