INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Isabel Pfeiffer-Poensgen ist seit dem vergangenen Jahr Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder in Berlin. In dieser Funktion leitete sie die Expertenjury zur Kulturhauptstadtbewerbung, die Anfang des Jahres Essen und Görlitz als deutsche Kandidaten auswählte. Die 1954 in Aachen geborene, parteilose Juristin und Historikerin war u.a. Kanzlerin der Hochschule für Musik Köln, Mitglied im Kulturausschuss des Deutschen Städtetages sowie von 1999 bis 2004 Beigeordnete für Kultur und Soziales der Stadt Aachen.
K.WEST: Wende in NRW: Nach 40 Jahren verliert die SPD die Regierungsverantwortung. Muss es nun auch eine Wende in der NRW-Kulturpolitik geben?
PFEIFFER-POENSGEN: Kultur ist ein politischer Sonderfall: Ob in der Kommune, im Land oder Bund: Kulturpolitik funktioniert stark parteiübergreifend und muss dies auch, weil in jeder Fraktion, in jedem Parlament, es immer nur einige gibt, die für Kultur einstehen. Deswegen würde ich nicht von Wende reden wollen, sondern von einer guten Fort- und Weiterentwicklung, die nötig ist.
K.WEST: Was also sollte fortentwickelt und was geändert werden in NRW?
PFEIFFER-POENSGEN: Da weiterhin die Städte Hauptträger der kulturellen Aktivitäten sind, sollte man ihnen in diesen sehr schwierigen Zeiten kontinuierlicher unter die Arme greifen, damit sie die kulturelle Infrastruktur halten können. Man muss den Kommunen vor allen Dingen Planungssicherheit geben: Kontinuität in der Grundfinanzierung über mehrere Jahre – das wäre sehr wünschenswert.
K.WEST: Bedarf es dazu einer Neugestaltung des Geflechts der Beziehungen zwischen Land und Kommunen?
PFEIFFER-POENSGEN: Auch aus Landessicht ist es doch wichtig, an einer, so will ich das mal nennen, flächendeckenden kulturellen Versorgung mitzuwirken. Da ist es gut, das sage ich aus der Sicht einer ehemaligen Kulturdezernentin, wenn Land und Kommunen gewisse Einrichtungen gemeinsam finanzieren, weil dann eine Art gegenseitiger Verpflichtung entsteht – mehr, als wenn nur eine Seite Träger ist und dann deren Kosten über Mittelzuweisungen ausgeglichen werden. Sonst ist nämlich eine finanzschwache Kommune eher versucht, ihr Theater beispielsweise zu schließen, um das Geld für etwas anderes auszugeben.
K.WEST: Ein Beispiel für ein solches Geflecht ist die Schauspiel-GmbH Düsseldorf, die dem Land und der Stadt gehört. Sollte Ihrer Meinung nach das Land mehr derartiger enger Partnerschaften eingehen?
PFEIFFER-POENSGEN: Bei den Landestheatern funktioniert dies auch so, bei bestimmten Orchestern ebenfalls, aber es ist nicht sehr in der Tradition des Landes verankert. Und liegt momentan wohl auch nicht im Bereich des Möglichen, weil das Land in seiner schwierigen Finanzlage kaum neue Lasten übernehmen kann. Die Beispiele zeigen jedoch, dass dies letzten Endes beiden Seiten zugute käme.
K.WEST: Im Kernbereich Nordrhein-Westfalens existiert sehr viel an kultureller Infrastruktur nebeneinander, oft nebeneinander her. Wären da nicht Konzentration und Bündelung mit dem Ziel der Qualitätssteigerung gefragt?
PFEIFFER-POENSGEN: Bei der Juryarbeit zur Bewerbung für die Kulturhauptstadt war bereits erkennbar, wie diese Bewerbung im Falle von Essen/Ruhrgebiet zu einer größeren Koordinierung geführt hat. Denn es war und ist auch mir als Nicht-Ruhrgebietlerin klar, dass dort manches nebeneinander läuft, was koordiniert besser liefe, damit man sich nicht gegenseitig Publikum und Geld abgräbt. Also könnte ich mir vorstellen, dass ein engagierter Moderator in der Landesregierung hier hilfreich einwirken kann. Da läge eine Riesenchance, damit das Ruhrgebiet sich mehr aus einem Guss und übrigens auch handhabbarer für Besucher präsentierte.
