TEXT: ALEXANDRA WACH
Wie nähert man sich jemandem, der viel Zeit darauf verwendet, seine dreidimensionalen Skulpturen mit urplötzlich aus der Erstarrung tretenden Bewegungsmeldern auszustatten? Der seinen Zirkel vom eigenen Ich zur versteckten Komik der technisierten Welt schlägt und aus Sperrmüll menschelnde Maschinen erschafft? Am besten, man setzt sich selbst in Bewegung und wagt eine Visite bei den Ventilatoren, Mopedhelmen und Abflussrohren, die der Düsseldorfer Bildhauer Andreas Fischer zum Sprechen bringt.
Sein Atelier erweist sich als ein regelrecht nach innen implodierender Schrotthaufen, versteckt in einem fensterlosen Keller eines Mietshauses in der Nähe des Hauptbahnhofs. Hat man dem dunklen Eingangsschlund getrotzt und auch die verwinkelten Treppen ins Bricoleurparadies überstanden, begrüßen den Besucher überaus kommunikative und freche Elektrodengeschöpfe – vorausgesetzt, er verzichtet auf die Etikette und steuert zwischen den Transportkisten und wuchernden Verlängerungskabeln den direkten Körperkontakt an. Auf die Wellen des eingebauten Sensors ist Verlass. Es vibriert, lärmt, atmet und rüttelt, hier und da öffnet sich eine Kiste, oder ein Föhn gibt lautstark seine Englischkenntnisse zum Besten. Da muss ihr Erschaffer schon fast dazwischen grätschen, um auch mal zu Wort zu kommen.
Der unprätentiöse 40-Jährige steckt gerade mitten im Aufbau seiner ersten großen Überblicksschau im Museum Ludwig. »Mit dem Ausstellungstitel ›Your time is my Rolex‹ konnten wir leider nicht die besagte Firma als Sponsor gewinnen«, sprudelt es sogleich augenzwinkernd aus ihm heraus. »Ich verstehe den Titel auch eher als zynische Verdrehung des alten afghanischen Sprichwortes: ›Ihr habt Uhren. Wir haben Zeit‹«.
DEUTSCHER SCHROTT IST HIGHTECH
Andreas Fischer streut gerne eigenwillige Aperçus ein. Das Gespräch mit ihm ist unterhaltsam, aber nicht um jeden Preis heiter. Er genießt es, von seiner Arbeit zu erzählen, die Augen leuchten dann euphorisch. »Es ist sehr armseliges Material, das ich benutze. Den Schrott in Deutschland sollte man aber nicht unterschätzen. Es ist Hightech, das zu 80 Prozent noch läuft«. Mechanische Recyclingkunst? Hat man es da etwa mit einer neuen Richtung zu tun?
Die Frage bleibt unausgesprochen, denn in das Gesicht von Fischer hat sich längst eine andere Stimmung eingeschlichen. Es gilt, plötzlich einen Moment der Stille auszuhalten. Er steht unter Druck, es bleibt noch einiges zu tun. Den Weg ins Museum haben seine kinetischen Kinder gut überstanden. Nur die Feineinstellungen der hoch empfindlichen Kunstwerke, die im musealen Raum als Gruppe aufeinander reagieren sollen, müssen noch vorgenommen werden.
Mit von der Partie ist die überaus fragile »Flagge, die versucht, eine 8 zu winken«. Ein mitleiderregendes Persönchen, das vergeblich sein stures Programm ausführt, eine Bewegung in Form einer 8 zu vollführen. Es tut regelrecht weh, ihr beim Scheitern zuzuschauen, gerade wegen der verzweifelten Beharrlichkeit.
WAS MACHT MICH AN, WAS MACHT MICH AUS
»Es sind auch zwei größere neue Objekte aus dem Jahr 2012 dabei: ›Rollen & Gieren‹ und ›It’s a Good Deal‹«, erzählt er, wieder zurück im alten Modus. »Sie stellen hier weniger ein politisches Statement über Lufthoheit, als den Versuch eines Selbstporträts dar. Die eigene Lufthoheit zu gewinnen ist also hier die eigentliche Aufgabe eines Küchenschrank-Bananenhubschraubers und eines übergeschnappt luziden Fernsehsessels. Im Grunde geht es immer darum: Was macht mich an, was macht mich aus.« Seine selbstreflexive Ader kanalisiert Fischer, indem er die ursprüngliche Bestimmung von Dingen aufbricht und sie psychologisch auflädt, von ausrangierten Einzelteilen etwa, die er mittels baumarktüblicher Elektronik zu neuem Leben erweckt. Er befestigt sie auf Holzsockeln oder installiert sie in möglichst unauffälligen Raumwinkeln, um die Wahrnehmung des Betrachters zu verunsichern.
WANN IST KUNST POETISCH?
Mit fast jeder Figur stellt er ihm die Frage: Wie gehe ich mit Makeln, Defiziten und Fehlern um? Wann ist Kunst poetisch? Die Antworten versprühen mit Vorliebe subtilen Witz, wenn etwa eine gelbe Zeltminiatur unter dem Titel »Tente Jalouse« (Eifersüchtiges Zelt) den Betrachter erst mit Atembewegungen anlockt, nur um sich wie eine Auster zu verschließen, sobald er ihr zu nahe kommt. Man wähnt sich im Reich von Jaques Tati, allerdings verkörpern die Gegenstände menschliche Funktionsstörungen derart suggestiv, dass man versucht ist, ihr Tun für eine Anklage unserer überrationalisierten Welt zu halten.
