Die Kunstform Performance hat viele Erscheinungsweisen entwickelt, in den 1970er und 60er Jahren die Happenings oder die Fluxus-Kunst, denen wiederum die Aktionen der Situationisten vorausgingen. Gemeinsam aber war allen der Protest gegen den Beton der Verhältnisse: gegen verfestigte Gesellschaftsformen und einen kapitalisierten Kunstbetrieb, in dem das Werk nur mehr als Ware etwas gilt. Den Widerspruch dagegen formulieren vor allem zwei Elemente: der Körper und der Moment. Ich bin da, sagt die Performance. Und: Ich bin gleich wieder weg. Gleich kann auch lang dauern, wie es etwa einer der Gründungsfiguren der jüngeren Performance-Geschichte, Marina Abramović, bewies, als sie vor zwei Jahren 736 Stunden und 30 Minuten lang an einem Tisch im New Yorker Museum of Modern Art saß. Ihre Performance hieß, absolut programmatisch: »The Artist Is Present«.
Marina Abramović ist auch dabei, wenn Mitte August die Ruhrtriennale zum ersten Mal ins Museum Folkwang in Essen einzieht: »12 Rooms« heißt die Gruppen-Schau, in der Künstler wie Simon Fujiwara, John Baldessari, Maurizio Cattelan, Damien Hirst, Laura Lima, Allora & Calzadilla oder Tino Sehgal in zwölf weißen Kojen Körperskulpturen, Formationen oder Aktionen zeigen: Eine menschliche Drehtür aus zehn Menschen, rotiert, stoppt, stampft auf, zieht Besucher in ihren Schwung; ein Mann ist weit über den Schwerpunkt hinaus zurückgelehnt. Oder einfach nur Präsenz demonstrieren: Ein Mann steht still in der Ecke; eine Frau liegt, von einer Lampe beschienen, in einem auf Halbmeterhöhe abgesenkten Raum.
Performance hat wieder Konjunktur – neuerdings als Live Art. Aber was ist Performance resp. Live Art? Die definitive Antwort gibt es nicht. Wir haben daher einigen der »12 Rooms«-Künstler fünf Fragen gestellt, die den wohl nie ganz fassbaren Kern dieser Kunstform umkreisen. Hier sind die Fragen – ausgedacht von Marietta Piekenbrock und Ulrich Deuter:
DIE FRAGEN
1. Bis vor kurzem galt Performance als eine Kunst der Off-Szene und erreichte nur wenige Zuschauer. Heute ist sie die Kunst der Stunde und spricht mit großen Ausstellungen weltweit ein Massenpublikum an. Warum?
2. Welches Mindest-Setup braucht eine Performance?
3. »12 Rooms« nennt sich Live Art. Was bedeutet »live«?
4. Kann etwas, das nicht materiell ist, mehr sein als die Erfahrung von Gegenwart und Flüchtigkeit?
5. Performance ist eine Kunstform, in der Widerspruch von vornherein enthalten ist: zur Warenform des Kunstwerks, zu den Ritualen des Kunstmarktes, zur Trennung von Leben und Kunst, zum passiven Zuschauen, etc. Es kann keine verbindliche Definition geben. Wie sieht Ihre persönliche Definition von Performance aus? Ab wann ist einen künstlerische Handlung eine Performance?
DIE ANTWORTEN
Marina Abramović
1. In den 40 Jahren meiner Karriere habe ich mich sehr dafür eingesetzt, Performance Art zu einer anerkannten Kunstform zu verhelfen. Ich glaube, dass »House with the Ocean View« in der Sean Kelly Gallery, »Seven Easy Pieces« im Guggenheim Museum sowie »The Artist is Present« im MoMA (alle in New York) dazu beigetragen haben. Ich bin überzeugt, die Menschen haben keine Lust mehr auf Kunst als Ware; sie möchten das wahre Wesen der Kunst erfahren, und das kann Performance übermitteln.
2. Das Charisma des Performers.
3. Live Art ist zeitbasierte Kunst… Lebende Kunst… Lebensenergie.
4. Ja. Für einen flüchtigen Moment kann die reine Anwesenheit Zuschauer wie Performer gemeinsam tragen.
5. Meine Definition von Performance Art lautet: Sie ist eine geistige und physische Anordnung, in die der Performer eintritt, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmtem Ort, vor einem Publikum. An dieser Stelle beginnt der Dialog der Energien.
Marina Abramović, geboren 1946 in Belgrad, ist eine Pionierin der Performance Kunst, der sie sich seit 1973 widmet. Ihre Arbeiten berühren und überschreiten physische wie psychische Grenzen, immer ist ihr dabei der (eigene) Körper Medium und Material. Zeitweilig hatte Abramović Professuren in Hamburg und Braunschweig inne; heute lebt sie in New York. 2005 gab ihre Performance »Seven Easy Pieces« den Anstoß zu einer Debatte über die bis dahin als Credo geltende Einmaligkeit der künstlerischen Performance, sie forderte deren Wiederholbarkeit, um dieser Kunstform mehr Geltung zu verschaffen.
Santiago Sierra
1. Ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll. Ich bin es nicht gewohnt, Kunst in Genres einzuordnen. Es gibt interessante Kunst in der Malerei genauso wie in der Performance-Kunst. Es gibt keine Genres, die vertretbarer sind als andere, Genres sind lediglich Produkte der geisteswissenschaftlichen Idee der »Schönen Künste«. Wenn der Performance-Künstler die Aufmerksamkeit des großen Publikums bekommt, dann, weil die Stunde des Strategiewechsels geschlagen hat.
