TEXT: KATJA BEHRENS
Auf seine Art ist auch Emil Schumacher (1912–1999) ein radikaler Maler und Bilderstürmer. Vielleicht nicht so sehr in der Geste und Attitüde des Künstlerheroen und Berserkers als vielmehr in der beharrlichen Art, in der er um das Bild bemüht war. Denn wahrscheinlich muss man ja irgendwie radikal sein, um über Jahre hinweg erst mit dem Gegenstand, dann mit dem störrischen Material der Gemälde zu ringen, um endlich das Bild von fremden Verpflichtungen freizusetzen und gleichzeitig die brodelnde Leidenschaft zu bannen.
Die Bilder aus der mittleren Schaffensphase Emil Schumachers, die zu Recht auch am meisten Beachtung erfahren haben, widerstehen oft genug den Versuchen der Betrachter, in ihnen ein gegenständliches Motiv wiederzuerkennen. Die Fantasie mag sich wohl angeregt fühlen, einen Streifen unten im Bild als Landschaft, eine Fläche oben als Himmel zu sehen, einen großen Farbklumpen als Berg oder eine Bogenform als Architekturandeutung. Ein Blau, ein Grün, ein Rot oder ein Orange mögen auf die Elemente oder andere Erscheinungen hindeuten, gegenständlich ausformuliert aber ist hier nichts mehr. Die Bildgestalten entwickeln mit malerischen Mitteln allenfalls Analogien zu jenen Natur- oder Landschaftserfahrungen, die sie andeuten, das Erleben der Natur und Landschaft selbst wird Bild und der Akt der Bildschöpfung an sich ist zentrales Motiv geworden.
Die Ausstellung, die das Emil Schumacher Museum in Hagen anlässlich des 100. Geburtstages seines Namensgebers organisiert hat, richtet den Fokus nun auf den weiteren Kontext, in dem die Bilder des Hagener Künstlers entstanden. »Malerei ist gesteigertes Leben – Emil Schumacher im internationalen Kontext« lautet der ebenso poetische wie programmatische Titel der Schau, die sein Werk in »Dialog mit der Malerei seiner großen Zeitgenossen aus Europa und Amerika« treten lässt – Künstler, denen er »aus ganz unterschiedlichen Gründen Interesse und Wertschätzung entgegenbrachte«.
In Hagen geboren, besucht Emil Schumacher 1932 bis 1935 die Kunstgewerbeschule in Dortmund und wird erst einmal Werbegrafiker. Gleich im letzten Jahr beginnt er als freier Maler zu arbeiten, experimentiert mit den Bildformen des Expressionismus, wird dann aber erstmal von 1939 bis 1945 als technischer Zeichner in einem Hagener Rüstungsbetrieb verpflichtet. Er bewundert Christian Rohlfs, Emil Nolde, Henri Matisse. Bereits 1947 gründet er gemeinsam mit einigen Kollegen die Künstler- und Ausstellungsvereinigung »junger westen«, geht bald allerdings eigene Wege. Als er nämlich 1951 nach Paris reist, lernt er die Kunst der gegenstandslos arbeitenden französischen Künstler kennen, von Fautrier, Dubuffet, Michaux, Mathieu, Riopelle, deren Bildsprache ihn nachhaltig beschäftigt, auch wenn er sich ihr anfangs nur zögernd öffnet. Die Werke der École de Paris und des Tachismus bleiben fortan prägend für seine Malerei und seinen Bildbegriff, das Label »Informel« allerdings behagt ihm für das eigene Kunstwollen gar nicht.
Trotzdem, die Absage an eine gegenständliche Thematik und die Abkehr von einer strengen Bildkomposition war bei Schumacher wie bei vielen seiner Künstlerkollegen Ausdruck der Opposition gegen Ordnung und einer Sehnsucht nach Freiheit. Und so arbeitet der Maler sich ab an der Kunstgeschichte, am Material und der Bildgestalt und vermeidet den »verlogenen und von den Nationalsozialisten aufgeblähten Gegenstand« sowie alle Regelmäßigkeit der Formelemente. (Was ihn allerdings nicht hinderte, den Gegenstand in seinen späten Arbeiten wieder zuzulassen.)
