TEXT: MICHAEL STRUCK-SCHLOEN
Sesamreis: Für 4 Tassen braunen Reis 2 Essl. Cashews in 4 Essl. Sesamöl und 1 Tasse Sesamsamen sautieren, bisdie Samen goldbraun sind. 1 Teel. Salz dazu, mit dem Reis mischen.
Mit 65 Jahren bekam der stets umtriebige John Cage das Alter zu spüren, eine Arthritis machte ihm zu schaffen. Aber Yoko Ono, mit der er seit glorreichen Fluxus-Tagen verbunden war, wusste Rat: Eine makrobiotische Diät konnte Linderung schaffen, und Cage teilte die erfolgreich erprobten Rezepte – darunter den Sesamreis – 1981 in seinen »Ratschlägen für meine Freunde« mit.
Das Rezeptbuch, dem Gleichgewicht von Yin und Yang gewidmet, entsprang keineswegs der entspannenden Marotte eines Geistesmenschen, der sich in der Hauptsache mit hochkomplexen Strukturen auf Notenpapier befasste. Für Cage waren Kunst und Leben untrennbar, was ihn auf einen völlig anderen Kunstbegriff brachte, als man ihn bis heute an den Akademien lehrt. Cage, der am 5. September 1912 in Los Angeles geboren wurde und bei Arnold Schönberg und anderen eine durchaus schulmäßige Musikausbildung bekam, hielt nicht viel von Geschmacksfragen und Systemen. Wichtig und »kunstwürdig« erschien ihm dagegen alles, was klingt: die »Vielfalt simultaner visueller und hörbarer Ereignisse an einer Straßenecke von Sevilla«, an der er 1931 bei seiner ersten Europareise stand, ebenso wie das Rauschen eines Wasserfalls oder das scheinbare Chaos simultan abgespielter Radiosender.
Für den Verkünder lustvoller Anarchie war Kunst alles – nur keine Mitteilung. »In der Schule hatte ich gelernt, dass Kunst eine Frage der Kommunikation sei. Mir fiel jedoch auf, dass alle Komponisten verschieden komponierten. Wir befanden uns gleichsam in der Situation des Turmbaus zu Babel, wo keiner den anderen verstand.« Erst die Beschäftigung mit fernöstlichen Philosophien brachte die Lösung: »Unsere Aufgabe ist es, mit dem Leben, das wir leben, ins Fließen zu kommen – und dazu kann uns Kunst verhelfen.« Diese Idee des Fließens aber verlangte nach der Aufhebung aller Botschaften und Hierarchien, welche die abendländische Kunst beherrschten. Nur das absichtslose Kunstwerk zählt, das – wie Cages Verehrer Heinz-Klaus Metzger schrieb – »unabhängig ist von eigenem und fremdem Geschmack, eigenen und fremden Absichten, eigenem und fremdem Willen«.
Sicher war die offene Form des Happenings eine Art, diese Absichtslosigkeit des Kunstwerks herzustellen. Während seiner Zeit am legendären Black Mountain College in North Carolina veranstaltete Cage 1952 zusammen mit dem Ma-ler Robert Rauschenberg, dem Pianisten David Tudor und dem Tänzer Merce Cunningham, seinem Lebenspartner für Jahrzehnte, das erste Happening der Geschichte, dem später noch manche Fluxus-Aktionen folgen sollten. Hier wie auch in eigenen Werken trat Cage als Autor hinter das Werk und seine Wahrnehmung durch das Publikum zurück. Und als er 1950 von seinem Kollegen Christian Wolff das chinesische Buch der Wandlungen (I Ging) geschenkt bekam, fand er darin wichtige Anregungen für den Einsatz von Zufallselementen bei der Komposition. Ein Jahr später entstand mit der »Music of Changes« das erste Werk, das sich in alle Parametern Losentscheidungen verdankt. Sie steuerten etwa die Auswahl der Töne oder die Klangfarben, aber auch die Anordnung der Zitate aus der Operngeschichte, aus denen sich später der Zyklus der »Europeras« zusammensetzt.
Es versteht sich, dass dieses Verfahren in krassem Gegensatz zu den hyperkontrollierten Werken der seriellen Schule in Europa stand und Cages Auftreten bei den einschlägigen Festivals in Darmstadt und Donaueschingen zu Skandalen führte. Doch mit der Sanftmut und Unbeirrbarkeit eines Zen-Schülers hat Cage sein Konzept in aller Welt vertreten und damit generell ein Umdenken im Verhältnis von Kunst, Konstruktion und Kommunikation bewirkt. Den oft geäußerten Vorwurf, dass Zufallsoperationen letztlich nur beliebige Werke hervorbrächten, hat Metzger pariert: Die Leistung des Autors »besteht in der Konzeption der Versuchsanordnungen seiner Experimente, also dem Wesentlichen, das Vorrang vor dem Phänomen hat. Es geht also um einen maximalen Anteil von Nicht-Kontingenz am Komponieren«.