TEXT: ULRICH DEUTER, ANDREAS WILINK
Nun also mit der CDU! Ab sofort in Nordrhein-Westfalen, demnächst im Bund. Was kommt jetzt zu auf Kultur und Kulturpolitik – eine konservative Wende? Einerseits: Die CDU ist ebenso gesellschaftspolitisch in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts angekommen wie ihre große Konkurrenzpartei. Mögen die Künste den Herrschenden manchmal ein Ärgernis sein, sie sind nicht nur grundgesetzlich frei, sie sind auch beispiellos in, es gehört sich einfach nicht, ihnen hineinzureden.
Andererseits: Das jüngste Grundsatzpapier »KulturMachtNRW«, das führende Kulturpolitiker der Landes- und Bundes-CDU verfasst haben und der neue Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sich ausdrücklich zu eigen gemacht hat, trägt streckenweise regelrechten Bekenntnischarakter, beschwört die »abendländische Kultur«, plädiert für »Orientierungswissen« und attackiert das »anything goes« der Postmoderne.
Die CDU in NRW, soviel lässt sich erkennen, will Kulturpolitik in Zukunft als »wertende Anteilnahme« verstehen. Als staatliches Zensurverhalten? Das zu befürchten, wäre wohl paranoid; wie eine kulturelle Wertedebatte aussehen und warum sie in Zukunft wichtig sein könnte, darauf findet die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder im Interview auf den folgenden Seiten eine kluge Antwort. Dennoch: Wenn im Koalitionsvertrag zwischen der CDU und ihrer Mitregentin FDP die »Evaluation geförderter Einrichtungen« beschlossen wird, dann gilt es, in Zukunft genau hinzuschauen, ob dieser neue Finanzhebel rein organisatorisch im Sinne der Professionalisierung bzw. Vertragstreue oder eben doch – möglicherweise verdeckt – ideologisch angesetzt wird. Ob die Politik also hält, was sie (im Rüttgers-Papier) verspricht: sich nicht zu Kunstrichtern machen zu wollen.
Der Koalitionsvertrag widmet der Kultur zwei von 64 Seiten – das ist wenig, doch es kommt darauf an, was auf ihnen steht. Zunächst: Die »Kulturförderung« (nota bene, also nicht der gesamte Kulturetat!) von derzeit 70 Millionen Euro soll bis 2010 verdoppelt werden. Da dies eine Erhöhung von 0,27 auf 0,54 Prozent des NRW-Gesamthaushaltes darstellt, mag man sich freuen, muss dies aber nicht übermäßig. Darüber hinaus verstecken sich im Vertrag Absätze, die eine ungleich größere Wirkung haben könnten als das Versprechen der Taschengelderhöhung für Kultur. Nämlich etwa die Absicht, Theater, Museen, Archive von Landesseite in ihrer Bausubstanz zu sichern. Das klingt selbstverständlich, die Politik des bisherigen Kulturministers Vesper war jedoch, die Städte – allen voran Köln – mit diesen Gebäudeproblemen allein zu lassen – sozusagen als »Strafe« für jahrzehntelange Versäumnisse. Hier jetzt versöhnlicher zu agieren, bedeutet zum einen gewachsene Verantwortungsbereitschaft der Regierung; zum andern aber auch eine »Belohnung« für Fehlverhalten und eine Zurücksetzung derjenigen Kommunen, die trotz leerer Kassen ihre Häuser gepflegt haben. Das wird Streit geben oder Kompensationen nötig machen.
Eine Abkehr von bisheriger, langjähriger Praxis könnte auch das harmlos klingende Versprechen beinhalten, »mehr als bisher mit den Städten (zu) kooperieren, um Kulturinstitute und -ereignisse von internationalem Rang … möglich zu machen«. Denn damit ist, wenn man Kreisen um den Regierungschef Glauben schenkt, gemeint, mit den Kommunen gemeinschaftliche Institute zu gründen – was höchst sinnvoll, aber auch eine völlige Abkehr von bisheriger Praxis und damit ein Ende der vornehmen Zurückhaltung des Landes NRW in Sachen Trägerschaft von Kulturinstituten bedeuten würde. Orte für diese neue Art der Kooperation, so hört man, sollten die beiden Kultursekretariate sein – die damit vermutlich aufgewertet würden. Eine positive Aussicht für unser dichtgeknüpftes Städte-Land.
Ein anderer Passus im Koalitionsvertrag weckt weniger Freude: der zur Filmpolitik, die sich eindeutig zur direktoral, machtbewusst und zentralistisch schaltenden und waltenden Filmstiftung NRW bekennt. Hier scheint die FDP sich durchgesetzt zu haben – oder aber Rüttgers hat eine Kehrtwende gemacht. Denn sein Anliegen, die ökonomische Potenz in der Filmpolitik und filmkulturelle Interessen wiederum deutlicher zu trennen, ging als Gedankenspiel sogar so weit, womöglich die Fusion von Filmstiftung und Filmbüro wieder rückgängig zu machen. Nun wird die Idee vertreten, neben der von der Filmstiftung etablierten »Internationalen Filmschule« in Köln auch noch eine Filmhochschule neben der Hochschule für Medien anzustreben, wohlgemerkt unter der Regie der Filmstiftung NRW.
