TEXT: ANDREAS WILINK
In Fernseher läuft »Schwanensee«, im Wohnzimmersessel schläft eine junge Frau unter einer Wolldecke; ein Mann im Bademantel fummelt an der Antenne des Radioapparats, die Schrankwand steht voll mit Büchern, Nippes und einem Kaffeeservice. Gemütlichkeit ist aller Zauber Anfang. Wer wohnt in der guten Stube mit Kaktus und Schachbrett? Der Sturm tost draußen vor der Tür. Wir sind trotzdem bei Shakespeare, wo Prospero seine allen Anzeichen nach psychisch gestörte und körperbehinderte Tochter versorgt, die sich in Ariel verwandelt, während er beim Staubsaugen den Caliban rauslässt oder den touristischen Ferdinand spazieren führt. »Miranda« heißt die eigensinnig intime Adaption von Shakespeares letztem Drama, das bei dem litauischen Regisseur Oskaras Korsunovas ausschaut wie ein kleinbürgerlicher Beckett oder Thomas Bernhard. Vater und Tochter löffeln Suppe und lassen zugleich das Drama zur Spiel-Fantasie, zur therapeutischen Maßnahme und zum extrem herausfordernden Befreiungsakt werden. Am Ende hat Prospero den Platz Mirandas eingenommen. Die ist flügge geworden. Und tanzt.
16 Aufführungen lädt das Festival im Globe Neuss ein, darunter aus England, Frankreich, den USA – und Afghanistan (aus Kabul kommt die »Comedy of Errors«). Paris entsendet einen Romeo, der hier seinen Jules liebt und so Shakespeares Geschlechter-Konfusion vollendet, Chicago einen Othello-Remix der Q-Brothers, die den Mohren von Venedig für die Hip-Hop-Szene aufmöbeln. Bewährter Gast ist Patrick Spottiswoode mit einer Lecture; der Gastgeber vom Rheinischen Landestheater steuert »Sieben Sonette« bei und »Das Wintermärchen«. Man singt Shakespeare, schäkert mit William im Solo oder im Trio dreier böser Richards.
Einen weiteren Extremismus leistet sich das Teatr Zeromskiego aus Kielce unter Regie von Radoslaw Rychcik. Zwei schnieke Jungherren warten. Worauf? Dass was passiert, dass das Familiendrama beginnt. Man ist lässig angespannt. Ein Mephisto-Entertainer in Frack und Zylinder tänzelt noch vor dem roten Vorhang, bevor der Lappen hochgeht und das Ensemble an der Tafel sich windet in Schreien. Die dänische Königs-Sippe sitzt vor einer Menagerie ausgestopfter Tiere, der heikle Prinz trägt kurze Hosen mit weißen Kniestrümpfen, später ist er mal kurz nackig, so dass Ophelia erschrickt. Der polnische »Hamlet« – zugespitzt, grell belichtet und in aller Schärfe konzentriert – trägt in seinem wilden Herzen den Psychoreißer. Good Night, sweet despair.
7. Juni bis 7. Juli 2012, Infos und Karten: 01805 065 065; www.shakespeare-festival.de