TEXT: GUIDO FISCHER
Metamorphosen! Cecilia Bartoli hatte sich für ihre CD »Sacrificium« in einen manieristisch marmornen (seltsam an Michael Jackson erinnernden) Jüngling verwandelt, als wäre dieser aus antiker Erde gegraben worden. Für ihre neueste Einspielung haben nun Kostüm- und Maskenbildner ganze Arbeit geleistet, so dass das Cover von »Mission« fast Schaudern auslöst. Glanzköpfig und im Priestergewand schleudert die italienische Mezzo-Diva uns dämonische Blicke und mit geballter Faust ein Kreuz entgegen. Aus der Heiligen Opern-Cecilia ist ein katholischer Eiferer geworden, vor dessen Bruderschaft die Ungläubigen für Leib und Seele fürchten mussten.
Um eine Lanze für vergessene Komponisten zu brechen, ist Bartoli keine Verkleidung zu gewagt. Die Römerin mit dem weiten Herzen und dem feinen Gespür für Raritäten hat jetzt Agostino Steffani wiederentdeckt. Als Komponist schuf er u.a. 16 Opern, die kaum einer mehr kennt. Zudem finden sich unter seinen rund 150 Werken zahlreiche Mini-Opern wie Kantaten und Kammerduette, die selbst Georg Friedrich Händel nachhaltig beeinflussten. Obwohl der 1654 in einem norditalienischen Dorf geborene, 1728 in Frankfurt am Main gestorbene Steffani zum Bindeglied zwischen Claudio Monteverdi und auch Antonio Vivaldi wurde, ist er nur Spezialisten der Alte Musik-Szene ein Begriff.
Zunächst machte Steffani in München als Kammermusikdirektor und mit seiner ersten Oper »Marco Aurelio« Karriere, bevor es den geweihten Priester nach Hannover und Düsseldorf zog, um im Auftrag des Papstes die deutschen Fürstenhöfe wieder in den Kirchenschoß zu führen. Für seine Bemühungen sollte er mit Bischofswürden belohnt werden. Als Diplomat, Geheimagent und gestrenger Kirchenmann unterwegs, spiegeln die Uraufführungsstationen seiner Opern immer auch seine sonstigen Umtriebe.
Erstmals auf Steffanis Namen stieß Bartoli vor vier Jahren bei der Recherche zu »Sacrificium«. Schon damals war sie von der schwerelosen Süße und furiosen Energie der Melodien so begeistert, dass sie sich in die Musikarchive begab und in den Notenbibliotheken von München, Wien und London stöberte.
Die erstmals auf Tonträger zu hörenden 21 Arien, die Bartoli für »Mission« kombiniert, sind Barock-Material, mit dem der Star furios Überzeugungsarbeit leistet. In seiner Musik hielt Steffani effektvoll an weltlichen Zügen fest, inszeniert lautmalerisch ein heftiges Erdbeben, schmiedet wahnwitzige Koloraturen-Ketten oder bringt mit lyrisch zarter Hand und abseits des Keuschheitsgebots das Liebesherz zum Pochen. Bartolis Zweieinhalb-Oktaven-Stimme bietet ein Seelen-Panorama – vom irdischen Glück bis in die Opera seria-Abgründe, von bravouröser Raserei bis zu säuselnder Sinnlichkeit. Wenn sie dann eine Arie aus »La superbia d’Alessandro« singt, aus der sich später Händel bedienen sollte, unterstreicht sie Steffanis damaliges Ansehen. Aus dem Schatten der Händels, Caldaras und Scarlattis lässt Bartoli ihn ins Licht treten. Für ihren Studioauftritt hatte Bartoli mit dem fabelhaften Countertenor Philippe Jaroussky ihren Lieblingssänger eingeladen. Bei der »Mission«-Tournee steht sie, begleitet von dem Kammerorchester Basel, indes allein im Scheinwerferlicht. Sie hat sich Agostino Steffani mit Haut und Haaren verschrieben, der kahle Kopf auf dem Cover sollte uns nicht täuschen.
22. November 2012, Philharmonie Köln. www.koelner-philharmonie.de
27. November 2012, Konzerthaus Dortmund. www.konzerthaus-dortmund.de