TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Vielleicht fehlt Frauen einfach die fehlende Lautstärke im öffentlichen Auftritt. Männer machen gerne mal auf dicke Hose – wie der Designer Stefan Sagmeister, der sich 1999 selbst als Plakat inszenierte, indem er sich Buchstaben und Schriftzüge blutig ins Fleisch seines Oberkörpers ritzte und damit in der Szene endgültig zum Grafikgott befördert wurde. Würfe man in diesem Zusammenhang den Namen Catherine Opie in die Runde, man würde wahrscheinlich in fragende Gesichter blicken. Dabei hat die amerikanische Künstlerin sich bereits fünf Jahre früher in ähnlicher Weise präsentiert – wenn auch auf die härtere Tour. Auf dem entsprechenden Foto sieht man Opie mit Ledermaske, Nadeln in den Armen und dem, in die Brust geritzten, Schriftzug »pervert«. Zwar hat Sagmeister damals die Inspiration durch Opie bestätigt – im Rückblick bleibt aber hauptsächlich sein Name mit der blutigen Typografie verbunden.
Sicher – ein extremes Beispiel, das in »Women in Graphic Design« auch nur kurz gestreift wird, aber in einer Reihe von ähnlichen Fällen steht. Wie die Schweizerin Maja Allenbach, die gemeinsam mit ihrem Mann Werner Allenbach ein Design-Studio führte, eine neue Ästhetik aus Fotografie und Grafik in das Konsumplakat einbrachte und 1933 eine moderne, stilweisende Außenbeschriftung der Postämter schuf. Ihre Werke wurden aber jahrzehntelang ihrem Mann zugeschrieben. Oder die Schriftgestalterin Zuzana Licko, die mit ihrem Magazin »Emigre« und Schriftenfamilien wie »Base«, »Mrs. Eaves« und »Filosofia« maßgeblich die digitale Typografie der 90er mitgeprägt hat. Im Licht der öffentlichen Wahrnehmung stehen aber meist die männlichen Typo-Avantgardisten David Carson und Neville Brody.
LÄNGST NOTWENDIGER WÄLZER
Das Buch »Women in Graphic-Design« will diese Nichtbeachtung widerlegen und ist das Ergebnis mehrjähriger Forschung des Fachbereiches Industrie-Design an der Bergischen Universität Wuppertal. Was eigentlich als Vorlesungsreihe geplant war, entwickelte sich schließlich zu einem 608-Seiten-Wälzer, der »eigentlich noch viel dicker sein könnte«, wie Julia Meer, Grafikdesignerin und die Autorin neben Gerda Breuer, betont. Trotz monatelanger Recherchearbeit wurden manche Gestalterinnen erst nach Redaktionsschluss entdeckt, wie Sonya Dyakova, Art Directorin beim Phaidon-Verlag, oder Carolyn Davidson, die den »Swoosh«, das Signet für »Nike« entwarf.
»Warum gibt es in der Designgeschichte scheinbar so wenige Frauen? Warum sprechen immer noch so wenige Frauen auf Konferenzen? Welche Auswirkungen hat die Gender-Debatte auf den heutigen Arbeitsalltag? Warum werden ehemals bekannte Frauen ›vergessen‹?« – das sind gute Fragen, die man sich, zugegeben, bisher wenig gestellt hat. »Woman in Graphic Design« versucht Antworten darauf zu geben – und es kann Entwarnung gegeben werden. 608 Seiten angedrohte Gender-Debatte hätte in einer wissenschaftlich-theoretischen Textwüste enden können. Das Gegenteil aber ist der Fall: »Women in Graphic Design« zeigt selbstbewusst und undogmatisch den Stand der Dinge; blickt zurück in die Designgeschichte und nähert sich dem Thema mit ausgewählten Essays, Interviews mit (inter-)nationalen Grafik-Designerinnen und schließt mit lexikonartigen Kurzbiografien. Zudem ist das Buch visuell äußerst ansprechend gestaltet und auf matt-offenem Papier gedruckt worden – schon beim ersten, beiläufigen Blättern hagelt es Entdeckungen wie Irmgard Sörensen-Popitz, die als einzige Frau der typografisch orientierten Druckklasse des Bauhaus angehörte und später als Art Director im Beyer-Verlag in Leipzig arbeitete. Vermutlich war sie es, die ihren ehemaligen Lehrer Moholy-Nagy in den Verlag holte, als das Magazin »Frauen-Mode« visuell überarbeitet werden sollte. Ergebnis war das damals unerhört avantgardistische Frauenmagazin »die neue linie« und das Problem, dass Sörensen-Popitz im Windschatten Moholy-Nagys arbeitete und zudem keine Erwähnung im Impressum fand.
