INTERVIEW: STEFANIE STADEL
Ob er nach seiner Heimkehr schon Zeit gefunden hat für den Blick in die regionale Presse? Man braucht Sven Schütte nicht darauf anzusprechen. Er macht seinem Unmut auch ungefragt Luft: Ärgert sich über das plötzliche Gejammer, in Köln fehlten die Mittel für ein weiteres Museum und über einen »großen Verleger«, der eine Kampagne gegen das Projekt gestartet habe. Neuerdings läuft sogar eine Unterschriftenaktion im Internet, die angesichts der kommunalen Haushaltslage zum Verzicht aufruft. Alles Quatsch, so Schütte, das Geld für den Bau sei zurückgelegt. Rund 52 Millionen Euro – in etwa genauso viel habe die Stadt für die neue U-Bahn-Haltestelle am Breslauer Platz ausgegeben, bemerkt er am Rande. Und regt sich gleich darauf über die jüngste »Ente« der Bauverwaltung auf, Zone und Museum würden voraussichtlich teurer als veranschlagt. Es gebe keinerlei Berechnungen, die das belegen könnten.
SCHÜTTE: Wir haben hier den größten jüdischen Schatz Mitteleuropas, und wir haben darunter eine archäologische Fundstelle, um die uns die Metropolen Europas beneiden. Doch wird das Projekt immer wieder in Frage gestellt. Nach über sechs Jahren hängen mir diese Diskussionen wirklich zum Halse heraus.
K.WEST: Reden wir also über etwas Erfreulicheres. Über jüngste Erfolgs-Funde vielleicht? Seit 2007 graben Sie auf dem Platz vor dem Rathaus. Im Bereich des römischen Statthalterpalastes und des darüber liegenden, bis zum großen Pogrom 1349 bewohnten jüdischen Viertels. Zuletzt ist dabei eine antike Mikwe zum Vorschein gekommen. Was hat es mit dem jüdischen Kultbad auf sich?
SCHÜTTE: Es ist die einzige in Europa bekannte Mikwe aus der Antike. Und das Becken war in Köln nachweislich vom 4. Jahrhundert bis zum Pogrom in Gebrauch. Damit können wir die Kontinuität der jüdischen Gemeinde von der Antike bis ins Mittelalter beweisen.
K.WEST: Das ist neu?
SCHÜTTE: Ja, bisher sah man die Juden als »Gäste«, die mit den Römern an den Rhein kamen, dann wieder gegangen sind, um im 11. Jahrhundert zurückzukehren. Es gab zwar Hinweise darauf, aber keine Beweise dafür, dass sie kontinuierlich hier lebten. Die durchgehend benutzte Mikwe belegt, dass die Juden integraler Bestandteil der Kölner Bevölkerung waren – und zwar seit dem 1. Jahrhundert. Das sind keine »Gäste« – das sind wir selber.
K.WEST: Wie hat man sich das Leben der jüdischen Bevölkerung in der Stadt vorzustellen?
SCHÜTTE: Das waren Leute, die man von der ganzen restlichen Kölner Bevölkerung eigentlich gar nicht unterscheiden konnte. Sie hatten ihre eigene Schrift, ihre Religion und damit ihre eigene Identität. Doch sprachen sie Mittel-Niederdeutsch, wie alle Kölner damals. Das wissen wir aus den vielen Schrifttafeln, die wir gefunden haben.
K.WEST: Was für Schrifttafeln sind das?
SCHÜTTE: Sie sind einmalig. Alle stammen aus der Zeit vor dem Pogrom. Es sind keine ausformulierten Dokumente, sondern Zeugnisse aus dem Papierkorb der Geschichte: Entwürfe, Schulübungen, Rechtssachen. In der Bäckerei haben wir eine Liste entdeckt, wo auch Namen aufgeführt sind. Da kann man sehen, dass die Juden nicht bei ihren hebräischen Rufnamen aus der Synagoge, sondern bei ihren deutschen Namen genannt wurden. Statt Jakuf oder Jakob steht auf der Liste in hebräischer Schrift Kopchen. Ganz kölsch: Der kleine Köbes, der kleine Jakob sozusagen.