2. Geld.
3. Kunst, die in der Gegenwart von Publikum entsteht.
4. Das ist das gleiche.
5. Performance-Kunst definiert sich darüber, was ein Künstler macht. Sie ist Kunst, weil sie auf Grund seiner Stellung in der Kunstwelt als solche anerkannt wird und weil sie die Absicht hat, Kunst zu sein.
Santiago Sierra wurde 1966 in Madrid geboren, studierte dort, aber auch in Hamburg bei Bernhard Blume. Sierra machte durch teils sehr spektakuläre Performance-Aktionen auf sich aufmerksam; in Deutschland wurde er bekannt, als er 2006 als Reminiszenz an Auschwitz die Abgase von Autos in Innere der (Kunst-)Synagoge Stommeln leitete.
Xavier Le Roy
1. Kapitalismus.
2. Die Absicht.
3. Zeitlichkeit, nicht tot sein oder leblos.
4. Ja, Ideen.
5. Meine Definition: Verbergen und zeigen. Wenn eine Situation extra eingerichtet wird und eine zeitliche Dauer besitzt, dann handelt es sich um eine Performance.
Xavier Le Roy, 1963 im französischen Juvisy sur Orge geboren, ist promovierter Molekularbiologie; seit 1991 arbeitet er als Tänzer und Choreograf. Seine jüngsten Arbeiten erforschen die Beziehung zwischen Klang, Hören und Bewegungserzeugung.
Lucy Raven
1. Da Kunst im öffentlichen Raum mehr und mehr mit Entertainment zu verschmelzen scheint, ist nun auch die Performance-Kunst den Marktgesetzen des Kunstbetriebs unterworfen – dem Ticketverkauf. Live-Programme sind gut für den Bekanntheitsgrad, weil sie viele Leute in eine Ausstellung oder ein Museum bringen. Umtriebige Kuratoren und Zuschauer haben den Weg geebnet, jetzt versteht und akzeptiert auch das Massenpublikum Performance Art als eine eigenständige Kunstform. Dokumentationen aus jener Zeit, als sich nur wenige Menschen für Performance-Kunst interessierten, zeigen uns einen faszinierenden und relativ neuen kunsthistorischen Kontext. Denn viele der historischen künstlerischen Praktiken werden für aktuelle soziale und politische Bewegungen – wie ambitiös, wirksam, nachhaltig, abwegig oder folgenlos sie auch sein mögen – wieder wichtig. Es entsteht ein Wechselspiel zwischen der zeitgenössische Performance-Kunst und diesen Bewegungen. Einige Kunst-Aktionen führen sogar ein Leben außerhalb des Kunstbetriebs, in der Realität.
2. Die Absicht.
3. Ich diesem Zusammenhang ist »live« sicher einfach wörtlich gemeint. Es gibt in jedem Raum wenigstens eine Person, die vor Besuchern performt.
4. In Live Art können Ahnungen oder Zukunftsängste mitschwingen. Genauso gut kann sie als Reflex auf unsere Erinnerungen erlebt werden.
5. Allein im Atelier stellt man sich vor, Kunst zu machen sei schon eine eigene Performance. Das ist natürlich etwas völlig anderes als die Performance, die man für ein Publikum realisiert, aber es hat damit zu tun. Man könnte sagen, ein Kunstwerk ist eine künstlerische Handlung, verdichtet zur Form. »Performance Art« ist ein Begriff für Schulbücher.
Lucy Raven wurde 1977 in Tucson, Arizona geboren; die Künstlerin und Autorin lebt und arbeitet in Kalifornien sowie New York. Ihr Hauptarbeitsgebiet sind alle Formen des bewegten Bildes, auch Animationsfilme oder Motion Capture.
Xu Zhen
1. Offensichtlich ist heute jeder auf seine ganze eigene Art von Performance aus. Internet und Globalisierung bringen uns dazu, nach »Differenzierung« zu suchen. Das macht den wesentlichen Wandel innerhalb unseres kulturellen Umfeldes aus.
2. Sie muss in gewisser Weise ereignisbezogen sein.
3. In »live« schwingt die Idee von »denken«, »sehen«, »fühlen mit und gleichzeitig ein neues Bewusstsein für Sinneserfahrungen, die durch Kunstwerke hervorgerufen werden.
4. Es kann das »Wahrnehmungsgedächtnis« der Menschen in Bewegung bringen, andererseits bestehen wir aus unseren gemachten Erfahrungen.
5. Meine persönliche Definition von Performance Art: Sie ist ein »Neues Spiel«. Das kann eine Menge unterschiedlicher Formen annehmen, einschließlich der Performance-Kunst; ich glaube, dass künstlerische Aktivität prinzipiell Performance Art ist.
Xu Zhen, 1977 in China geboren, lebt und arbeitet in Shanghai. Für seine kritische Auseinandersetzung mit sozial-politischen Themen und Tabus insbesondere der chinesischen Gesellschaft nutzt er v.a. die Mittel der Ironie. Xu arbeitet medienübergreifend mit Fotografie, Performance, Installation, Malerei und Film.
»12 Rooms«, 17. bis 26. August 2012, Museum Folkwang, Essen www.ruhrtriennale.de
Die fünf Fragen an die fünf Künstler sind eine Kooperation von Ruhrtriennale und K.WEST.