So kann es einem Künstler ergehen, vor allem, wenn ihn die Umstände in einen Don Quijote der Kultur- und Kreativwirtschaft verwandeln, der zwar nicht gegen Windmühlen, dafür aber gegen eine ebenso wenig greifbare Bürokratie anrennt. Eigentlich wollte der Filmemacher namens Adolf Winkelmann nur seiner Heimatstadt ein Kunstgeschenk machen. Doch je größer sein Traum von den »Fliegenden Bildern« in den seltsamen Fenstern der Dachkrone des Dortmunder U geworden ist, desto unüberwindlicher wurden auch die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hat. Jeder Schritt auf dem Weg hat ihn nur weiter weg von seinem Ziel geführt, dabei sucht er doch nur nach der Wahrheit – über die Stadt, den U-Turm und den bizarren Goldschatz, der einmal darunter lagerte.
Nun sitzt dieser Winkelmann da, tief in sich zusammengesunken in seinem viel zu hohen weißen Regiestuhl, an seiner Seite sein Kollege und Freund Jost Krüger. In diesem Moment hat der allerdings eher etwas Mephistophelisches. Wie sich der Schauspieler Uwe Rohbeck von hinten seinem gebrochen wirkenden Ensemble-Partner Axel Holst nähert und sich an ihn schmiegt, um ihm dann einen Ausweg ins Ohr zu säuseln, könnte Auftakt zu einer großen »Faust«-Parodie sein. Natürlich schlägt der Autor dem Filmemacher nicht irgendeine Geschichte als Ersatz für die sich ihm entziehende Wahrheit vor, sondern die von einer hübschen Frau, die vom Teufel verführt und geschwängert wird. Aber selbst dafür erntet er nichts als einen angewiderten Blick des Freundes. Der faustische Handel fällt aus, der Künstler, der auszog, das U zu erobern, bleibt vorerst allein im Stuhl zurück.
Der Kontrast zwischen dem »Winkelmann« des Schauspielers Holst auf der Bühne des Dortmunder Schauspiels und seinem Erfinder, dem Filmregisseur, Fotografen, Produzenten, Dozenten und nun auch Theatermacher Adolf Winkelmann, könnte kaum größer sein. Es ist eine der ersten Bühnenproben, und er hält es kaum auf seinem Platz am Regietisch aus. Es ist, als ob die Arbeit an der Adaption seines auf eigenen Erfahrungen basierenden Romans »Winkelmanns Reise ins U« den 1946 im westfälischen Hallenberg geborenen, in Dortmund aufgewachsenen Künstler verjüngt hätte.
Winkelmann ist oft unterwegs im Zuschauerraum. Mal zieht es ihn in die erste Reihe, wo er nah dran ist am Ensemble; dann sitzt er schon wieder bei der Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert und bei Rudi Heinen, dem Spezialisten für die Videoprojektionen, die zum Einsatz kommen. Anders als sein fiktives Alter Ego hat er mit dem Roman, den er gemeinsam mit Jost Krüger schrieb, das Labyrinth von Wahrheit und Fiktion durchdrungen: ein »erfundener Tatsachenbericht«. Ein Grenzgang hin zum Ziel.
Das Dortmunder U, monolithisches Kunst- und Kreativzentrum, das nicht aus den Schlagzeilen kommt und aufgrund stetig wachsender Kosten im Kreuzfeuer steht, hat für Winkelmann vieles verändert. Bevor er 2007 auf die Frage »Fällt Dir was zum U-Turm ein?« spontan mit Ja antwortete, war er vor allem der Regisseur der Ruhrgebietstetralogie. Mit den zwischen 1978 und 1992 entstandenen Produktionen »Die Abfahrer«, »Jede Menge Kohle«, »Super« und »Nordkurve« hat er dem Revier Ausdruck gegeben. Dabei gilt auch für dieses Quartett, was er über »Winkelmanns Reise ins U« sagt: »Ich muss erfinden. Dadurch kann ich der Wahrheit auf die Spur kommen.« Mit seinen zugespitzten Porträts ewiger Verlierer, die sich trotzdem nicht unterkriegen lassen und zur Not auch mal zur Kettensäge greifen, hat er die Menschen hier zur Kenntlichkeit verzerrt.
Zudem machte sich Winkelmann, der in den sechziger Jahren als Avantgarde- und Experimentalfilmer begann und bald zum Fernsehen wechselte, seit den späten Achtzigern einen Namen mit aufwendig produzierten Fernsehfilmen, in denen klassische Genreelemente auf genaue Beobachtungen sozialer und politischer Zustände treffen. Wiederum: Wirklichkeit und Fiktion. Und eine neue eigene Wahrheit, die im Fall des 2006 gedrehten, erst Ende 2007 ausgestrahlten Zweiteilers »Contergan« einen langwierigen Rechtsstreit provozierte. Das Pharmaunternehmen, das das Schlafmittel vertrieben hatte, das die Schädigungen verursachte, unternahm zwar den Versuch, die Ausstrahlung des Films zu verhindern, scheiterte aber letztlich.
Auch die Erinnerungen an das Projekt »Contergan« stehen mittlerweile im Schatten des U-Turms. Wenn über das neue Wahrzeichen Dortmunds gesprochen wird, fällt immer Winkelmanns Name. Mit seiner drei Stationen umfassenden Filminstallation, zu der neben der »Bilderuhr«, den weithin sichtbaren »Fliegenden Bildern«, die Ruhrpanoramen im Foyer und »Neun Fenster« in der Kunstvertikale gehören, prägt er die Wahrnehmung auf das Gebäude. Die Lichtspiele haben das U tatsächlich in eine Art »Leuchtturm« verwandelt, dessen das Ruhrgebiet so sehr zu bedürfen glaubt.
Wenn er über das U-Projekt und seinen Anteil daran spricht, was im Verlauf der Arbeit an »Winkelmanns Reise« häufig geschieht, sind Stolz und Enttäuschung kaum zu trennen. Die Wirkung der »Fliegenden Bilder« als »Visitenkarte« der Kunst sei doch zu einer »Visitenkarte für die Stadt« geworden, mit der er hart richtet: »Das wirkliche Problem ist, dass die Politik, wenn sie über Kultur nachdenkt, immer sofort an Beton denkt. Statt Menschen und Phantasiearbeit zu fördern, werden Häuser gebaut und um sie herum eine Bürokratie geschaffen.« Dass danach kein Geld mehr für die Kunst da sei, nennt er ein »Trauerspiel«. Seine Reaktion darauf sind Roman und Theaterstück, in die Krimi- und Science-Fiction-Motive untergemischt sind nebst Volten gegen den kommunalen Größenwahn. Dass der Stoff auch märchenhafte Züge annimmt, mag dem, wie Winkelmann sagt, »Zauber des Theaters« gedankt sein.
»Winkelmanns Reise ins U«; Vorstellungen: 4., 16., 31. Dez. 2011 und 8., 19. und 25. Jan. 2012; ; www.theaterdo.de