TEXT: STEFANIE STADEL
Sie tut so, als hätte sie nie auf einem anderen Instrument gespielt. Doch was da zwischen Charlotte Moormans Knien klemmt, ist alles andere als gewöhnlich. »TV Cello« heißt das Ding – drei flimmernde Fernsehgeräte, verbunden durch Saiten, denen die Cellistin mit ihrem Bogen merkwürdige Töne entlockt. Ein Foto jener Aktion von 1971 ziert die Broschüre zum »Nam June Paik Award 2012« und ruft viele Eigenheiten jener Sparte in Erinnerung, die weiterhin unter den Begriff »Medienkunst« gefasst wird und in Paik einen ihrer Pioniere fand.
Wie geht es weiter mit der »Medienkunst« nach Paik und Moorman? Alle zwei Jahre füllt sich der Begriff mit aktuellem Leben, wenn die Kunststiftung NRW den »Nam June Paik Award« ausschreibt und dabei nach neuesten »Medienkunst«-Stücken fragt. Diesmal präsentieren sich die Nominierten im Kunstmuseum Bochum – sieben Künstler und Gruppen, die in die engere Wahl gekommen sind.
Einer steht schon bereit: Cevdet Erek. Ein leichtes Grinsen zeichnet sich unterm schwarzen Vollbart ab, während er ruhig seine Arbeit erklärt. Kompliziert ist sie nicht. Trotzdem vergeht etwas Zeit, bis der Künstler drei Damen unter den Zuhörern zum Mitmachen bewegen kann. Nach anfänglichem Zögern sieht man die Probanden schon bald voller Andacht bei der Sache: Konzentriert lassen sie ihre Hände über den Kurzflor kreisen, neigen dabei den Kopf ein wenig zur Seite, um das Ohr näher heran zu führen und jenes Rauschen vernehmen zu können, von dem Erek sprach. Das klingt tatsächlich wie die Brandung des Meeres.
DER TEPPICH FLIEGT NICHT
Der Gegenstand ist fast erhaben, die Stimmung hat etwas Meditatives – das Medium scheint dagegen denkbar banal: Teppich. Er ist nicht kostbar, kann nicht fliegen, hat keine geheimnisvolle Geschichte und noch nicht mal ein hübsches Muster. Erek hat einfach ein Stück des schwarzen Bodenbelags genommen, mit dem sich das Kunstmuseum Bochum für die Ausstellung zum »Nam June Paik Award« herausgeputzt hat. Er liegt überall herum in den stimmungsvoll verdunkelten Räumen, wo sich die Anwärter auf den »internationalen Medienkunstpreis« präsentieren.
Hier lässt sich per Touchscreen die türkische Kunstsammler-Szene durchstreifen, da werden im Zusammenspiel von Mensch und Computer in Echtzeit Bilder generiert. Dort wurden umfängliche Archive russischer Frauenstimmen durchforstet, die man durch Handbewegungen über einem Tisch aktivieren kann. Anderswo ist zu erleben, wie Bild und Ton eins werden im Auf und Nieder von Landschaftspanoramen aus den Anden, die parallel zu akustischen Schwingungen eigens komponierter Musikstücke wechseln und sich wandeln.
Lauter technisch ziemlich ausgeklügelte, perfekt verwirklichte und eindrucksvoll präsentierte Kunststücke sind das, die man wohl, ohne mit großem Einwand rechnen zu müssen, unter den umstrittenen Begriff der »Medienkunst« packen könnte. Weil sie schlicht mit neuen technologischen Medien umgehen, deren Bandbreite sich seit Paiks Fernsehtürmen natürlich rasant erweitert hat.
NIEMALS AUF DEMSELBEN TEPPICH
Über den schwarzen Teppich hingegen wird im hochtechnischen Zusammenhang sicher manch einer stolpern. Doch ausgerechnet Erek hat das Rennen gemacht, darf das Preisgeld von 25.000 Euro mit nach Istanbul nehmen, wo er 1974 zur Welt kam, wo er zuerst Architektur, dann Musik studiert hat. Wo er nach wie vor lebt und arbeitet. Meist ersinnt der Künstler Klanginstallationen, die architektonisch eng an die Ausstellungsorte gebunden sind. 2012 wurde er damit gar zur Documenta nach Kassel eingeladen.