K.WEST: Kulturpolitik ist selten Streitpunkt zwischen den Parteien, sie wird in der Regel pragmatisch und jenseits der Ideologien betrieben. Der neue Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat allerdings jüngst ein Papier vorgelegt, das von der Kulturpolitik fordert, sie solle sich wieder inhaltlich einmischen, die Sinnfrage stellen, normative Ansprüche wagen. Was ist Ihrer Meinung nach die bessere dieser beiden Formen von Kulturpolitik?
PFEIFFER-POENSGEN: Ich glaube, das eine schließt das andere nicht aus. Wenn man wie ich sechs Jahre in einer Kommune gearbeitet hat, weiß man, dass es eigentlich keinen gesellschaftlichen Konsens mehr dafür gibt, all die Kultureinrichtungen, die wir gemeinhin haben, also Theater, Konzertleben, Museen, nicht nur in den Haupt-, sondern auch kleineren Städten vorzuhalten. Das ist eine relativ harte Analyse, ich bin jedoch überzeugt davon. Denn gesellschaftliche Strukturen haben sich sehr verändert; auf der anderen Seite haben manche Kultureinrichtungen, vielleicht schon seit 20 Jahren, den Kontakt zu großen Teilen der Bevölkerung verloren. Dazu kommt, dass in Schule und Familie das Interesse an Kultur nicht mehr gleichmäßig geweckt und gepflegt wird. Wenn sie in einem Stadtrat erleben, dass immer nur drei, vier Leute von der Notwendigkeit etwa eines kunsthistorischen Museums, eines städtischen Archivs oder einer Bühne wirklich überzeugt sind, dann ist es Zeit, die Diskussion darüber anzufangen, warum wir das alles eben doch brauchen. Ich glaube, diese Fragen werden von uns Kulturmenschen viel zu wenig gestellt oder beantwortet, denn wir sind ja ohnehin die Überzeugten, die Wachgeküssten. Sie müssen aber auch die anderen 75 oder 90 Prozent überzeugen. Insofern ist der Ansatz richtig, sich einzumischen in die jetzt wieder aufflammende Wertedebatte. Übrigens nicht zuletzt, damit wir auch der nächsten Generation, denen die heute zwanzig sind, vermitteln, warum wir das alles betreiben: die Pflege der Gegenwartskünste, aber auch des kulturellen Erbes.
K.WEST: Hätten Sie nicht Angst, dass am Ende einer solchen Debatte herauskommt, wir brauchen die ganze Kunst gar nicht mehr?
PFEIFFER-POENSGEN: Nein. Deswegen nicht, weil ich absolut von ihr überzeugt bin. Weil ich weiß, was man alles durch sie erfährt an Bereicherung und Erfüllung. Man muss hier sozusagen missionarisch tätig werden, muss viel stärker wieder vermitteln, warum dies für eine städtische Gesellschaft von Bedeutung ist. Insofern muss man das Pragmatische tun, aber auch das Grundsätzliche wieder viel stärker erklären. Das Grundproblem ist der Riss des Gesprächsfadens: dass also Kunst und Kultur für die mittlere, auch schon für meine Generation, in der Konkurrenz der Angebote nicht mehr so relevant sind für die Lebensgestaltung.
K.WEST: Hat also Herr Rüttgers recht, wenn er in seinem Papier konstatiert, das alles sei die Folge der Postmoderne, weil sie alles gleichwertig nebeneinander reihe und keine Prioritäten mehr setze?
