TEXT: ANDREAS WILINK
Was wir zu sehen bekommen, sind ohne Gewähr auf Vollständigkeit: an die 70 Choristen, denen der am Gründgens-Platz nicht unbekannte Herr Schleef freilich eine ganz andere rhythmische Präzision verordnet hätte; Akrobaten der Lüfte; Pappkameraden, große und kleine; Tschechow-Birken; wimmelnde Insekten auf weißer Wand; eine Bootsfahrt im schwarzen Nichts; eine Horde Kühe; viele Puppen, ebenfalls große und kleine; eine Porno-Freakshow mit fleischfarbenen künstlichen Pimmeln und Riesenärschen; ein Monsterbaby; einen zertrümmerten Flügel; ein fliegendes Tandem; Rückprojektionen; einen Trickfilm mit einem munter montierten Grinse-Kopf. Des weiteren eine sich wie toll gebärdende Bühnenmaschinerie, deren hydraulische Fähigkeiten höchstens vom Gezappel des Ensembles übertroffen werden. Gemeinsam produzieren sie nichts als Leerlauf und brauchen dafür drei Stunden. Dazu klimpert eine synkopische Klaviermusik, die sogar einem aufgedrehten Mack-Sennett-Slapstick auf die Nerven gehen würde.
Die Düsseldorfer Schauspielhaus-Saison beginnt mit einer Bearbeitung von Kafkas »Prozess«, inszeniert von dem in St. Petersburg beheimateten Andrej Mogutschi, der seine kindliche Lust an den technischen (und finanziellen) Möglichkeiten des deutschen Stadt- und Staatstheaters befriedigt. Dass dies im Anschluss an eine harsche Debatte über kommunale Kürzungen des Düsseldorfer Bühnenetats geschieht, ist angesichts des – in Folge – künstlerischen Ergebnisses ein kulturpolitischer Skandal, der dem Intendanten Holm zu schaffen machen müsste. Dieser Hochkultur-Tingeltangel in seinem flauen Avantgarde-Gestus und, wenn im zweiten Teil das Playmobil Bühne und das expressive Dampf-Ablassen der Darsteller zum Stillstand kommt, biederen, trübseligen Langeweile, an deren Herstellung der Darsteller des Josef K., Carl Alm, einigen Anteil hat, führt den Anspruch der Internationalisierung des Schauspielhauses ad absurdum.
K.’s Geschichte wird vom Ende her gedacht: seinem Tod, der ihn hier baumelnd am Marionettenfaden trifft. Sinnlos bildversessen und von seinem eigenen Aufwand berauscht, stochert »Der Prozess« durch Dunkel und Nebel. Wobei das Schlimmste ist, dass Mogutschis Theater dem Roman seine klare, strenge, nüchterne Unerbittlichkeit nimmt, ihn aber noch mit Kafka-Aphorismen aufrüsten zu müssen meint. Ansonsten sind die Abgründe des Abends nur Bühnenlöcher und andere Schwindeleien.