EINE FRAU SCHUF DAS TWITTER-SIGNET
Eine weitere Entdeckung sind Ray Eames’ Zeitschriftencover für das Magazin »arts & architecture«, die zwischen 1942 und 1947 entstanden und ihrer zeitlosen Modernität locker mit den heutigen Lifestyle-Fibeln wie »Wallpaper« mithalten können. Trotzdem verlieren die Autorinnen nicht den Faden der Vergangenheit zwischen Bauhaus, Käthe Kollwitz und der russischen Avantgarde. In den Kurzbiografien finden sich gegenwärtige Gestalterinnen wie Amy Franceschini, die den »Twitter«-Schriftzug entworfen hat. Kris Holmes, deren Schriften man auf jedem Computer findet – sie steckt hinter den Systemfonts »Lucida« und »Wingdings« sowie den Digitalisierungen der »Caslon« und »Baskerville«. Oder Debbie Millman, deren Entwürfe im Alltag eher beiläufig wahrgenommen werden – sie hat u.a. die Verpackungen von »Ben & Jerry’s«-Eiscreme, »Uncle Ben’s«-Fertigreis und »Dunkin’ Donuts« gestaltet.
Die großen Fragen des Klappentextes werden angemessen wie unterschiedlich beantwortet – durch Interviews mit Frauen, die in Agenturen oder als selbstständige Designerinnen arbeiten. Wie arbeitet es sich zwischen Kindern und Karriere und wie ist die Anerkennung im Beruf? Abgesehen davon, dass die befragten Frauen alle erfolgreich in ihrem Job tätig sind und sich nicht mehr als Pixelschubserin im Praktikum durchkämpfen müssen – es herrscht ein gelassener Pragmatismus.
Julia Hoffmann, die Kreativdirektorin des New Yorker »Museum of Modern Art«, sieht u.a. das Problem ganz alltäglich in der Besetzung von Kreativ-Jurys, in denen immer noch drei Männer und eine Frau sitzen. Oder Tina Roth Eisenberg aus Brooklyn, die, wie ihr gleichnamiger Designblog, auch als »Swiss Miss« bekannt ist. Neben dem Blog betreibt sie ein eigenes Designstudio, ist Mutter von zwei Kindern und hat keine Lust auf einen leitenden und zeitintensiven Job in einer großen Agentur – »das wäre sicher aufregend, aber ich würde meine Kinder nicht mehr sehen. Das geht nicht. Ich will ja auch Mama sein.«
Neben Miriam und Nina Lambert aus Düsseldorf, Iris Utikal vom Kölner Büro »Qwer«, Buchgestalterin Irma Boom und Paula Scher von der Agentur »Pentagram« kommt auch Judith Grieshaber zu Wort. Die Professorin für Kommunikationsdesign an der HTWG Konstanz und Gründerin des Büros »united ideas« ist sich sicher: »Weibliche Mimosen machen im Design genauso wenig Karriere wie männliche Weicheier.« Und auf die Frage, ob es denn nun eine »spezifisch weibliche Art der Gestaltung« gäbe, legt sie nach und gibt die richtige Antwort: »Was soll das sein? Es gibt nur Gestaltung, die gelingt oder nicht, die ihre Aufgabe gestalterisch löst oder nicht. Gute Gestaltung ist nicht männlich oder weiblich, sondern sie löst Probleme, gebiert spannende Ideen und entwickelt überzeugende Kreationen – all das möglichst intelligent, kreativ, fantasievoll, lebendig, frisch, gebildet, angemessen.«
Prof. Dr. Gerda Breuer / Julia Meer, »Women in Graphic Design 1890-2012«, Bergische Universität Wuppertal; Jovis Verlag, Berlin 2012, 608 Seiten, 42 Euro. www.uwid.uni-wuppertal.de + www.juliameer.de