Eindeutigkeit ist indes nicht Fischers Sache. Genauso könnte man die komplexen Entwürfe seiner Charaktere für eine Archäologie unserer affektiven Grundkonstanten halten: Angst, Scham, Freude, Trauer. Auch wenn der Schalterkram auf den Tapeziertischen und die roten Werkzeugkisten, die sich in den Regalen bis zur Decke stapeln, nach schlichter Tüftelei aussehen, umgibt selbst die halbfertigen Maschinen – und von diesen sammeln sich über Jahre einige an –, stets etwas Rätselhaftes, eine absurde Aura, die narrative Kapriolen schlägt. Vielleicht, weil Fischer in unzähligen Versuchsanordnungen den Gegenständen genug Platz gibt, ihre ganz eigene Geschichte überhaupt erst entwickeln zu können, »nicht weil sie vom Großvater sind, sondern weil sie einen gepackt haben«.
GENETISCHE VORBELASTUNG?
Allerhand Gerümpel türmt sich im Nebenraum. Alte Bürostühle, Fernsehmonitore und Kaffeemaschinen. Ihr Potenzial erschließt sich nicht auf Anhieb. Da muss man wohl schon genetisch vorgezeichnet sein wie Fischer, dessen Vater als Ingenieur riesige Motoren für eine amerikanische Firma herstellte. Unter seinen Großeltern finden sich ein Fernmeldetechniker, eine Spitzennäherin und ein Tapetenmaler. Aufgewachsen ist er auf dem Land in der Nähe von Bonn. Wenn er als Kind nicht Buden im Wald baute, schnappte er sich mit seinen vier Geschwistern Staubsauger und zerlegte sie in Einzelteile. »Wir waren ein lärmender Haufen, da zieht man sich schon mal gerne zurück in seine eigene Welt.«
Zur Kunst kam er eher durch Zufall. Der Zivildienst in einem Altenheim hatte Spuren hinterlassen, die Konfrontation mit dem täglichen Sterben wirbelte die Lebensplanung durcheinander. Über einen Job auf der Art Cologne geriet der damals noch manisch Zeichnende an den Künstler Michael Irmer. Nach einem Jahr Unterricht bei dem Bildhauer ging er an die Kunstakademie Düsseldorf. 2003 verließ er sie als Meisterschüler von Georg Herold. Irmer hatte Fischer noch prophezeit, »einen Vertrag mit dem Teufel« unterschrieben zu haben. Mindestens 15 Jahre würde es dauern, bis er von seiner Kunst leben könnte.
DIE ARBEIT WIRD NACHTS GEMACHT
Da hat er wohl nicht mit Fischers Obsession gerechnet. Die richtigen Stipendien zu finden, fällt ihm nicht schwer. Und auch den Weg in den Keller findet er regelmäßig zwischen 16 und 5 Uhr morgens. Tagsüber haben die Tochter und seine Frau, die Malerin Stanislava Kovalcikova, Priorität. Treue Sammler hat er auch längst gefunden. Bis zu fünf Monate kann es dauern, bis eine Apparatur fertig gebastelt ist. Da fällt die Trennung schon mal schwer. Wie bei der »Operation Notzucker« von 2008, die das Kölner Sammlerpaar Kurt und Claudia von Storch für zwei Jahre in seinem Wohnzimmer installiert hatte. Ein vorbildlich mit Kaffee und Zucker ausgestattetes Schlauchboot, an dessen Spitze ein Lautsprecher baumelt.
Zu Fischers typischem Vokabular gehören Befindlichkeiten beschreibende Leuchtschriften wie »PLEITE« oder »OFEN AUS«, aber auch ganze Bilderbühnen, die er mit eigener Stimme bespricht. Der Ton erinnert mitunter an dadaistische Rezitationen, die er mit einer erstaunlichen Portion schauspielerischen Talents vorträgt. Ein in Not geratener Seemann singt vom Mast herab gegen seine Angst an und beschimpft das Meer als »feige Sau«. Entbrannt für das maritime Drama sind die von Storchs im Kunstverein Bonn. Zuvor hatte bereits Kasper König im Herbst 2007 das »Rabenrohr« in die Sammlung aufgenommen: Eine auf einem Besen nach rechts und links spähende Chips-Rolle aus Pappe, die störrisch die Geschichte vom Raben erzählt, »der raucht und raucht, der Rabe raucht, er raucht die ganze Nacht…«. Eine märchenhafte Szene, die austestet, was von dem Spieltrieb früherer Tage übrig geblieben ist.
Kindliche Neugier scheint sich Fischer im Übermaß erhalten zu haben, was ihn nicht daran hindert, genug bodenständige Skepsis zu besitzen. Das gilt auch für seine unverstellte Offenheit, die ihn zu einer seltenen Spezies im Kunstbetrieb kürt. Mit ihr kann er Bäume versetzen, damit er nicht tagaus, tagein einer »langweiligen Arbeit« nachgehen muss.
Your Time Is My Rolex; Ludwig Museum Köln, 30. November 2012 bis 17. März 2013. Tel.: 0221/221-26165. www.museum-ludwig.de + www.andreasfischermachines.de