TEXT: ANDREAS WILINK
Vielleicht geht es Pedro Almodóvar seit jeher darum, das Dritte Geschlecht zu erfinden und festgelegte Grenzen zu überschreiten. Nicht oft endet die Gender-Phantasie gut für die Beteiligten – der Infektionsherd Liebe fordert Tote. Aber manchmal schien doch eine Art Glück jenseits der Konvention möglich – und eine Person schafft es raus aus ihrer Haut. Die »Konvergenz der Geschlechter« aber, deren Ziel Synthese und Harmonisierung sein sollte, wird im neuen Film des Spaniers brutal erzwungen.
Ein luxuriöses Landhaus in Toledo. Hier operiert als fortgeschrittener Frankenstein der Arzt Roberto Ledgard (Antonio Banderas). Der Tod seiner Frau Gal, die durch den Sohn der Haushälterin und Ersatzmutter Robertos (Marisa Paredes) einen furchtbaren Brandunfall erlitt und sich danach selbst zu Tode brachte, hat ihn traumatisiert. Und hat ihn die plastische Chirurgie perfektionieren lassen. Bioethik gilt ihm seither nichts mehr. Roberto wendet die Transgenese bis zum Äußersten an. Von Kopf bis Fuß verpflanzt er künstliche Haut, ja, fabriziert aus einem Menschen ein gänzlich neues Individuum. Inklusive Geschlechtsumwandlung. Sein maßgeschneidertes Geschöpf heißt Vera (Elena Anaya), die er in einem Zimmer der Villa eingesperrt hält und durch die Videokamera beobachtet, wenn sie wie ein klassischer Akt auf dem Diwan lagert. Roberto, der auch als Bonsai-Gärtner manipuliert, hat Vera Gesicht und Statur seiner gestorbenen Frau gegeben. Das schöne Kunstwerk wurde quasi seiner Seele beraubt, ist nicht mehr das Ich, das sie einst war. Um sich ihrer Identität zu vergewissern, konstruiert Vera in ihrer Isolation nach dem Vorbild der Louise Bourgeois Objekte und kritzelt über und über ihre Zellenwände voll. Gibt es für sie ein Begehren, richtet es sich gar auf ihren Demiurgen? Oder sinnt Vera nur auf Freiheit?
Dem sonst absolut stilsicheren, formbewussten Almodóvar fehlen hier die dramaturgische Durchtriebenheit und elegante Sinnlichkeit, so dass die Handlung, ihre Motivation und Durchführung unaufgeräumt und vielfach unbeholfen wirkt. Eine Rückblende erzählt von Robertos und Gals Tochter Norma, die nach einer halben Vergewaltigung durch den mit Partydrogen vollgedröhnten hübschen Vicente (Jan Cornet) schließlich Suizid begeht. Der Vater wird Vicente kidnappen und ihn einem fürchterlichen Experiment unterziehen – Robertos Rache. Das Feuer negativer Leidenschaft, dem nahezu alle Figuren zum Opfer fallen, lässt nur Asche zurück. Einen schwärzeren, monströseren, lebensfeindlicheren Film hat der Lustmensch Almodóvar nie gedreht.
»Die Haut, in der ich wohne«, Regie: Pedro Almodóvar; Darsteller: Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes, Jan Cornet; Spanien 2011; 120 Min.; Start: 20. Okt. 2011.