TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Industriekultur für Zuhause« droht der Slogan auf der Website, meint aber nicht Garderobenständer in rostiger Stahlträgeroptik oder ein zum Defekt neigendes Tischfeuerzeug in Form des Dortmunder U. Anna Lederer interpretiert den Begriff »Industriekultur« bewusst anders. Keine retrospektive Kohle- und Stahlromantik, verpackt in immer neue Geschenkartikel, sondern Produkte, die man sonst in der Arbeitswelt und der Industrie verwendet. Vor knapp drei Jahren eröffnete die Designerin im Kölner Stadtteil Ehrenfeld mit dem »Utensil« einen Laden für eben diese Produkte, die man nicht an jeder Ecke bekommt: Stadionbestuhlung – bunte Sitzschalen für die private Fankurve im heimischen Wohnzimmer. »Jika-Tabi« – japanische Arbeitsschuhe mit zehenartig getrennter Sohle, mit denen man auf Seilen und Gerüsten klettern kann, die aber auch modisch einen interessanten Fuß machen. Nostalgische Zuckerdosierer, wie sie in Oma-Cafés anzutreffen sind. Oder die »Saustall Leuchte«, die – mit Infrarotlicht ausgestattet – zur Viehzucht verwendet wird, sich aber auch beim Schnitzelklopfen über dem Küchentisch gut macht. Dinge also, die aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen werden, um ihnen im privaten Bereich eine neue Funktion zuzuweisen.
Mit der »Utensil-Kollektion« führt Anna Lederer seit Anfang 2012 dieses Konzept weiter. Für Lederer ist die neue Produktlinie die »logische Konsequenz« ihrer Arbeit, die sie aber mehr als die einer Kuratorin denn als Designerin versteht. Sie selbst hat keines der Produkte entworfen, sondern nur die Gestalter und ihre Produkte ausgewählt. »Es geht nicht darum, etwas neu zu gestalten«, sondern bestehende, qualitativ hochwertige Industrieprodukte zu verändern und ihre Funktionalität zu erweitern. Hinter der »Utensil-Kollektion« stecken die Entwürfe internationaler Designer und Designerinnen, die Decke »Pacoco« etwa stammt von der Schweizer Textilgestalterin Isabel Bürgin. Die krankenhausübliche weiße »Schweizer Spitaldecke« hat Bürgin durch ein spezielles Webverfahren »manipuliert« und in eine grün-rot-weiße Decke verwandelt, die, je nach Lichteinfall, in den verschiedenen Farben schimmert. Auch der Rat für Formgebung mag es schön und kuschelig – und hat »Pacoco« für den »German Design Award 2013« nominiert.
Im »Utensil«-Laden, der retrogefliest in den Räumen einer ehemaligen türkischen Metzgerei untergebracht ist, gehört auch der Erlenmeyerkolben zum Standard-Sortiment. Die Kölner Glas- und Objektdesignerin Isabel Hamm hat dem hitzebeständigen Glasgefäß aus dem Chemieunterricht eine filigrane Tülle verpasst und es so zu einem Öl- oder Teekännchen umgestaltet, das auch das direkte Erhitzen auf einer Herdplatte aushält. Und für den Fall, dass man mal beim Molekularküchenextremisten Ferran Adrià eingeladen sein sollte, hätte man mit Hamms »Kolben« das perfekte Mitbringsel.
»New School« ist ebenfalls ein Link in die Vergangenheit – die Kölner Designer und Innenarchitekten Moritz Halfmann und Jörg Mennickheim haben sich den guten alten Schulstuhl mit seinen charakteristischen Holzkufen vorgenommen, der eigentlich – Elternabendbesucher kennen das – nur bedingt erwachsenentauglich ist. Ihr »New School« scheint mit den Schülern von damals mitgewachsen zu sein; Halfmann und Mennickheim haben ihn in die Länge gezogen und in einen Barhocker verwandelt, ohne seine Herkunft zu verstecken. Fast ist man versucht, nach Kratzern, Kritzeleien und alten Kaugummis unter der Sitzfläche zu forschen, was aber aussichtslos ist, denn der »New School« wird, wie alle anderen Stücke der »Utensil-Kollektion«, komplett neu hergestellt. Das in der Designszene stark verbreitete Recycling findet man bei dieser Kollektion nicht: »Wir machen aus einem Schwimmflügel keine Tasche«, betont Anna Lederer.
