TEXT: KATJA BEHRENS
Überall wird gewerkelt und gepinselt, geschraubt und geknipst, gemalt, gezeichnet, modelliert und – neuerdings wieder – gestrickt. Konzepte werden ersonnen, es wird geforscht, geplant und verworfen, gesponnen und geflucht. Einmal im Jahr haben die Studierenden nicht nur die Gelegenheit, in den Klassen- und Arbeitsräumen auszustellen, in denen sie das ganze Jahr über um ihre künstlerischen Positionen ringen. Der alljährliche Rundgang der Akademie bietet für die jungen Künstlerinnen und Künstler ausdrücklich auch die Gelegenheit, einmal aus dem Schatten ihrer Lehrer herauszutreten, das eigene Profil zu schärfen, sich zur Diskussion zu stellen. Für viele ist es der erste (halb) öffentliche Auftritt, auf den Jahr für Jahr fieberhaft hingearbeitet wird.
Schon beim vergangenen Rundgang war zu spüren, dass etwas anders geworden ist. Nach über 20 Jahren des Systems Markus Lüpertz, der als Direktor von 1988 bis 2009 »die Akademie zurück ins 19. Jahrhundert gebombt« hatte, scheint nun ein frischer Wind durch die ehrwürdigen Flure zu wehen. Ein ehemaliger Student erinnert sich an die Lüpertz-Zeit: »Alles, was nicht Malerei oder Bildhauerei war, ließ er ausbluten: Konzeptkunst, Fotografie, Kunsttheorie, Neue Medien, Video usw. – keine Chance!« In seiner Rede zur Akademischen Feier am 2. November 2009 fühlte sich Lüpertz-Nachfolger Tony Cragg verpflichtet, auf diese Kritik und die Verdienste seines Vorgängers einzugehen. Er glaube, »dass nicht einmal Markus Lüpertz gegen Fotografie oder gegen Video gewesen ist, er war vielmehr entschieden pro Malerei, und das sei ihm gestattet.« Gleichwohl kündigte Cragg im nächsten Atemzug an, die Film-, Fotografie- und Videoklassen zukünftig optimal ausrüsten zu wollen. Was offenbar geschehen ist.
Die einmalige Rolle im Blick, die die Düsseldorfer Akademie in der Kunstgeschichte spielte, gehen Jahr für Jahr Dutzende junger Kunststudenten und -studentinnen mit Elan daran, ihre Präsentation beim Rundgang so perfekt wie möglich zu gestalten. Oder so spektakulär wie nötig, um in Erinnerung zu bleiben. Die meisten Studierenden heute sind sich der engen Verzahnung von Akademie und Kunstmarkt überaus bewusst und registrieren peinlichst genau, wie viele Galeristen, Sammler oder Kuratoren sich wann wo blicken lassen. Naiv ist hier keiner mehr.
Vier Wochen vor dem Rundgang hat K.WEST mit Studenten gesprochen, zwei von ihnen ließen sich intensiver über die Schulter schauen:
TOBIAS PRZYBILLA
»Ich möchte nichts erklären, ich möchte nur diese Dinge machen, weil sie mich interessieren.« Tobias Przybilla, Jahrgang 1982, zeigt umher. In Raum 008, der Klasse von Katharina Fritsch, hat er in einer Ecke seine Arbeitsutensilien ausgebreitet. Vor zwei Jahren ist er mit seiner Professorin von der Akademie Münster an die in Düsseldorf gekommen. An der Wand hängen einige Bilder und Objekte, auf Tisch und Boden stehen kleine und große Modelle, daneben Plakate und Fotografien, auf einem Bock wartet eine große Arbeit auf ihre Vollendung. Geplant ist, dass die »Motte« bis zum Rundgang fertig wird. Ein großes gemasertes Holzbrett liegt bereit, es wird noch eingefärbt. Das obenauf liegende zweiteilige Objekt aus mehreren Holzschichten aber ist schon fertig. Schwer zu sagen, was es darstellt. Vielleicht einen Teufelskopf? Oder vielleicht doch eher eine große Motte – die Camouflage-Bemalung passt ja irgendwie zu dem Tier, das sich optisch nicht unbedingt vordrängelt, sich lieber unsichtbar macht.
Die Idee zu diesem Werk jedenfalls, so erzählt der Künstler, entstand in einer Herberge. Die Wand über dem Bett war eine gemalte Holzmaserung auf einem tatsächlichen Holzbrett. Eine tote Fliege klebte an dieser schönen falschen Oberfläche. Aber genau diese Falschheit sei es gewesen, die ihn interessiert habe und immer noch umtreibt. Oberflächen, Imitate, Kulissen. Die Holzfolie auf dem McDonald-Tisch, die ausgeliehenen Pflanzenklone in der Lobby des Hotels, die Marmormalereien des Barock und Rokoko, die die Gipswand aufwerten sollten und die er in seinen Bildern imitiert. Er erzählt von den Fakes, die ihm überall begegnen, den falschen Graffiti auf der Wand, dem aufgemalten bröckelnden Putz, der den Charme des urbanen Ghettos in die sauberen Freizeitzonen einer Überflussgesellschaft bringen soll. Auch die Filmplakate, von denen mehrere auf dem Tisch liegen, sind nicht echt: Weder gibt es den Film noch überhaupt eine Erzählung. Auch die Produktionsgesellschaft ist ausgedacht. Dennoch sieht Tobias Przybilla sich nicht als Konzeptkünstler. Gefundene Dinge, die ihn an schon adaptierte Objekte oder Phänomene erinnern, werden bevorzugt aufgegriffen. Das Pappmodell, das an der Wand lehnt, ähnelt einer Standuhr, die Architekturelemente zitiert. Er weiß noch nicht genau, wie es mit dem zeichenhaften Objekt weitergehen wird. Auch das Bild einer Zypresse und eine modellierte Kerzenflamme warten auf ihre weitere Bestimmung.
