TEXT: INGO JUKNAT
Wäre die Popwelt eine Stadt, dann wäre das New Fall Festival wahrscheinlich das erste gentrifizierte Viertel. Mit neuer Klientel, hübscheren Häusern, weniger Dreck und Lärm. Das neue Festival in Düsseldorf will Pop aus der Mehrzweckhalle befreien. Sämtliche Konzerte sind bestuhlt und finden in klassischen Orchestersälen statt – in der Tonhalle und im Robert-Schumann-Saal. Ähnlich wie die Gentrifizierung von Städten, gefällt auch diese Veränderung nicht allen. »Wenn ich mich beim Konzert setze, dann nur, wenn sich das im Kontext ergibt«, protestiert eine Nutzerin namens Sally Cinnamon bei Facebook. Elitär findet sie das Konzept des New Fall Festivals. Die Beweislast ist ja auch erdrückend: Düsseldorf! Tonhalle! Bestuhlung! Smells like Schickimicki. Auf der New-Fall-Homepage ist zu lesen, die Veranstaltung richte sich an eine neue Zielgruppe, die mit traditionellen Rockshow-Ritualen nichts anfangen könne. »Ich mag Rockshow-Rituale«, kontert eine andere Nutzerin bei Facebook.
Kommentare wie diese basieren auf einem Missverständnis. Niemand hat vor, die traditionelle Rockshow abzuschaffen. Auch Hamed Shahi nicht. Seine Agentur SSC organisiert 900 Konzerte im Jahr – alles vom Rave bis zum Folkkonzert. Die meisten Shows werden auch in Zukunft in »normalen« Clubs stattfinden. Das New Fall Festival will lediglich solchen Künstlern einen würdevollen Rahmen bieten, deren Musik im Konzertsaal besser funktioniert als in der Mehrzweckhalle. Eine sinnvolle Idee, die mit »Verspießerung« von Pop nichts zu tun hat – die vielmehr anerkennt, dass Punk- und Folkbands nicht zwangsläufig auf derselben Bühne stehen müssen.
Mit Popmusik in der Tonhalle hat SSC eine gewisse Erfahrung. Seit einigen Jahren richtet die Agentur hier die »Tonfrequenz« aus, eine Clubveranstaltung mit DJ-Sets. Einfach war es nicht, die Stadt Düsseldorf vom Konzept der Veranstaltung zu überzeugen. SSC musste sich verpflichten, bei der Tonfrequenz wenigstens eine Band mit »handgemachtem« Sound spielen zu lassen. Shahi mag die Unterscheidung eigentlich nicht. Turntables seien auch ein Instrument, argumentiert er. Am Ende einigten sich dennoch alle. Inzwischen ist die Tonfrequenz fester Bestandteil des Tonhallen-Programms und verjüngt das Publikum des Hauses erheblich. Eine Win-Win-Situation, wie man in der Wirtschaftssprache sagen würde.
In gewisser Hinsicht ist das New Fall Festival eine Evolution des Tonfrequenz-Konzepts. Mit ein paar Unterschieden. Die DJs wurden gestrichen, mit dem Robert-Schumann-Saal gibt es eine zweite Bühne, und sämtliche Shows sind bestuhlt. Eine Woche dauert das Festival, 15 Acts hat Shahi nach Düsseldorf eingeladen. Es ist eine Mischung aus internationalen Stars und Geheimtipps. Ein Schwerpunkt des Programms liegt auf Skandinavien. Da wäre, zum Beispiel, Jens Lekman, der eine Art orchestralen Singer/Songwriter-Pop spielt. Beim New Fall Festival stellt er seine neue Platte »An Argument with Myself« vor. Es ist die erste Veröffentlichung seit vier Jahren – und das erste Mal, dass die neuen Songs in Deutschland zu hören sind. Aus Island reist Ólafur Arnalds an. Er ist ein gutes Beispiel für das Konzept, bei diesem Festival Künstler spielen zu lassen, deren Musik in der Schnittmenge von E- und U-Musik liegt. Gerade mal 25 Jahre alt, hat Arnalds bereits mit dem isländischen Nationalorchester gespielt. Sein Kammerpop bildete u.a. den Soundtrack für Clips der BBC und Unicef.
Ein weiterer Gast aus Skandinavien ist José Gonzalez. Vor ein paar Jahren hat er bereits in der Tonhalle gespielt, diesmal hat der Schwede seine Band Junip mitgebracht und tritt im Robert-Schumann-Saal auf. Fans seiner Soloalben können bedenkenlos Tickets kaufen. Auch der Sound von Junip lebt von Gonzalez’ Stimme, die ein bisschen klingt, als hätten Simon & Garfunkel zu einer Reunion zusammengefunden.
Nicht ganz so selten in Deutschland, aber sehenswert: die Band Nouvelle Vague aus Frankreich. Sie covert New-Wave-Klassiker von Bands wie Joy Division, Echo & the Bunnymen oder The Cure und verwandelt sie in entspannte Bossa-Nova-Versionen. Die düstere Stimmung der Originale verwandelt sich dabei ins Gegenteil – wenn man nicht gerade bei den Texten hinhört.
Auch aus Deutschland kommt Prominenz an den Rhein. Da wäre, zum Beispiel, Oberpolarisierer Jochen Distelmeyer, seines Zeichens Ex-Sänger von Blumfeld. Fans der Hamburger Diskurspopper müssen sich nicht groß umstellen. Solo setzt Distelmeyer den Blumfeldkurs mit geringfügig anderen Mitteln fort. Auf Titel wie »Apfelmann« und Saxofon-Einlagen muss man diesmal verzichten, dafür gibt es Songtitel wie »Murmel« und »Lass uns Liebe sein.« Ob Distelmeyer das alles ernst meint, bleibt wie immer unklar. Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Den kürzesten Anfahrtsweg hat Tilmann Otto aus Köln, besser bekannt als Gentleman. Deutschlands erfolgreichster Reggae-Musiker hat sich für das New Fall Festival ein eigenes Programm ausgedacht. In der Tonhalle spielt er ein exklusives Akustikset.
Anders als man denken würde, beschränkt sich das New Fall Festival nicht auf Bands mit klassischer Instrumentierung. Mit Cloud Boat, James Yuill und den Techno-Veteranen von Plaid treten im Robert-Schumann-Saal drei Acts aus dem Bereich der elektronischen Musik auf.
New Fall Festival, 11.–16. Oktober 2011, Düsseldorf, Tonhalle und Robert-Schumann-Saal. www.new-fall-festival.de