TEXT: STEFANIE STADEL
»Mit Gottes Hilfe habe ich meine Seelenruhe wiedergefunden, indem ich auf jedes Engagement außerhalb meines so angenehmen Berufes verzichte.« 15 Jahre seines Lebens hatte er neben der Malerei erfolgreich als Diplomat gewirkt. Nun war Peter Paul Rubens Mitte 50 und froh: »Ich habe den goldenen Knoten des Ehrgeizes durchhauen, um meine Freiheit zurückzugewinnen.« Wenn nicht als großer Maler, so wäre er wohl als Diplomat in die Geschichte eingegangen. Vielleicht aber auch nicht, denn ohne seine Malerei hätte Rubens in den Verhandlungen wahrscheinlich weit weniger bewirken können. Wusste er seine Aufgaben als malender Diplomat und diplomatischer Maler doch immer aufs Wirksamste mit-einander zu verknüpfen.
Das von der Heydt-Museum in Wuppertal überblickt nun noch einmal Rubens’ Schaffen und interessiert sich dabei nicht nur für den Alten Meister, sondern ebenso für seine das Werk so prägende Nebenbeschäftigung. Auch für jene Friedenssehnsucht, die Rubens – Kind des Krieges – bei all dem Einsatz immer wieder Antrieb war.
Hinter großen Gesten und dramatischen Szenen, hinter schwellendem Fleisch und Muskelpaketen will die Ausstellung den staatsklugen Unterhändler kenntlich machen, den hintersinnigen Großunternehmer. Der übermittelte oft genug mit seinen ikonografisch sorgsam ausgetüftelten Gemälden verschlüsselte Botschaften, die selbst Insider unter seinen Zeitgenossen nicht ohne weiteres lesen konnten. Bis heute hat Rubens ein Heer sich zuweilen heftig widersprechender Interpreten auf den Plan gerufen. Als Meister der Mehrdeutigkeit und zuweilen als ironischer Kommentator, der Dinge, die er nicht offen äußern durfte, raffiniert zu verstecken verstand – sie wie im Geheimcode auf Holz oder Leinwand brachte.
RUBENS-BILDER GEHEN NICHT GERN AUF REISEN
Gelegentlich ist diese Seite auch in Wuppertal zu erahnen – etwa mit Blick auf die 1625 von Rubens und seiner Werkstatt gemalte »Allegorie der Guten Regierung«: Diese hat sich auf einem steinernen Sockel niedergelassen. Krone, Zepter, Globus, Steuer und Waage weisen die füllige Dame als französische Königin aus; gemeint ist wohl Maria de’ Medici. Ob Rubens ihre Regierung wirklich als so rühmlich darstellen wollte? Sie war es nicht, und das wusste er. Vielleicht hängt deshalb die eine gold-glänzende Schale an Marias Messgerät so schwer hinab, obwohl die Waage als Symbol der Gerechtigkeit doch eigentlich immer schön ausgewogen sein müsste.
Neben Werkstattarbeiten, Stichen, Kopien bringt das von der Heydt-Museum immerhin rund 50 eigenhändige Rubens-Bilder zusammen, was wohl nicht ganz einfach war. Ungern schicken Museen solche Schätze auf Reisen. Und so muss sich auch die Wuppertaler Schau immer wieder behelfen, um ihr Thema möglichst anschaulich zu machen. Sie füllt die Lücken etwa mit zeitgenössischen Stichen, die bezeichnende Hauptwerke reproduzieren.
Daneben bietet die Ausstellung neben den monumentalen Gemälden eine Reihe von Ölskizzen – sicher sind sie weniger spektakulär, aber auf eine andere Weise beeindruckend. Vermitteln diese Vorarbeiten doch einen sehr unmittelbaren Eindruck von Rubens’ gestalterischen Verfahren – von der Art und Weise, wie er mit virtuosem Pinselzug seine Formen und Figuren umreißt und in Bewegung bringt.