K.WEST: Haben Sie nur solche alltäglichen Schrift-Zeugnisse gefunden?
SCHÜTTE: Wir haben auch einen Ritterroman entdeckt, der als ältester literarischer jiddischer Text der Welt gelten kann. Allein dieser Fund hätte schon die ganzen Grabungen gerechtfertigt. Erika Timm, »Päpstin« der Jiddistik, hat ihn übersetzt und jetzt publiziert.
K.WEST: Hatten Sie so reiche Beute erwartet, als Sie vor fünf Jahren mit der Arbeit begonnen haben?
SCHÜTTE: Unsere Erwartungen waren hoch, aber sie sind noch übertroffen worden. Immerhin ist dies im Moment das umfangreichste Fundmaterial aus so einer Grabungsstelle in Europa. Und es bringt ganz neue Erkenntnisse. Auch zum Bilderverbot der Juden: Wir haben Silberschmuck gefunden und Emaille-Gegenstände zum Teil mit figürlichen Darstellungen und wir wissen, dass diese Stücke von Juden benutzt worden sind. Beim Schmuck mussten sie sich also nicht an das Bilderverbot halten. Wissenschaftlich eine ganz wichtige Feststellung. Man kann sagen, dass diese Grabungen zur Zeit die Schlüsselgrabungen zur Geschichte des Judentums sind, weltweit. Das sehen unsere israelischen und amerikanischen Kollegen übrigens genauso. Und es geht ja nicht nur um das jüdische Viertel. Hinzu kommen der antike Statthalterpalast, das Goldschmiedeviertel … Dieses Material gibt uns die Möglichkeit, eine ganze Lebenswelt an diesem Ort zu rekonstruieren.
K.WEST: Wie wollen Sie dies in dem geplanten Bau präsentieren?
SCHÜTTE: Wir werden eine Ausstellungslandschaft von 7.000 Quadratmetern haben – eine der weltweit größten Anlagen dieser Art. Man wird die Häuser der Judengasse sehen können. Man wird an der fast hundert Meter langen Fassade des römischen Statthalterpalastes entlang laufen können. Wir werden das Versammlungshaus der Goldschmiede zeigen können. Die römische Thermenbebauung, das Fest- und Tanzhaus, das Hospital, die Bäckerei, das Warmbad, die beiden Mikwen.
K.WEST: Unter einem Zelt auf dem Rathausplatz wird zur Zeit die Synagoge ergraben. Wie soll sie in den neuen Komplex eingebunden sein?
SCHÜTTE: Die Synagoge liegt so hoch, dass wir darüber einen oberirdischen Bau errichten werden, wo man durch einen Glasboden auf den Befund schauen kann. In den 50er Jahren hatte man das Gebäude inklusive der darin stehenden Bänke und des Tora-Schreins mit der Schieberaupe auf einer Höhe von 1,20 Meter abplaniert – der Rathausplatz sollte schön eben sein. Wir haben nun die »Krümel« aus dem Bauschutt gesammelt, wie ein Riesenpuzzle zusammengesetzt und auf diese Weise Teile wieder aufgebaut – Anastylose nennt man das.
K.WEST: Das hört sich alles verlockend an. Möchten Sie eine Prognose abgeben, wann das neue Museum und die Archäologische Zone gebaut und zugänglich sein werden?
SCHÜTTE: Würden wir sofort loslegen, könnten wir unseren ursprünglichen Zeitplan einhalten und 2016 fertig sein. Aber wahrscheinlich wird es 2017.
K.WEST: Meinen Sie, die aktuellen Proteste können dem Projekt noch etwas anhaben?
SCHÜTTE: Eigentlich nicht. Im Übrigen wäre es auch ziemlich teuer, das Ganze jetzt einzustellen. Die Kosten für eine Abwicklung lägen wohl bei etwas mehr als 20 Millionen Euro. Für lau! Dafür, dass wir dann dieselbe Platzfläche hätten wie vorher.