Raum 008 wird momentan dominiert von einer riesenhaften Trommel, der Abschlussarbeit eines Kommilitonen. Die Ecke, in der Tobias Przybilla arbeitet, ist eher eine Ideenschmiede als ein Atelierraum. Aus einem Stapel fischt der Künstler einen Katalog für Kreuzfahrten heraus, viele Oberflächen sind hier zu haben. Besonders begeistert ihn aber das Phänomen jener Kulissenarchitektur, in der Menschen wirklich leben. Und, ja, selbstverständlich weiß er um die ironische Komponente seiner Arbeiten. »Es schimmert durch, soll sich aber nicht in der Ironisierung totlaufen.« Er sehe sich schließlich nicht als Moralapostel, sondern als Beobachter, seine Kunst nicht als Analyse der Weltzustände: »Dafür bin ich ja selbst viel zu interessiert, was es alles Tolles gibt.«
AGNES SCHERER
Agnes Scherer arbeitet seit Jahren auf Papier. Sie kombiniert Figürliches mit abstrakten Ornamenten, geometrische Flächen mit Raumelementen, verschachtelte Formen mit Mäusen, Möbeln, Menschen oder Küchengerät. Eine eigentümliche Pflanze, Abkürzungen von Landschaft, Gesichter, Figuren. Sie selbst nennt es »Schnipsel-Ästhetik« oder »Trash«. Und tatsächlich finden sich Fragmente aus verschiedenen Kontexten in einem Bild, verschmelzen persönliche Erinnerungen mit formalen Experimenten. Oft stehe am Anfang eines Bildes eine Aussageabsicht, erzählt die 1985 geborene Künstlerin, schon bald aber werde dann das formale Tüfteln wichtiger und wichtiger. So schiebt sich das Interesse an der Form über die Inhalte, doch nur, um im nächsten Augenblick wieder zu weichen und dem Motiv seinen Platz zurückzugeben. Gegensätze widersprechen sich in ihren Bildern nicht. »Satte Farbfelder schließen sich zusammen und hintertreiben einander. Widersprüchliche Räume und Flächen negieren sich in gegenseitiger Umarmung.« Ihr Kommilitone Stanton Taylor findet die richtigen Worte für die Bilder.
Nachdenklich und präzise spricht die junge Frau über das eigene Arbeiten. Denkt nach über die Akademiestrukturen, über die sozialen Bedingungen des Künstlerseins und über dessen gesellschaftliche Rolle. Darüber, dass die Professionalisierung die Studenten mit der Zeit immer langsamer arbeiten lässt. Im ersten Jahr, das jeder Studierende im Orientierungsbereich zubringt, bevor er in eine Klasse aufgenommen wird, wird sehr intensiv produziert. Später beginnt man, »überlegter zu arbeiten, Entscheidungen länger zu wälzen.« Außerdem muss man als Akademiestudent ja auch sonst um seine Arbeitszeit ringen. Es gibt schließlich soziale Events, an denen man teilnimmt, um Netzwerke zu spannen und zu pflegen. »Man muss einfach sehr viel ausgehen. Präsenz ist wichtig. Wer nie kommt, wird vergessen.«
Seit 2009 studiert Agnes Scherer an der Düsseldorfer Akademie Freie Kunst und Malerei in der Klasse von Peter Doig. Vergangenes Jahr schloss sie noch ihr Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Kulturwissenschaften in Tübingen ab: »Ich habe mich im Wissenschaftsbetrieb irgendwann wie eine blinde Passagierin gefühlt. Da habe ich mich mit meiner Mappe an der Akademie beworben.« Jetzt lebt sie in Düsseldorf. Ihr Zimmer ist zugleich ihr Atelier, ihr Privatleben also irgendwie ein Teil der Arbeit. Dass Leben und Arbeiten so eng verschränkt sind, sei allerdings nicht konzeptuell aufzufassen, sondern »eher Teil der Misere«. Es gibt kaum einen Studenten, der nicht abseits der Kunst irgendwo jobbt.
Sie zeigt mehr Bilder. Speiseeis taucht immer wieder auf, im Hörnchen oder im Becher, auch eine Salami: »banale Trostmomente des Lebens«. Die »Zwei-Hand-Bilder«, deren zentrales Motiv zwei sich begegnende Hände sind, immer wieder sie selbst, »ich in meinem Zimmer«, eine Reihe Kannibalen-Bilder, einige erotische Szenen, wieder Mäuse. Dann die wunderbaren Zeichnungen der »Phallusernte«, ein spätmittelalterliches Motiv aus Oberitalien. Heute relativ vergessen, war es damals sicher eine Weise, die Frau an ihren Platz zu stellen. Die sich hochreckenden Frauenkörper zwischen den Bäumen werden in ihrer Reihung zu einem wunderbaren Ornament, motivische und ästhetische Sensation gleichermaßen. Über allem die fliegenden Phalli.
Akademie-Rundgang: 8. bis 12. Februar 2012. www.kunstakademie-duesseldorf.de