TEXT: ANDREAS WILINK
Die Welt ist aus den Fugen: Was David Mackenzies apokalyptischer Thriller als Kaleidoskop von Gesichtern und Geschehnissen immer wieder in rasanter Montage, von Glasgow aus die Kontinente überspringend, zusammenwürfelt. Ideologien, religiöser Fundamentalismus, soziale Krisen – alles nichts gegen die unsichtbare Gefahr. Ein Virus kennt nicht nur keine Moral, sondern auch keine Grenzen. Die erste und die dritte Welt und alles, was dazwischen rangiert, setzt sich mit Tränen nieder. Denn die Pandemie lässt die Menschen zunächst ihren Geruchs- und Geschmackssinn verlieren und dann ihre Contenance. Sie weinen ungehemmt, krampfen in Angstzuständen, rasten aus und bekommen Aggressions-Schübe, werden abrupt von grausig-gierigen Fress-Attacken überfallen, die sie wahllos wirr Lippenstifte, Seife, Essigwasser, Senf und kannibalisch rohes Fleisch vertilgen lassen. Schließlich werden sie taub und von Blindheit bedroht, während sich über die Geschichte eine akustische Dunstglocke legt und sich schleichend eine dumpfe atmosphärische Beklemmung ausbreitet. Liebe in den Zeiten der Gefahr gibt es auch: zwischen dem Koch Michael (Ewan McGregor) und der praktischerweise gegenüber seinem Restaurant wohnenden medizinischen Forscherin Susan (Eva Green), die nicht nur ihre jeweiligen biografischen Hemm- und Hindernisse überwinden, sondern sich auch der Katastrophe stellen müssen.
Für Panik, Chaos und Desorientierung, den emotionalen, physischen und sozialen Kontrollverlust und die Entregelung des Zusammenlebens findet der Film aber (trotz der reportageartig eingeschnittenen Momentaufnahmen) weder Bilder noch ein Modell. Außer der flauen Aussage, dass das Leben immer weiter geht (»life goes on«), der Mensch sich evolutionär anpasst, seine Sensibilität sich andere Zugänge sucht und der Überlebenswille stärker ist als die Plagen. So spielt zum Beispiel eine Band, während die Zuhörer, die nichts mehr hören, die Vibrationen des Punk-Rocks erfühlen, indem sie sich an Boxen und Resonanzkörper klammern. Aber dass die Liebe alle Hindernisse überwindet und die antike Idee des »carpe diem« sich in einem Sonnenstrahl, einer Bach-Arie, einem Blatt im Wind und der freien Luft zu atmen fängt, ist zwar ein frommer Wunsch und gerät zum predigthaften Appell, wirkt aber doch reichlich hilflos angesichts des totalen Ausnahmezustandes.
»Perfect Sense«; Regie: David Mackenzie; Darsteller: Ewan McGregor, Eva Green, Stephen Dillane, Ewen Bremner; Deutschland/UK/Schweden/Dänemark 2011; 92 Min.; Start: 8. Dez. 2011.