TEXT: ANDREAS WILINK
Eine Situation bringt auf den Punkt, wir die Methode Ai Weiwei funktioniert. In der Provinz Sichuan, dort, wo er 2009 durch einen Sicherheitsbeamten schwer am Kopf verletzt worden war, sitzt der Künstler mit Freunden vor einer Garküche und lässt es sich munden. Ein Polizist nähert sich und fragt, wie lange sie bleiben würden. Nun, bis sie zu Ende gegessen hätten. Das beste Essen in ganz China gäbe es nun mal in dieser Gegend. Die Beamten nehmen die Gruppe mit der Videokamera auf, ein Assistent von Ai Weiwei filmt die Polizei dabei, um den Vorgang ins Netz zu stellen, und die Filmemacher der Dokumentation »Never Sorry« wiederum drehen die Szene mit. Mehrfachverwertung! Es ist ein Machtkampf zweier Systeme. Beides Großmächte: die Volksrepublik China und auf seine Weise auch der Weltstar der Kunst, Ai Weiwei.
Der 1957 geborene Global Player von New York und São Paulo bis London, Kassel und München wird umschwirrt von Kuratoren, Museumsdirektoren, Galeristen, Journalisten, die sich an ihm und seinem Ruhm berauschen. Selbst ein Genie medialer Einbindung, gehört Vermarktung für den kritischen Kopf zur Überlebensstrategie. Denn der Gegner, die Staatsmacht, ist unberechenbar – in dem, was sie erlaubt oder untersagt, was sie sperrt und wen sie einsperrt.
Zum Beispiel: das neue Atelier von Ai Weiwei in Shanghai, das bald wieder abgerissen werden musste. Die Zerstörung wandelt Ai Weiwei propagandistisch um zur Demolition Party: öffentlich und im Blog zugänglich. Kommunikation wird Kunst und richtet sich als Forderung an die Politik. Der Künstler als letzte Instanz. Zum Beispiel: das Projekt »Remembering«, das Tausende von Erdbebenopfern listet und damit eine Aufgabe erfüllt, die die Behörden brutal und gleichgültig versäumen; oder die Dokumentierung der geschichtslosen Zerstörung urbaner und landschaftlicher Flächen. Indem Ai Weiwei sich auf die Institutionen und Gesetze beruft und ihren Vollzug einklagt, führt er das Regime vor. Da braucht es kaum noch die Geste des Stinkefingers aus seinem Video »Fuck you, Motherland«. Der Film zeigt den 1957 geborenen Aktivisten und Aktionisten in seinem großzügigen Studio in Bejing, das vom Big Brother überwacht wird, im Gespräch mit der Mutter, der Ehefrau und dem kleinen Sohn Ai Lao aus einer anderen, offenbar gut integrierten Beziehung; zeigt ihn, wie er sein Team dirigiert, Einsätze organisiert, soziale Plastiken plant und die Installation »Sunflower Seeds« in der Tate Modern mit Millionen Porzellan-Sonnenblumenkernen einrichtet, die auch ein Symbol der Masse darstellen. Darin liegen Drohung und Hoffnung.
»Ai Weiwei – Never Sorry«; Regie: Alison Klayman; USA 2012; 91 Min.; Start 14. Juni 2012.