Ebenfalls von Halfmann und Mennickheim stammen »Car Pet 1+2« – Bodenbeläge, die in Zusammenarbeit mit einem Hersteller für Autoteppiche entwickelt wurden. Was einst im dämmrigen Auto-Fußraum wenig Beachtung fand, wird nun wohnzimmertauglich, beispielsweise in vereinfachter Form eines Tierfells. Eine robuste Alternative für diejenigen, die sich keinen erlegten Eisbären in die Wohnung legen wollen; hergestellt aus Schurwolle und Ziegenhaar und mit der typischen, gekettelten Randeinfassung versehen. Auf das Konto der Designer geht auch die Leuchtenserie »Profiler«, die aus Metall-Systemstreben konstruiert wurde. Eine minimalistische Schreibtischlampe, die ihre technische Herkunft in den Vordergrund rückt und mit Schnellspannern an den Gelenken schnell in die gewünschte Position gebracht werden kann.
Eine weitere Lampe stammt von Joachim Lindenbeck – »Socket« beschränkt sich auf das Nötigste und besteht aus jener Porzellanfassung, die man seit Jahrzehnten aus Werkstätten oder Waschküchen kennt. In der »Utensil-Kollektion« wechselt das Massenprodukt von der Decke auf den Tisch, versehen mit einem der momentan schwer angesagten farbigen Textilkabel inklusive Kippschalter. Als Leuchtmittel ist aus ästhetischen Gründen eine herkömmliche verspiegelte Glühbirne wünschenswert; Energiesparlampen würden eher für visuelle Irritationen sorgen.
Der Kölner Architekt und Industriedesigner Eric Degenhardt hat zur Kollektion »Hanger 1+2« beigesteuert, eine Optimierung der spillerigen Drahtbügel, wie man sie in Reinigungen oder Großwäschereien bekommt. Seine »Hanger« sind mit farbigem Kunststoff ummantelt und an einigen Stellen so geknickt, dass im Bügel selbst entsprechende Ausbuchtungen und Haken entstehen, die dafür sorgen, dass kleinere Kleidungsstücke wie Schals nicht mehr hinunterrutschen können. Vom Designstudio »dreikant« kommt was für die Hosentasche – »Locker«, ein Schlüsselhalter, der nach dem Prinzip eines Inbus-Schlüsselsatzes funktioniert. Bis zu acht Schlüssel lassen sich unterbringen und wie bei einem Taschenmesser ausklappen.
Auch wenn die »Utensil-Kollektion« schon einen sehr perfekten Eindruck macht – die Produktion braucht Zeit. Kuratorin Lederer ist in Kontakt mit Firmen, um die Stücke als Kleinauflagen produzieren zu lassen, was nicht immer einfach ist. Man stelle sich den Hersteller der Erlenmeyerkolben vor, der in seine tägliche Massenproduktion zusätzlich den »Kolben« in erweiterter und veränderter Form integrieren müsste. Und das zu einem vernünftigen Preis und ressourcenschonend, wie die »Pacoco«-Decke, die nach dem »Oeko-Tex Standard« gefertigt wird. »Pacoco« ist bereits erhältlich, die anderen Produkte der Kollektion folgen. Die »Utensil-Kollektion« soll das bisherige Sortiment des »Utensil«-Ladens nicht verdrängen, sondern auf Dauer ergänzen; das ist der Initiatorin wichtig. Für die Präsentation hat sie sich auch die richtigen Orte ausgesucht – neben den Kölner »Passagen« und dem Dortmunder »Designers Fair Satellit« während des »pdf«-Festivals machte die »Utensil-Kollektion« auch in den heiligen Hallen der Mailänder Möbelmesse einen guten Eindruck.
Utensil, Körnerstr. 21; 50823 Köln; Tel. 0221/16831673. www.utensil-shop.de