TEXT: REGINE MÜLLER
Es bietet sich an, Jacques Offenbachs einzige Oper durch die Brille der Psychoanalyse zu lesen. Der trunkene Dichter – für den E.T.A. Hoffmann Pate stand – erzählt seinen Saufkumpanen während einer durchzechten Nacht drei bizarre Liebesgeschichten, die sich um eine leblose Puppe, ein Künstlerseelchen mit Hang zur Tragödie und eine venezianische Hure ranken. Nach Freud verbergen sich hinter Hoffmanns seltsamer Objektwahl die unvereinbaren Antagonismen männlichen Begehrens.
Man kann Offenbachs Torso aber auch als eine Art Meta-Oper deuten, als ein Musiktheater über Kreativität, Inspiration und Kunstwillen. Dafür entschied sich die scheidende Bielefelder Operndirektorin Helen Malkowsky und hat die Episoden schlüssig miteinander verflochten. Saskia Wunschs Drehbühne markiert räumlich die Hauptspielorte, die auch fließende Übergänge und Ortswechsel ermöglichen. Der Prolog-Akt beginnt in einer Theaterkantine, in der eine Autorenlesung von Hoffmanns Opus mit dem selbstironischen Titel »Nur noch einmal« angekündigt ist. Die Muse des exzessiven Dichters wird zur geschäftigen Literaturagentin, die den Dichter drängt, sein von Burnout und Alkohol ausgelaugtes Leben mit neuen Erfahrungen zu füllen und schubst ihn von Szene zu Szene.
Olympia ist hier keine Puppe, sondern Tochter eines Happening-Künstlers, der zwar am Puppen-Abbild von ihr arbeitet, für seinen nächsten Auftritt sie dann aber doch leibhaftig als leidensfähiges Performance-Objekt einspannt. Auch Antonia hat ein fatales Verhältnis zur Kunst bzw. zu Hoffmann, mit dem sie ein Kind hat, schlurft in Wollsocken herum und ist medikamentensüchtig. Die Stimme der Mutter ertönt dann von
Olympias Bühne, auf die es auch Antonia zieht. Gewitzt löst Malkowsky den gern peinlichen Venedig-Bordell-Akt, indem sie Giulietta zur Kantinenwirtin macht und den Barcarole-Ohrwurm gleich von allen liebenden und nicht liebenden Frauengestalten singen lässt. Exzellent ist das spielfreudige, aber nicht überagierende Sängerensemble: Richard Carlucci singt die Titelpartie mit vehementem Einsatz und klangschönen Höhen,
Melanie Forgeron zeigt als Muse ein dunkel verhangenes Timbre. Im Frauentrio überzeugt am stärksten Cornelie Isenbürgers blitzsaubere (nie spitze) Olympia; auch Christiane Linke hat trotz leicht flackernden Soprans als Antonia starke Moment. Elisa Gogou weiß am Pult das Geschehen klug zu bündeln und zwischen großer romantischer Oper und Champagner-Parlando geschickt zu vermitteln.