TEXT: RAOUL MÖRCHEN
Ein Zeitlang war man ja vielleicht noch froh, dass man seine Ruhe hatte vor diesen Typen. Die mit dem Verweis auf Adorno oder Marcuse oder Benjamin und sendungsbewusster Kreativität unserem elenden Leben eine rettende Wende geben wollten. Viel haben wir da gelernt von ihrer Musik, vom »historisch bedingten Material«, in dem »Residuen« unserer falschen Welt in all ihrer Verblendung sich »sedimentiert« hätten, und wir haben uns manches Mal geärgert darüber, dass diese zuweilen ja doch sehr schöne Gegenwelt, der wir da hörend gegenüber standen, dass diese Kunst bloßer Schein sein sollte und wir dem Glück nicht trauen durften, das sie versprach.
Nun ist es seit langem sehr still geworden an der Front der politischen Musik. Die Ideologen und Propheten von einst sind gestorben, und wer noch lebt, hat sich auf seine alten Tage – schmollend, enttäuscht oder einfach müde – zurückgezogen in den Innenraum einer Kunst, wo sich Ideen nun nicht mehr entzünden am gesellschaftlichen Skandalon, sondern an Fragen des Metiers und des Mediums. Hans Werner Henze hatte dem gewesenen Traumpaar »Musik und Politik« noch ein ganzes Buch gewidmet. Heute blieben die Seiten darin leer.
Nein, nicht ganz. Wer sie geduldig sucht, die politische Kunstform Musik, der kann sie durchaus noch finden. Neulich bei den Musiktagen in Donaueschingen etwa, als der junge Norweger Lars Petter Hagen ein folkloristisches Idyll aus Fiddle- und Orchesterklängen mit dem Vortrag eines Adorno-Fakes unterminierte und so beiden, dem Kitsch und ihren geifernden Feinden, den Boden unter den Füßen wegzog. Oder in Wuppertal, in der »Reddehase’schen Remise«, einem Nebenspielort der Städtischen Bühnen. Dort trifft man ab Dezember auf ein paar alte Bekannte, die man fast schon vergessen hatte. Markus Höller hat sie aufgespürt, hat sie entstaubt und neu eingekleidet.
Ob sie noch was hermachen?
Keyboarder, Arrangeur, Komponist und Thea-terpädagoge Markus Höller teilt die Skepsis nicht. Na klar, tun sie’s. Es sind gute Stücke, Stücke, die man trotz ihrer Komplexität auch auf emotionaler Ebene verstehen kann, mit einer gewissen »Herzensbildung«, wie Höller sich nicht scheut zu sagen. Andererseits stimmt es ja schon: »Unsere Zeit ist politisch viel weniger durchdrungen als damals.« Selbst im hauseigenen Jugendclub sei das so: mehr Protest und Engagement wünschte sich Höller da. Gerade deshalb hat er sich dafür entschieden, diese drei Stücke wieder mit Leben und Botschaft zu füllen und sie unter der stolzen Überschrift »Herrschaft, Arbeit und Soziales« in Wuppertal in Szene zu setzen: »La fabbrica illuminata« von Luigi Nono, »Coming together« von Frederic Rzewksi und schließlich Mauricio Kagels »Tribun«. Klassiker des Genres, wenn man das so sagen will, 50, 40 und 30 Jahre alt.
Dass sie sich mit recht geringen Mitteln realisieren lassen, sei nur das eine, sagt Höller. Kagel und Nono benötigen neben einem Solisten lediglich Aufnahmen aus der Konserve, dem Erzähler bei Rzewksi stärkt ein kleines Ensemble den Rücken. Das andere ist, dass unter den unterschiedlich dicken Staubschichten durchaus Dinge schlummern, die uns heute noch angehen. Nono hat mit seiner »Erleuchteten Fabrik« eine konkrete Klage erhoben gegen die Zerstörung von Familie und Ehe durch Schichtarbeit in der Schwerindustrie. Das ist der Staub. Die Gewalt einer lärmenden Welt gegen leise Gedanken und die Deformierung unseres Lebens durch die Schieflage von Macht-, Arbeits- und Besitzverhältnissen: Das kommt uns durchaus noch frisch vor. Und auch der Politiker, der bei Kagel die hohlen Phrasen einer Volksansprache übt. Wie mit Bildern, mit tatsächlichen oder eben rhetorischen, ein Image gemacht wird, all die faulen Tricks der Demagogie – das hat die Politik ja nicht verlernt, meint Höller. Sie als Tricks zu überführen, ist ein Ziel, das sich Kunst durchaus auch heute noch stecken darf. Die Botschaft von Rzewski, dem dritten im Bunde, ist da schon schwerer zu entziffern: Doch es wird sicher etwas abfallen für die Gegenwart, vom Brief eines US-amerikanischen Gefängnisinsassen, der eine Revolte anzettelt für bessere Haftbedingungen und mit vielen anderen von einer amoklaufenden Polizei erschossen wird.
Politisches Musiktheater anno 2011? Man könnte glatt wieder pathetisch werden. Doch Markus Höller backt in Wuppertal kleine Brötchen. Wenn am Ende einer Aufführung ein Gespräch begänne, eines mit Kritik und Einwänden, eines mit Rede und Gegenrede, wäre schon viel erreicht. Und wenn Lehrer sich überzeugen ließen, dass dieses Theater auch Schüler etwas angeht, dann wäre das nicht weniger als ein Riesenerfolg. Markus Höller schließlich ist Pädagoge. Sein Projekt »Herrschaft, Arbeit und Soziales« steht bereit auf Abruf. Zwei der drei Stücke können nach der Premiere als Paket gebucht werden. Sie passen in jede Aula.
»Herrschaft, Arbeit und Soziales. Politisches Musiktheater von Kagel, Nono, Rzewski«, ab 10. Dez. 2011 im Historischen Zentrum/Remise. Tel.: 0202/569-4444. www.wuppertaler-buehnen.de