TEXT: ANDREAS WILINK
Was für ein Anblick: das Gesicht unter dickem Make-up, eine wild toupierte schwarze Mähne, Cajal-ummalte Augen, schwarz lackierte Fingernägel, dazu passend die Klamotten. Ein Relikt des Gothic-Kults. Sean Penn als Cheyenne – halb Alice Cooper, halb Cher in Squaw-Maske – gelingt die spektakulärste Travestie seit Dustin Hoffmans Rolle des Kapitän Hook. Den Rockstar haben Exzess und Ennui in den Ruin getrieben: nicht den materiellen, wohl aber den mentalen. Mit seiner von Frances McDormand gespielten Frau, mit der er seit 35 Jahren verheiratet ist und die kurioserweise bei der Feuerwehr arbeitet, lebt er in einer exquisit leer designten Villa in der Vorstadt von Dublin. Alles verlangsamt wie in Zeitlupe: sein Gang, begleitet von einem Einkaufswagen, die Stimme schleppend, aber präzise. Der Mann, so verfallen er scheint, ist lebensklug. Sein Mund spricht Wahrheiten aus. Das anämische Gespenst hat mit seinen heroinvergifteten Songs einiges auf dem Gewissen. Zwei Kids haben sich seinetwegen das Leben genommen. Er besucht sie auf dem Friedhof und trauert mit einer anderen Mutter um deren verlorenen Sohn Tony. Dann stirbt sein Vater, und aus der Depressionsstudie wird ein Roadmovie und Holocaust-Drama und vor allem die Hommage des Regisseurs Paolo Sorrentino an die Musik und das Kino der Achtziger.
Der Titel »This must be the place« stammt von den Talking Heads, David Byrne hat einen Kurzauftritt, die surreal farbsatten, gestochen scharfen Bilder illustrieren David Lynchs strange world, die mythischen Wenders-Landschaften führen nach »Paris, Texas« (betont noch durch den Auftritt Harry Dean Stantons). Cheyenne, aus jüdischer Familie stammend, sitzt am Totenbett seines Vaters in New York, in dessen Arm die KZ-Nummer gebrannt ist. Er nimmt das Vermächtnis an, dessen Nazi-Peiniger Alois Lange aus Auschwitz aufzuspüren. So eröffnet sich das Bestiarium der US-Provinz mit ihrer Freakshow des Banalen. Langes Ehefrau stöbert er in einer bedrückenden Puppenstube auf, die Enkelin als Kellnerin in einem Diner, den dicken Urenkel begleitet er zur Gitarre, bis er den greisen Täter im Wohnwagen stellt, eine Demütigung an ihm vollzieht und selbst von der Rache zur reinigenden Reife findet. Die Absicht ist klar, die Botschaft simpel, der Weg dorthin ebenso gekonnt wie demonstrativ gewollt gestaltet und dadurch eklektisch und ziemlich prätentiös. Aber Sean Penn verdient die Häuptlingsfedern.
»Cheyenne – This must be the place«, Regie: Paolo Sorrentino; Darsteller: Sean Penn, Frances McDormand, Judd Hirsch, Harry Dean Stanton, Heinz Lieven; Italien/Frankreich/Irland 2011; 118 Min.; Start: 10. Nov. 2011.