Von NILS UND TILL BECKMANN
Der Schriftsteller Ralf Rothmann wird am 10. Mai 2013 sechzig Jahre alt. Die halb so alten Nils und Till Beckmann, Schauspieler, Regisseure und Autoren aus Bochum, arbeiten derzeit am Drehbuch für die erste Rothmann-Verfilmung: »Junges Licht«. Mit ihren Schauspiel-Schwestern Maja und Lina haben sie bereits ein szenisch-musikalisches Rothmann-Programm einstudiert, die sie durch unsere Theater führt. Für K.WEST schreiben die Beckmann-Brüder eine sehr persönliche Gratulation – und Ralf Rothmann reagiert per Mail.
Till: Alles fing an in einer nach Schweiß, Blumen und Bier riechenden Theatergarderobe im Ruhrgebiet 2007. Erleichterung nach Nils’ geglückter Premiere. Premierengeschenke werden herumgereicht, Bücher mit Tieren drauf und merkwürdigen Titeln: »Rehe am Meer«, »Ein Winter unter Hirschen«, »Stier« und »Junges Licht«. Auf der Rückseite nur ein Satz: »Wenn du dich für die Freiheit entschieden hast, kann dir gar nichts passieren. Nie.« Mit Begeisterung wurde vom Autor gesprochen: »Der kommt aus Oberhausen. Was für eine Stadt: Quadflieg, Schlingensief, Rothmann. So schlecht kann die Luft da nicht gewesen sein.« Ich hörte nicht mehr zu, ich las. Wie auch die kommenden Wochen. Ich las alles von Rothmann. Bis auf seinen Lyrikband »Kratzer«, den hab ich einfach nirgendwo bekommen.
Nils: Till lag uns wirklich ständig mit diesem Autor in den Ohren. Angefangen hab ich dann mit »Milch und Kohle«. Ein rauer Roman, der einen hineinzieht, nicht mehr loslässt. Nachhallt. Das liegt an dem besonderen, genauen Blick des Erzählers: »Sie lachte nicht, sah ihn nur an, aber in ihrem Blick war etwas Fremdes jetzt, etwas festliches, es war, so dachte ich, ein Blick aus der Welt vor meiner Geburt. Gino ließ sein Feuerzeug schnappen, und momentlang fühlte ich eine Veränderung im Raum, unerklärlich und nicht zu fassen, wie das Gewicht einer Flamme.« (»Milch und Kohle«)
Eine Veränderung des Blicks kann man beim Lesen der Romane Rothmanns auch bei sich selbst erkennen. Es gibt einen Blick auf alltäglich Dinge, das Leben, die Liebe vor der Lektüre Rothmanns und einen Blick danach, einen neuen Blick, unerklärlich, wie das Gewicht einer Flamme.
Till: Ich entdeckte da einen Erzähler, der mich besser verstand als ich selber. Plötzlich war da jemand, der Worte und Bilder für das Unerklärliche fand.
Nicht nur der Blick auf Menschen verändert sich, auch auf Licht, Schatten, Spiegelungen, Abdrücke, Staub, Steine und Tiere. Man nimmt das Nichtgesagte wahr und die Stille. Die Sinne sind geschärft.
Nils: Faszinierend ist, dass Rothmann den Leser nicht nur sensibel, manchmal auch naiv durch Kinderaugen blicken lässt, sondern ein Ruhrgebiet beschreibt, dass frei ist von folkloristischen Elementen und in dem es immer um die großen Themen geht: Familie, Gewalt, Tod, Liebe und Sex. Das hat uns direkt gepackt und begeistert. Ein Autor, der die Ränder der Wirklichkeit auslotet und noch darüber hinausgeht. Und das alles im normalen Alltagswahnsinn verankert. An Orten, die uns vertraut sind, in einer sozialen Szenerie, in dessen Resten wir groß geworden sind.
Till: Wie er seine Helden durch die brutale, enge Ruhrgebietswelt schubst, berührt. Seine Helden werden zu Hause geschlagen, die Familien sind pleite, es gibt keine Bücher. Pleite waren wir auch oft, aber Bücher gab es jede Menge, sogar ein Bücherregal auf dem Klo.