IN RUBENS’ ATELIER
Alles in allem ist die Ausbeute gut, Einblicke in das Schaffen zu vermitteln, dabei das Miteinander von Kunst, Politik, Religion in Leben und Werk klarer werden zu lassen. Auf dem weitgehend chronologisch geordneten Parcours folgt man dem Maler durch die Jahrzehnte. Begleitet ihn im Dienste der Mächtigen und des Friedens durch Europa.
Die erste Station führt allerdings nicht in die weite Welt, sondern nach Antwerpen ins einzigartige Anwesen des Meisters. »Wir besuchten auch den weitberühmten und kunstreichen Maler Rubens«, so berichtet einer, der Rubens 1621 dort erlebt hatte. Otto Sperling, Arzt aus Hamburg, traf ihn bei der Arbeit an der Staffelei – und nicht nur das. Gleichzeitig ließ Rubens sich aus Tacitus vorlesen, er diktierte einen Brief und hielt dazu noch den Smalltalk mit seinem Besucher in Schwung. Alles auf einmal. Schon Sperling vermutete Imponiergehabe hinter dieser denkwürdigen Vorstellung: Als ob Rubens hierdurch »sein großes Ingenium zeigen wollte«.
Mag sein. Trotzdem sind dem Maler die vielfältigen Begabungen nicht abzusprechen. Auch seine herrschaftlichen Zeitgenossen erkannten den Tausendsassa, der sechs Sprachen beherrschte, in Philosophie, Religion, Geschichte, Politik bewandert war. Der »wegen seiner Wohlredenheit und höflichen Wandels bey jedermann in hohes Ansehen kommen ist«, wie einer, der ihn kannte, überliefert. Ein gemachter Mann von 44 Jahren war Rubens, als Sperling ihn besuchte. Früh hatte er es zum Hofmaler der spanisch-habsburgischen Erzherzöge Isabella und Albrecht gebracht und konnte sich seither vor Aufträgen kaum retten. Kirche, Bürger, Adel, Könige – alle wollten seine Bilder. Und obwohl ihm eine Schar von bis zu 100 Helfern malend zur Hand ging, war der Künstler-Unternehmer ständig ausgebucht.
EIN HAUS WIE EIN PALAZZO FÜR DEN HEILAND
Für die zahlreiche Belegschaft hatte er sein Haus zur Malmanufaktur ausgebaut, wobei ihm offenbar das Vorbild italienischer Palazzi vorschwebte. Vielleicht wollte der Flame ja ein wenig südliches Flair in die Heimat holen. Rubens hatte sich immerhin acht Jahre wohlgefühlt in Italien, dort mit 22 Jahren bereits Fuß gefasst als Maler am Hofe des kunstsinnigen Herzogs von Mantua, Vincenzo Gonzaga. Die Schau zeigt eine kleine »Anbetung der Heiligen Drei Könige«, die Rubens gegen Ende des Aufenthalts schuf. Sie beweist, wie sehr er die italienischen Anregungen verinnerlicht hatte. So lokalisiert der junge Maler die biblische Szene inmitten einer antiken Tempelruine und folgt mit der reichen, kräftigen Palette den großen venezianischen Malern des 16. Jahrhunderts.
1608 war Rubens dann heimgekehrt nach Flandern, um seiner schwer erkrankten Mutter beizustehen. Er blieb dort, sicher auch wegen der ausgezeichneten Karrierechancen, die sich in Antwerpen nun auftaten. Eine zwölfjährige Waffenruhe zwischen den nördlichen und südlichen Provinzen stand bevor und kurbelte den Aufschwung an: Handel, Handwerk und Kunst ging es gut wie lange nicht mehr. Albrecht und Isabella wollten den Heimkehrer sogleich als Hofmaler gewinnen und köderten ihn mit etlichen Privilegien.
Im Zuge der nun mit voller Kraft betriebenen Gegenreformation wurden überall in den spanischen Niederlanden Kirchen errichtet. Rund 300 Neubauten, die es auszuschmücken galt. Und zwar nach Möglichkeit mit Bildern, die den Gläubigen unmittelbar überwältigen. Ihn die Heils-geschichte miterleben und miterleiden lassen. Dafür war Rubens genau der richtige Mann.