Sein Teppich in Bochum steht nun nicht für sich. Er ist Teil von Ereks wanderndem Projekt namens »SSS – Sahil Sahnesi Sesi/Shore Scene Soundtrack«, das auf jeder Station etwas anders aussieht, denn niemals spielt der Künstler mit demselben Teppich. Überall greift er nach dem Material, das er vorfindet, legt oder hängt es zur Benutzung aus.
Speziell mit Blick auf diese Arbeit drängt sich wieder einmal die Frage nach den Grenzen der »Medienkunst« auf. Wenn schon ein Stück Teppich genügt, könnten ihr dann nicht eigentlich alle Mittel recht sein? Eva Schmidt, Leiterin des Museums für Gegenwartskunst in Siegen ist eine von drei Juroren, die den Sieger in Bochum kürten. Und sie scheint vorbereitet auf solche Fragen. Was Medien sind in der Kunst, werde ständig diskutiert, so Schmidt. »Noch vor einigen Jahren verstand man darunter vor allem neue, also technologische Medien. Heute steht eher der originelle Umgang mit Medien im Vordergrund.«
EIN TEPPICH ALS MEDIENKUNST?
Also kämen auch Farbe und Leinwand in Frage, wenn man denn originell damit umgeht? »Man wird natürlich nicht unbedingt traditionelle Medien wie Malerei darunter fassen«, schränkt sie ein. Im Prinzip sei die Sache aber ganz offen. Hier zu differenzieren, verlange Fingerspitzengefühl. Zumal die Bedeutung des Begriffs einem dauernden Wandel unterliege. »Es ist ein ständiger Prozess, der auch mich immer wieder überrascht.«
Bei all der Ungewissheit kann man gut verstehen, dass viele Künstler und Kuratoren das Wort »Medienkunst« meiden. Auch Schmidt spricht lieber von der Arbeit mit Medien. Dabei sei der Teppich zwar kein technisches, aber doch durchaus ein »neues Medium«, wenn nicht das »neueste« überhaupt.
Ein ganz anderer ihrer Gedanken scheint viel entscheidender bei der Definition: Die Frage, »ob in das Werk etwas hineinfließt, das durch die Arbeit mit neuen Medien in die Kunst gebracht worden ist – also Dinge wie das Partizipatorische oder die Kollaboration.« Beides war schon bei Moorman und Paik vorhanden: Die Zusammenarbeit von Künstlern, auch von solchen unterschiedlicher Sparten. Und die Teilhabe des Publikums als zentrales Moment. Zwei Konstanten, die auch auf dem Parcours in Bochum ganz wesentlich bleiben – egal, mit welchen Medien gearbeitet wird. Künstler schließen sich zusammen, holen Hilfe beim Spezialisten. Und die Ergebnisse dieser Kooperationen sind oft genug ausgelegt auf die Mitwirkung des Betrachters, der sich etwa durch den Raum bewegt, um eine dort kreisende Soundinstallation zu erleben. Der mit seinen Händen über dem Tisch hantiert und so russische Frauenstimmen zum Sprechen oder Singen bringt. Oder sich mit gespitzten Ohren und beiden Händen auf dem Teppich ein wenig Meeres-Feeling verschafft.
Akustisch umspült von der Brandung, mag der Betrachter – oder besser der Benutzer – von Ereks Arbeit dann womöglich auch die ironischen Töne vernehmen, die aus dem Gewebe dringen. Vielleicht erkennt er in der schwarzen Fläche unversehens eine Art Touchscreen wieder und all die andächtigen Phone-, Pad- oder Pod-Bediener kommen ihm in den Kopf. Nun liegt der Gedankensprung zu Paik gar nicht mehr so weit. Zu seinen Fernsehtürmen oder zu den »TV Buddhas«, die bis heute ungerührt vor kaputten Fernsehapparaten verharren – gleichsam als Stellvertreter des kritiklosen Medienkonsumenten.
Wie damals Paik, geht es Erek heute ganz sicher um die kritische Reflexion der neuen Medien. Ob man das »Medienkunst« nennen soll? Egal. Ein treuer Nachfolger Nam June Paiks ist Erek allemal.
Bis 13. Januar 2013. Kunstmuseum Bochum; Tel.: 0234/910 42 30; www.namjunepaikaward.de