Nicht nur aus dem Arsenal der FDP stammt der erklärte Koalitionswille zur Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement, Mäzenatentum und Public Private Partnership-Modellen (PPP) sowie zu Neuregelungen im Stiftungs- und Steuerrecht für Kulturförderer. Ein deutliches Signal zu mehr Flexibilität und neuen Konstellationen, die allerdings nur dann zu begrüßen sind, wenn dabei die Spielregeln formuliert werden, bei denen die Verantwortung der öffentlichen Hand festgeschrieben und damit nicht deren Rückzug eingeleitet ist.
Im Ganzen spricht aus dem Vertrag der beiden Regierungsparteien das Anliegen, Kultur und Bildung wieder näher aneinander zu rücken – es war gewiss ein Fehler und entspricht eher sozialdemokratischem Grundverständnis, Kunst und Kultur als Form des Freizeitverhaltens anzusehen und nicht als Essential ähnlich der Beherrschung der Grundrechenarten. »Wir wollen die künstlerisch-musische Grundbildung in Schulen und Kindertagesstätten stärken«, heißt es dazu im Papier. Allerdings auch (im Kapitel Schulen), »wir wollen der Orientierung an den christlichen Grundwerten unserer Gesellschaft und unserer Verfassung wieder mehr Geltung verschaffen.« Was deshalb aufhorchen lässt, weil sich im Vertrag unter dem Stichwort Kultur zwar Anmerkungen zu unterstützenden Maßnahmen für Heimatvertriebene und Spätaussiedler finden, aber nichts zur Kultur der Migranten. Dass dies vergessen wurde, ist vor dem Hintergrund dreiwöchiger Koalitionsverhandlungen unwahrscheinlich. Ebenso wenig wie es Zufall ist, dass von den NRW-Regionen als einzige das Ruhrgebiet als besonders förderungswürdig benannt wird. Weil man sich als Land nicht noch mehr finanziell binden will?
Soviel zur Theorie; nun zur Praxis. NRW hat zwar kein eigenständiges Kulturministerium mehr (zuvor war das Ressort Teil einer gelegentlich synergetischen Konstruktion zusammen mit Städtebau, Wohnen, Sport), sondern die Kultur wird vom Chef der Staatskanzlei verwaltet, ist also direkt dem Ministerpräsidenten zugeordnet. Das heißt aber, der Amtsinhaber sitzt dem Regierungschef ständig zur Seite, hat sein Ohr. Was bei der Eigenart der Kulturpolitik, auf Allianzen jenseits der Ressortgrenzen (und jenseits der Parteigrenzen) angewiesen zu sein, von großer Bedeutung sein kann – es kommt auf den Mund an, der in dieses Ohr spricht. Es kommt auf die Persönlichkeit an – mehr als ohnehin gilt dies für die Kulturpolitik.
Eine solche Persönlichkeit ist Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff gewiss, der bisherige Düsseldorfer Stadtdirektor und Kulturdezernent – übrigens einer der Rüttgers-Berater für dessen Kulturpapier. Entscheidungsfähig und durchsetzungswillig, so kunst- wie scharfsinnig, eindeutig und damit fast schon angreifbar in seinen Vorlieben, ausgestattet mit Sinn für Repräsentanz sowie Instinkt für neue Strategien, Bündnisse und Kombinationen in der Kultur-Finanzierung und dem Erschließen von Ressourcen, auch an der Schnittstelle zu Wirtschaft, Schule und Wissenschaft, ist auch bei dem 1949 in Bonn geborenen Arzt-Sohn Grosse-Brockhoff die Zuschreibung »konservativ« höchst doppeldeutig. Auf jeden Fall: Die kulturelle (auch finanzielle) Bilanz der Landeshauptstadt kann sich – trotz nicht immer glücklicher personalpolitischer Entscheidungen – sehen lassen, etwa in den musealen Erweiterungen, der PPP mit der Firma E.ON in Sachen museum kunst palast, der Entwicklung von Schloss Benrath zum Museum für Europäische Gartenkunst, der Gründung des Forum Freies Theater und der Konzentration auf das Tanzhaus NRW, einem Netzwerk von Stipendien und Förderpreisen und dem begonnenen Dialog zwischen Schulen und Künstlern für eine museale Ausbildung. Mit der Personalentscheidung für Grosse-Brockhoff und der Positionierung seines Amtes ist nun tatsächlich auf besondere Weise das Zeichen gesetzt worden, das dem »selbstverständlichen Stellenwert in der Politik«, der laut Koalitionsvertrag der Kultur zukommt, entspricht.