Besonders stark bestückt zeigt sich das religiöse Kapitel der Ausstellung. Auch in Rubens’ Themen spiegelt sich hier der Geist der Gegenreformation: Anbetung, Kreuztragung, Beweinung laden ein zur emotionalen Anteilnahme. Ebenso die pummeligen Christus-Babys mit den nie abgehobenen, ganz diesseitigen Marien. Und Heilige Familien, die recht nah heranrücken an die Wirklichkeit der zeitgenössischen Kleinfamilie.
Ein eigener Raum ist Rubens’ Engagement bei der Ausstattung der neuen Antwerpener Jesuitenkirche gewidmet. Gezeigt werden unter anderem einige Vorarbeiten zu den heute zerstörten Deckengemälden. Bei der Ölskizze zur »Opferung Isaaks«greift die Dynamik von Gesten und Gewändern gar auf den realen Raum über mit Beinen, die aussehen, als würden sie direkt aus dem Bild heraus ragen.
DER KÜNSTLER ALS DIPLOMAT
Auch während er sich intensiv um die Kirche kümmerte, malte Rubens weiter für wohlhabende Bürger in Antwerpen. Und für den Adel in Europa, der das Heim gerne mit seinerzeit modischen Jagd-Szenen schmückte – war diese Beschäftigung doch ein Privileg der Aristokratie und eignete sich überdies hervorragend, Eigenschaften wie Mut, Selbstbeherrschung und Standhaftigkeit ins Bild zu bringen. Meistens setzt Rubens hier auf Momente größter Gefahr und Dramatik. Als Musterbeispiel hängt im von der Heydt-Museum eine wunderbare »Wildschweinjagd« für Herzog Maximilian von Bayern. Mit reichlich Action auf engstem Raum und einem hilflosen Jagdhelfer, dem Auge in Auge mit dem rasenden Eber die Totenbleiche ins Gesicht steigt.
Neben der Malerei werden in den 20er Jahren die diplomatischen Unternehmungen immer wichtiger. Für Isabella, Albrecht und den Frieden ist Rubens ständig unterwegs. In London landet er 1630 seinen größten Coup, als er den Friedensschluss zwischen Spanien und England anbahnt. Den Fortschritt der Verhandlungen verbildlichte er parallel in seinem allegorischen Gemälde »Krieg und Frieden«. Zu schön wäre es gewesen, hätte die Schau dieses so trefflich zu ihrem Thema passende Hauptwerk zeigen können. Aber London hat nicht mitgemacht, und so muss eine Reproduktion reichen. Drum herum finden sich einige verwandte und vorbereitende Werke. Darunter eine Ölskizze: Mit vollem Einsatz vertreibt Minerva da den brutalen Kriegsgott Mars, der achtlos eine junge Mutter an den Haaren hinter sich herschleift.
Trotz all der Mühen wird Rubens den Krieg sein Leben lang nicht vertreiben können. Doch fand der Maler im letzten Jahrzehnt mit seiner zweiten Ehefrau und fünf gemeinsamen Kindern seine »Seelenruhe« wieder – eine Art privaten Frieden fern der Diplomatie, die ihn zwar erfolgreich, aber dennoch desillusioniert entließ. Während der Krieg in Europa weiter wütete, konzentrierte Rubens seine Sicht in einer einfachen, eindringlichen Ölskizze. Da sitzen zwei Männer – Kriegsgefangene wohl – gefesselt Rücken an Rücken auf dem nackten Erdboden, ringsum verstreut liegen Lanzen, ein Helm mit Federbusch. Nicht die Spur der sonst üblichen Heroisierung, keine heftigen Gesten, keine dramatische Handlung – nur Ohnmacht und Trauer.
Von der Heydt-Museum, Wuppertal. Bis 28. Februar 2013. Tel.: 0202/5636231. www.von-der-heydt-museum.de