TEXT: KATJA BEHRENS
Eine alte Frau mit Katze, ein verstört blickendes Mädchen im Wald, Bauern in der Stube, eine Familie in der Sauna. Das ländliche Leben liefert ihm die ersten Themen, der Pinselstrich ist locker. Dann, in Paris, Straßen- und Caféhausszenen, die an die französischen Impressionisten denken lassen, Aktskizzen, Interieurs, das Gemälde einer nackten jungen Frau, die, auf dem Sofa sitzend, den Betrachter gerade heraus anblickt. Der Titel verschleiert mehr als dass er erklärt: »Démasquée«. Vielleicht ist das Bild seinem Schöpfer zu nah an der Boheme, zu freizügig, zu urban; bald darauf nämlich, zurück in Finnland, malt er wieder unverfänglichere Bilder: wilde Berglandschaften, stille Seen, weichen Schnee, Wasserfälle.
Das sind die Motive, die Akseli Gallen-Kallela (1865-1931) zu Beginn seiner Laufbahn gefunden hat; berühmt aber soll er für ganz andere Bilder werden. In Finnland jedenfalls wurde der Künstler nie vergessen, hat er doch die magischen Heldengeschichten des finnischen Nationalepos Kalevala zum wichtigsten Thema seines Werkes gemacht. Es sind diese Illustrationen, mit denen Gallen-Kallela Anfang der 1890er Jahre beginnt, in deren ganz besonderer Bildsprache, plakativ, grell, überzeichnet, die Tradition sich mit der Moderne verbindet.
Jetzt, in der Ausstellung »Überirdisch nordisch«, die von Helsinki aus erst nach Paris und dann nach Düsseldorf gekommen ist, ist er endlich auch hierzulande zu entdecken: der Maler, der sich der europäischen Moderne widersetzte, obwohl er doch eigentlich zu ihr gehört. Der Untertitel der Schau, »Finnland im Geist der Moderne«, scheint daher auch etwas unpassend zu sein, hat der Künstler es doch gerade vermieden, allzu sehr im Geist dieser Moderne zu arbeiten.
Obschon er enge Kontakte zur europäischen Künstleravantgarde unterhält, sich in den 1880er Jahren in Paris aufhält, dort studiert, 1894/95 nach Berlin geht und auch hier sehr erfolgreich ist, an Gruppenausstellungen der Wiener und der Münchener Secession teilnimmt, öffnet er sich doch nie gänzlich den künstlerischen Errungenschaften der Moderne. Wo er es doch einmal tut, scheint er gleich wieder zurückzurudern, erschrocken von der eigenen Verwegenheit. Zeit seines Lebens ist er in den Kunstmetropolen Europas unterwegs aber kehrt doch immer wieder nach Finnland zurück.
Wehendes weißes Haar, weit gespreizte Adlerschwingen, diagonal durch den engen Bildraum ragende Ruder, Äxte und ein Schwert, scharfe Krallen, ein kleines schwankendes Boot in einem dicht gefüllten Bild. Väinämöinen, der alte, weise Sänger, und Louhi, die schreckliche Herrscherin des Nordlandes Pohjola, kämpfen um den magischen Gegenstand Sampo, der seinem Besitzer Wohlstand verschaffen soll. Die dargestellte Geschichte, in der Väinämöinen die alte Hexe, die sich in einen eisernen Vogel verwandelt hatte, von seinem Schiff vertreibt, indem er ihr mit einem Ruder die Klaue zertrümmert, dürfte hierzulande wenig bekannt sein. In Finnland kennt sie jedes Kind, ist die Verteidigung des Sampo doch eine der großen Erzählungen, die im Kalevala gesammelt sind. Der Philologe und Arzt Elias Lönnrot hatte auf seinen Reisen durch Karelien, den Landschaften zwischen Ostsee und Weißem Meer, Volkslieder und -dichtung (Runen und Verse) zusammengetragen, die die alten Mythen und Geschichten erzählten. Sie wurden in einer ersten Fassung 1835/36 veröffentlicht. Heute sind die Geschichten und mythischen Gestalten in jedem Schulbuch zu finden – mit den, in den Bildern von Akseli Gallen-Kallela.