So gilt Emil Schumacher in Deutschland als einer der Begründer jener neuen, auf wenige Farben und Linien reduzierten Malerei; die Abstraktion hatte sich zur »Weltsprache der Malerei« entwickelt. Auf der dritten Documenta in Kassel 1964 konnte man dies bestätigt sehen; mit dabei: Emil Schumacher. Doch nicht allein in Europa, auch in den USA ist der abstrakte Expressionismus für einige Jahre tonangebend. Jackson Pollock ist sicher einer ihrer bekanntesten Vertreter, ebenso Franz Kline, Robert Motherwell oder Cy Twombly – mit dem Schumacher 1960, als sie sich in der Düsseldorfer Galerie 22 begegneten, ein Bild tauscht. Neben europäischen Malern wie Pierre Soulages, Wols, Asger Jorn, Karel Appelt, Pierre Alechinsky oder auch Antonio Tápies sind sie es, die nachhaltigen Eindruck auf Schumacher machen.
Es ist die Zeit der malenden Rebellen, der ungestümen Grenzüberschreitungen, die Zeit der nun auch in der Kunst vehement eingeforderten Freiheit: von der Tradition, von der Komposition, vom geschlossenen Bildkörper. Freiheit für das Material, für die Linie und ihren Verlauf. An den sechzig meist großformatigen Werken aus der Zeit zwischen 1950 und 1980, die die Hagener Ausstellung versammelt, kann nun jeder
selbst entdecken, wie die Maler des Informel hier und die abstrakten Expressionisten dort ihren malerischen Ausdruck fanden. Wunderbar ist z. B. erkennbar, wo auf ihrem künstlerischen Weg Emil Schumacher (»Barbaros I«, 1958/59) und Jean Dubuffet (»Paysage d’airain«, 1952) sich treffen und wo sie verschiedene Wege gehen.
Erinnerten die schweren Linien der frühen Bilder Schumachers bis in die 50er Jahre noch stärker an den Expressionismus, so wird seine Malerei tatsächlich zunehmend freier und ungebundener. Jetzt ist es das Arbeitsmaterial selbst, mit dem gerungen werden muss. In den Äußerungen des Künstlers zu seiner Arbeitsweise hört es sich fast so an, als führten Farbe und Linien ein Eigenleben. Auch eine Art zu sagen, dass die Arbeit keineswegs immer leicht von der Hand ging. Die Bildfindung sei ein »Willensakt«, so der Künstler schon 1949, »bei dem ich zwischen Gefühl und Verstand schwebe«. Die Zusammenführung dieser gegensätzlichen Pole beschreibt er selbst dann als »formlos und doch Form«. Emil
Schumacher verabschiedet sich vom komponierten Tafelbild und gibt es doch nicht gänzlich preis.
In den Jahren 1956 bis 1958 beginnt er, die Arbeiten mit Materialien wie Sand, Stroh und Erde oder auch Papier anzureichern. Auf Kosten der Farbe wird in den »Tastobjekten« die Körperlichkeit des Bildträgers betont. Dann kehrt die Farbe zwar zurück, flach aber werden die Werke vorerst nicht mehr. Ritzungen und Runzeln lassen die Oberflächen zu einer alten Haut werden, eine Bleiplatte etwa kann Bildträger und Bildgegenstand zugleich sein. Die Bildtafel wird durchbohrt, durchlöchert, zerschlagen, aufgebrochen, wird Bildobjekt.
1964 malt Schumacher drei großformatige Bilder für die Documenta, hat das erste aber später versehentlich zerstört und musste es neu malen. Das blaue »Documenta II« ist ein auch heute noch überwältigendes Bild, die Nachbarschaft zu Robert Motherwells großem Gemälde »Elegy to the Spanish Republic No. 133« (1975) in der Hagener Ausstellung sicher einer der Höhepunkte dieser zugleich sinnlichen wie lehrreichen Schau.
Bis 20. Januar 2013. Tel.: 02331/3060066, www.esmh.de. Noch bis 14. Oktober 2012: »Maccheroni Latino«, Gouachen von Emil Schumacher