Nils und ich schwärmten unseren Schwestern von den Büchern vor. Mit dem Hintergedanken, dass sie Lust kriegen würden, etwas daraus zu machen. Hat auch geklappt: Ich stellte unser erstes Programm zusammen. 2009 waren »DIE SPIELKINDER« geboren.
Nils: Wir Vier sind durchs Ruhrgebiet getingelt. Irgendwann kam Till auf die Idee, Rothmann einzuladen. Wir hatten einen Auftritt im Theater Oberhausen, seiner Heimatstadt, und schickten seinem Verlag eine Einladung. Wir wussten, dass er sich gern aus dem Literaturbetrieb heraushält, als zurückhaltend gilt, nicht zu vereinnahmen. Aber wir wollten ihn kennenlernen, wollten wissen, wer so einen leuchtend schweren Blick hat.
20.09.10, 23:04
Liebe Maja, Lina, Nils und Till Beckmann,
heute schickte mir mein Verlag Ihre Nachricht. Ich habe schon viel Gutes von Ihrer Tour gehört, und ich glaube, Simon, Pavel, Julian und Sophie könnten nirgends besser aufgehoben sein als bei Ihnen. Alles in Ihrem Projekt atmet Inspiration und Freude, vielen Dank dafür! Ich werde voraussichtlich nicht nach Oberhausen kommen können, tut mir leid. Doch wer weiß, vielleicht verschieben sich die Sterne bis dahin, und dann stehe ich einfach in der Tür.
Viel Glück weiterhin, alles Gute, Ihr Ralf Rothmann
Till: Die Sterne verschoben sich. Rothmann schaffte es doch zu kommen. Wir waren aufgeregt, richtig nervös – alle!
17.11.10, 21:02
Lieber Till Beckmann,
um Gottes Willen nicht nervös sein, ich bin nur einer der Autoren … Mit dem Verbeugen hab ich’s freilich nicht so,
17.11.10, 21:15
Lieber Till, noch mal: Ich wollte sagen, mit dem Verbeugen habe ich es nicht so, aber wenn Sie einen Hinweis geben wollen, stehe ich gern auf und nicke freundlich in die Runde (diese neue Maschine verschickt die Dinger schneller, als ich sie geschrieben habe, sorry).
Bis morgen, sehr herzlich, Ihr Ralf R.
Nils: Und dann stand er da, auf Anhieb sympathisch, sehr gepflegt, in dunklem Mantel. Hat sich unsere – schrecklich nervöse – Lesung angehört und hinterher unsere Fragen. Und uns bei 34 Königs-Pilsener seine Geschichten aus dem Ruhrgebiet erzählt, die sehr seinen Büchern ähnelten. Oder war es andersrum? Egal.
20.11.10, 03:20
Lieber Ralf,
das war eine äußerst schöne Begegnung für uns. Es kommt ja nicht oft vor, dass Menschen deren Arbeit man bewundert, dann auch noch so angenehme Leute sind. Finn, der Junge, der die Technik gefahren hat, hat sich »Junges Licht« gekauft und liest jetzt seinen erstes »richtiges Buch«, wie er es genannt hat. Hier meine Anschrift, falls Du noch ein Exemplar von »Kratzer« entbehren kannst, würde ich mich sehr darüber freuen:
Beste Grüße nach Berlin sendet, Till
20.11.10, 19:00
Lieber Till,
ich glaube, ich habe zu klobige Finger für die Tastatur meines Handys, immer haue ich irgendwo drauf, und dann ist die halbfertige Mail weg … Also noch einmal über den Computer meiner Frau: Auch ich fand unsere Begegnung sehr schön, nicht nur wegen Eurer einfühlsamen und kraftvollen Darbietung; es ist ja immer beglückend und herzerhebend, Vollblutschauspielern zuzusehen, und wie Ihr den Texten zu ihrer Wahrheit verholfen und ihnen oft noch zusätzliche Dimensionen gegeben habt durch Euer inspiriertes Spiel, das war schon große Klasse. Vielen Dank dafür!
