TEXT: ANDREAS WILINK
Die guten alten Zeiten waren böse, aber einfach und klar in der Zuschreibung der Rollen. Hier der Westen, dort Moskau. Es sind die Siebziger. Genauer gesagt, 1973: das Jahr, in dem 007 Roger Moore in New Orleans und Florida smart »Live and let die« austarierte, und in dem John le Carré seinen fünften, 1974 erschienenen Smiley-Roman »Dame, König, As, Spion« spielen lässt. Alles andere als ein James-Bond-Abenteuer: kein Casino Royale, keine Damen mit Unterleib, keine glamourösen Schurken, keine raffinierten Playmobile von Q. Wir schauen ins Graugesicht des Geheimdienstes. Es gilt der überlebenswichtige Leitspruch: »Vertrauen Sie niemandem!« Zumal ganz oben im »Circus« des britischen Secret Service ein Maulwurf nisten soll. Im Auftrag des ominösen sowjetischen KGB-Bonzen Karla betreibt der die Operation Witchcraft. Top-Spion George Smiley, ebenso wie sein Chef Control zwangspensioniert, nachdem eine Aktion in Budapest desaströs gescheitert und der eingesetzte Agent erst nach unangenehmen Erfahrungen mit dem ideologischen Gegner zurückgekehrt ist, wird von der Regierung Ihrer Majestät beauftragt, das Loch im Netzwerk zu finden. Fünf Männer hatte der mittlerweile tote Control (John Hurt) im Verdacht, darunter Smiley selbst, und ihre Bewegungen wie von Figuren auf dem Schachbrett studiert. Der Verräter aber weiß um eine die Objektivität trübende Schwäche dessen, der ihn enttarnen soll. Gary Oldman als Smiley (und damit Nachfolger von Alec Guinness) trägt schwer an seinem Stoizismus, seinem Schweigen und Wissen um das Sinnlose allen Tuns. Es muss getan werden. Doch der Glaube an eine irgend geartete ideologische oder moralische Rechtfertigung ist ihm abhanden gekommen.
Getaucht in bräunlich-beige Marthaler-Farben, inszeniert Tomas Alfredson einen lautlosen Thriller, melancholisch theatralisch verlangsamt und infiziert vom Vanitas-Gedanken. Die Korridore der Ohnmacht und Labyrinthe der Bürokratie bilden ein versiegeltes Zwischenreich und führen in Archiven, Kontrollräumen und Konferenzzimmern eine Eigenexistenz. Wie ein Schweißtropfen auf einen Caféhaustisch in Budapest perlt, wie eine Fliege im Fond einer Limousine den Weg ins Freie sucht, wie ein winziges Einschussloch eine Wange perforiert und ins Hirn eines Mannes (Colin Firth) dringt, über dessen Ermordung der Mörder, der auch sein Opfer war, eine Träne verliert: All das wird wichtiger als die Auflösung des Komplotts, die das zwanghafte System ohnehin nur kurz zum Innehalten bringt.
»Dame, König, As, Spion«; Regie: Tomas Alfredson; Darsteller: Gary Oldman, John Hurt, Colin Firth, Mark Strong; UK/F/D 2011; 127 Min.; Start: 2. Feb. 2012.