Es sind diese Darstellungen, die dem Epos Gestalt gegeben haben. In über 22.000 Versen werden dort die alten mündlichen Überlieferungen gebündelt; seit seiner Entstehung ist das bedeutendste literarische Werk Finnlands auch ein Symbol der nationalen Identität des Landes, das damals immer noch ans Zarenreich Russland angegliedert war. Die Freiheitsbestrebungen, auch in den Auseinandersetzungen mit Schweden, waren allgegenwärtig, der Künstler, der in Frankreich vor lauter Heimweh keine französischen Landschaften malen konnte, verfolgte mit seinen Bildern also auch eine politische Mission – und kämpfte für die Unabhängigkeit Finnlands später sogar im Bürgerkrieg mit.
Die Ausstellung in Düsseldorf allerdings möchte ihn als »führenden Künstler der frühen Moderne Finnlands« sehen. Seine spannenden Werke indes sind gerade in ihrer Rückwärtsgewandtheit besonders charmant und stark. Die Verteidigung des Sampo (1896) ist ein bewegtes Bild in klaren, leuchtenden Farben, unrealistisch auf eine gute Weise. Die formale Ablösung von der naturalistischen Darstellungsweise verhindert, dass die kalevalischen Szenen im Widerspruch von Motiv und Darstellungsweise hängen bleiben.
Lemmionkäinens Mutter, in dem gleichnamigen Bild von 1897, sitzt am Ufer des Totenflusses, aus dem sie gerade die Einzelteile ihres zerstückelten Sohnes geborgen hat. Schon hat sie ihn wieder zusammengefügt. Geholfen hat ihr dabei eine kleine Biene mit einer Salbe. Der Tiegel liegt noch da, weiße Knospen brechen durch den kiesigen Boden, die Steine der Uferbegrenzung sehen aus wie mit dunkelrotem Ketchup überzogen. Wieso also sollte man diese Szene möglichst naturalistisch darstellen wollen? Um so zu tun, als handle es sich um eine wahre Begebenheit aus der Vorgeschichte Finnlands?
Das hat schon beim ersten Bild der Kalevala-Serie nicht funktioniert, das in seinem naiven Naturalismus vor allem kitschig wirkt. Kam das in Paris entstandene und später noch einmal wiederholte Triptychon »Der Aino-Mythos« (1891) zwar beim Publikum gut an (obwohl das Modell für die Figur der Aino Gallen-Kallelas schwedische Frau war), war der Künstler selbst doch enttäuscht von dem Ergebnis. Auch das folgende Bild, »Das Schmieden des Sampo« (1893), ist noch dem naturalistischen Stil verpflichtet, einem deskriptiven Realismus, den er bei seinen nächsten Bildern dann überwand. Jetzt lässt er sich auf eine formale Vereinfachung ein, lässt sich von der angewandten Kunst inspirieren, von den klaren Linien des Jugendstils und den Stilisierungen des Symbolismus.
1893/94 entsteht eine von biblischen Geschichten, von Theosophie und Okkultismus inspirierte Werkreihe mit deutlich esoterischer Note: »Ad Astra« »Die Reise nach Tuonela« und »Symposium«. Für die Pariser Weltausstellung 1900 dann gestaltet Akseli Gallen-Kallela zusammen mit anderen Künstlern den finnischen Pavillon. Er wird mit einer Goldmedaille geehrt, und endlich ist ihm auch international der Durchbruch gelungen. 1907, als er sich kurzzeitig der Dresdener Künstlervereinigung »Die Brücke« anschließt, ändert er seinen Namen: von Axél Gallén in den finnischer klingenden Doppelnamen Akseli Gallen-Kallela. Kallela ist der Heimatort seiner Familie. Noch später, als er für einige Zeit in Ostafrika und dann, in den 1920er Jahren, in New Mexico lebt, wird ein leiser Nachklang von Fauvismus und Expressionismus spürbar: Die Konturen werden fester, die Farben lösen sich von der Gegenstandsbeschreibung, werden greller, Schatten fallen weg. Das 20. Jahrhundert aber ist ihm da schon davongeeilt.
Inzwischen setzt er seine Kalevala-Illustrationen fort. Das Projekt, das gesamte Epos zu bebildern, wird er indes nicht vollenden. Ein bisschen schade ist, dass in der Düsseldorfer Ausstellung nicht mehr dieser Kalevala-Bilder zu sehen sind – sind doch die erzählerischen Abstraktionen, mit denen die mythischen Geschichten gebannt werden, die interessantesten und außergewöhnlichsten Arbeiten dieses bei uns so wenig bekannten Künstlers.
»Akseli Gallen-Kallela (1865-1931). Finnland im Geist der Moderne« im museum kunstpalast, bis 9.9.2012. Tel.: 0211/8996211. www.smkp.de