Ich schicke Dir im Lauf der nächsten Woche ein »Kratzer«-Exemplar, und ich lege auch noch ein Buch für Finn dazu; warum kauft er sich denn eines, er hätte mich doch ansprechen können.
Es war ein wunderbarer Abend für mich, herzliche Grüße, auch an Deine Geschwister!
Euer Ralf
Till und Nils: Unser zweites SPIELKINDER-Programm entstand: ein Ralf Rothmann-Abend. Aber wir wollten mehr. Ende 2011 saßen wir mit Rothmann gemeinsam in Berlin, in der Wohnung unseres Vaters. Wir hatten Rothmann eingeladen um über eine Bühnenadaption von »Junges Licht« zu sprechen. Wir wollten den Stoff bearbeiten, gemeinsam spielen, auf allen Bühnen des Ruhrgebiets herumtingeln. Über eine Verfilmung hatten wir auch nachgedacht, aber die Idee schnell verworfen. Rothmann hatte einmal eine Fernsehproduktion von »Milch und Kohle« gestoppt.
01.11.11, 12:32
Lieber Till, lieber Nils,
das war ein schöner, um nicht zu sagen zauberhafter Abend mit Euch; ich war lange nicht mehr so entspannt in letzter Zeit. Habt vielen Dank für die köstliche Bewirtung! Ich hoffe, ich kann mich demnächst einmal revanchieren. Und was Eure Absichten mit »Junges Licht« betrifft: Meinen Segen habt Ihr in jedem Fall.
Euer Ralf
Nils: Also einen Film?! Eine Theaterproduktion war utopisch, es war jetzt schon schwer, für die Lesungen alle vier SPIELKINDER zusammen zu bringen. Einen Film – aber wie?! Wir brauchten Hilfe, einen Lehrmeister, einen Winkelmann. Also schrieben wir dem einen Brief, seine Antwort war eine Einladung zum Nudelessen. Seitdem arbeiten wir an dem Drehbuch.
17.03.2012, 23:50
Lieber Nils,
schön zu hören, dass Ihr so froh bei der Sache seid, es scheint ja zu fließen. »Junges Licht« als Film kann ich mir gut vorstellen; ich glaube, Ihr habt genau das richtige Gefühl für den Stoff, der seine Kraft ja auch, wenn nicht vor allem, dem Atmosphärischen verdankt. Aber seid mir bitte nicht böse, wenn ich mich da so weit wie möglich raushalten möchte. Das nächste Buch klopft bereits ungeduldig an, und mein Kräfte …
Herzliche Grüße, auch an Till, Euer Ralf
Nils: Die Film- und Medienstiftung NRW fördert unser Vorhaben; Winkelmann und Rothmann haben sich getroffen. Es war schön, mit den beiden Ruhrgebietskennern an einem Tisch zu sitzen und über Kunst, Krieg und Kultur zu reden. Und über »Junges Licht«.
Till: Bleibt die Erkenntnis, dass der unablässige Informationsstrom, das Klicken und Liken, das ganze oberflächliche Gewühle und Geschwätz verblasst, unwichtig wird und stört. Das sind Risiken und Nebenwirkungen von Rothmanns Kosmos.
»Die Straße entlang kam ein Mann, der einen hoch mit Brennholz beladenen Esel antrieb. In der Ferne hatten die Kirchenglocken zu tönen begonnen. Der Mann bedachte ihn mit einem verschlagenen Lächeln. Als hätten sie beide ein Geheimnis miteinander. Etwas, das mit Alter, Jugend, ihren Ansprüchen und den Berechtigungen dieser Ansprüche zu tun hatte. Mit den Ansprüchen, die an sie gestellt wurden. Mit der vergangenen Welt und der künftigen. Mit ihrer beider Vergänglichkeit. Und vor allem mit der tiefen Gewissheit, dass Schönheit und Verlust eins sind.« (Cormac McCarthy)
Ralf Rothmanns Werk erscheint im Suhrkamp Verlag. Informationen über Nils und Till Beckmann: www.beckmannkunst.de