PFEIFFER-POENSGEN: Ja, ich finde, dies ist eine ziemlich klare Analyse. Wobei diejenigen, die sich beruflich oder sonst überdurchschnittlich im Kulturbereich engagieren, sicher aufstöhnen. Aber die haben eben die anderen nicht im Blick, die auch Teil der städtischen Gesellschaft sind. Insofern war es eine harte, aber gute Erfahrung für mich, in der Kommune als Kultur-, aber zugleich auch als Sozialdezernentin zu arbeiten. Über den ganzen Sozialbereich ist in Aachen nie gestritten worden, obwohl er ja viel mehr Geld kostet und es auch dort gravierende Probleme gibt, während jede Veränderung im Kulturbereich jedes Mal eine Debatte hervorrief. Das ist in vielen Städten so und bedeutet eben, dass das gesellschaftliche Einverständnis nicht mehr vorhanden ist. Dass man daher mehr Überzeugungsarbeit leisten muss für den Kulturbereich als einen identitätsstiftenden Teil im Gefüge der Stadt. Nicht nur als Standortfaktor.
K.WEST: Standortfaktor ist das alte SPD-Argument!
PFEIFFER-POENSGEN: Ein allgemeines Politikerargument, das sich sehr stark verselbständigt hat. Während der Rundfahrt durch die zehn Städte, die sich als Kulturhauptstadt beworben hatten, war allerdings in den vielen Gesprächen und Diskussionen so ernsthaft wie lange nicht von Kultur als existenzieller Grundlage einer zukünftigen Stadtentwicklung die Rede; und gar nicht mehr so sehr von Tourismus und Standortfaktor. Das hat mich begeistert.
K.WEST: Wäre die Kulturpolitik nicht auch gehalten, in Zeiten knapper Kassen die Qualitätsfrage zu stellen, das heißt zu werten, gegebenenfalls zu verwerfen?
PFEIFFER-POENSGEN: Das ist eine heikle Sache, ich frage mich, ob dies einer Landespolitik zustünde. Andererseits bin ich nicht grundsätzlich gegen eine Qualitätsdebatte. Es muss Mechanismen geben, um eine solche zu führen. Denn Tatsache ist, dass eine Stadt aus bestimmten Fördermaßnahmen, die sie einmal begonnen hat, meist nie wieder herauskommt und damit neue Projekte nicht unterstützt werden können. Man muss in schwierigen Zeiten auch über ganz grundsätzliche Fragen nachdenken, ob etwa alles einfach immer so weiter geht oder ob man zugesteht, dass sich das eine besser als das andere entwickelt und daraus dann Konsequenzen zieht. Das ist sicher für einen zukünftigen Minister eine äußerst unangenehme Situation, aber diese Frage stellt man sich ja in anderen Ressorts auch. Davon kann man die Kultur nicht generell ausnehmen. Nur muss eine Entscheidung dann fachlich begründet sein: Die Politik müsste den Rahmen der Qualitätsfindung organisieren, kann sie aber nicht selbst leisten.
K.WEST: Sie kann sich unabhängiger Gremien bedienen.
PFEIFFER-POENSGEN: So ist es. Die Jury zur Kulturhauptstadtbewerbung hat auch so funktioniert. Unsere Aufgabe war es, alles fachlich zu begründen, so dass es von der Politik akzeptiert wurde. Das war eine Qualitätsentscheidung.
K.WEST: Die CDU tut sich oft weniger schwer mit der Kunst als sich die Künstler und Intellektuellen mit der CDU tun. Wie kann sich das ändern?
PFEIFFER-POENSGEN: Vielleicht weil die Grünen oder in Maßen auch die SPD nach außen hin ein etwas unkonventionelleres Lebensgefühl vermitteln. Was man prima vista bei der CDU nicht vermutet. Aber solche Dinge werden stark emotional entschieden. Ich kenne in den Ländern sehr markante Vertreter der Kulturpolitik und weiß eben, dass die von Ihnen genannte Berührungsangst sehr oberflächlich ist. Ich habe mehrere Leute aus der CDU vor Augen, die unglaublich offen und profiliert für die Kunst kämpfen. Man muss als Kulturpolitiker einfach gute Arbeit machen, was bedeutet, Rahmen zu setzen, innerhalb derer sich gute kulturelle Projekte entwickeln können. Wenn eine offene Kulturpolitik gemacht wird, löst sich die Zuordnung zu einer Partei sozusagen auf. Denn dass Kultur von einer ideologieabhängigen Diskussion bestimmt wurde, das ist lange vorbei.