»Düsseldorf hat eine der renommiertesten Kunstakademien der Welt, ABER KEINEN ORT, AN DEM …« Der Rest des Satzes geht unter, zu groß ist der Lärm. Till Görlach macht eine Pause. Erst mal den alten BMW mit dem platten Reifen vorbei lassen. Die Felge schrammt über den Asphalt, der Motor klingt nach Traktor, es riecht nach verbranntem Gummi. Willkommen am Worringer Platz, Düsseldorf, NRW.
Nirgendwo entspricht die Kö-Stadt weniger ihrem Klischee als hier. Statt Armani und Gucci dominieren Wettbüros, Kickboxhallen, Callshops und Dönerbuden das Bild. Mittendrin liegt das »Bistro Agi«. Die Fassade ist mit grünem Holz verkleidet. Im Halbdunkel der Bar sitzt ein einzelner Gast am Internet-Terminal. Hinter ihm blinken Spielautomaten, auf dem großen Flatscreen-Fernseher über der Toilette laufen die »Simpsons«.
Letzten Oktober war dies der interessante Club der Stadt.
31 Tage lang war die albanische Bar untervermietet an Studenten der Kunstakademie. Jeden Tag gab es Events: Ausstellungen, Filmabende, Kegelturniere und 24-StundenRaves. Selbst montags war der Laden voll. Das Publikum der »Oktoberbar« war ein bunter Mix aus AkademieStudenten und Neugierigen jeder Couleur, »Agi«-Stammkunden inklusive. »Wir wollten nie, dass das hier ironisch rüberkommt, von wegen, haha, die schräge Bar und ihr Worringer-Platz-Publikum«, erklärt Alexander Wissel, Erfinder der Oktoberbar.
Wissel hat bei Rosemarie Trockel studiert. Nach dem Akademie-Abschluss hat er eine Synthie-Formation mit dem schönen Namen »Lederlust« gemanagt. Sie war Kunstprojekt und »echte« Band zugleich, die Tour führte Wissel und Co. unter anderem nach Wien, Brüssel und London. Zurück in Düsseldorf hat er die Oktoberbar ins Leben gerufen. Im Hinterhof wohnten Freunde von der Kunstakademie. Sie erzählten ihm von einem Bistro, in dem fast nie jemand saß. Wissel sprach Agipet Iljazim, den Betreiber, an. Der überließ ihm und seinen Kunstakademie-Freunden für einen Monat die Bar. Viel zu verlieren gab es ja nicht.
Tatsächlich waren noch nie so viele Menschen im »Bistro Agi« wie während der 31 Tage der Oktoberbar. Nach dem Erfolg dachte Wissel nach. Könnte aus dem temporären Projekt nicht doch eine feste Institution werden? Inzwischen hat er die Starterlaubnis von Iljazim und vom Hausbesitzer. Die braucht er auch, denn diesmal stehen auch bauliche Veränderungen an. Zwei der Räume im Untergeschoss werden zusammengelegt, Wände durchbrochen, Kegelbahnen entfernt. Iljazim selbst ist diesmal nicht nur Zaungast. Während die Akademie-Studenten den größeren der zwei Räume im Untergeschoss für ihre Events zur freien Verfügung haben, ist der andere sein Revier.
Iljazims Hälfte sieht aus wie eine David-Lynch-Kulisse. Der lange, schmale Raum wird zum Ende immer niedriger. An der Decke hängen farbige Neon-Röhren, die Tische sind mit marmorierten Plastikdecken verziert. Die ehemalige Trefferanzeige der Kegelbahn hat er mit einem Brett vernagelt. Nur das oberste Lämpchen schaut noch heraus. Auf kuriose Weise erinnert es an das Auge von Bordcomputer »HAL« in Kubricks »2001 – Odyssee im Weltraum«.
Die eigentliche »Single«-Bar findet nur einmal im Monat statt, dafür dauert die Party dann 24 Stunden. Während Wissel das neue Konzept erklärt, bringt die polnische Kellnerin türkisches Bier auf die »Terrasse« an den Straßenbahngleisen. Sind die Getränke auch schon Teil des Konzepts? »Nö«, sagt Wissel, »aber dafür haben wir die hier umsonst bekommen.« Er zeigt auf die Sonnenschirme mit dem Logo der Brauerei.
Am Worringer Platz hat Wissel den Status von Lokalpro-minenz. Anderthalb Stunden dauert das Interview, währenddessen kommen immer wieder Freunde und Kommilitonen von der Kunstakademie vorbei und setzen sich dazu. Es herrscht Gesprächsbedarf. Einer der Gäste am Tisch ist Till Görlach. Er wird als Barmann hinter dem »Single«-Tresen stehen. Görlach beklagt, dass es in Düsseldorf kaum Orte gibt, an denen Akademiestudenten ihre Werke zeigen können. Erst in letzter Zeit tue sich wieder etwas, und das auch nur auf Eigeninitiative. Da wäre, zum Beispiel, das »ODG« an der Ratinger Straße. Die Räume sind noch ein bisschen provisorisch, dafür werden hier ausschließlich Arbeiten von Kunststudenten ausgestellt. Selbstverständlich ist das nicht. Während die offizielle Akademie-Galerie nur Werke ehemaliger und amtierender Professoren zeigt, sind selbst Ausstellungsräume wie K.I.T. (Kunst im Tunnel), die explizit der Nachwuchsförderung dienen sollen, für Akademie-Studenten meist off limits.
Zu den bürokratischen Hürden kommen die finanziellen. Im Gegensatz zu Städten wie Berlin hat Düsseldorf wenig Leerstand, zumindest im Zentrum. »Du kannst zwar einen günstigen Off-Raum in Reisholz bekommen, aber da fährt ja keiner hin«, sagt Görlach. Eine der wenigen Ecken, die für Künstler bezahlbar sind, ist der Worringer Platz. Daran hat auch der Sanierungsversuch der Stadt nichts geändert. Vor ein paar Jahren hat sie mehr als eine Million Euro für den Umbau des heruntergekommenen Knotenpunktes ausgegeben. Eine »grüne Insel« sollte entstehen. Das Ergebnis sind ein paar farbige Glasbausteine zwischen den Straßenbahngleisen und ein »Gewächshaus« für halbherzige Mini-Ausstellungen, die kaum jemand wahrnimmt. Und doch tut sich etwas am Worringer Platz. Das Schauspielhaus ist mit seiner Spielstätte »Central« in Blickweite gezogen, im alten »Capitol«-Kino hat ein Elektro-Club eröffnet (das »Foyer«), und selbst der in die Jahre gekommene Künstlerverein »WP8« will sich verjüngen. Hinzu kommt Wissels Projekt.
Warum heißt der Nachfolger der Oktoberbar eigentlich »Single«? »Der Name vereint mehrere Aspekte«, erklärt Wissel. »Er hat mit Musik zu tun, und er spielt darauf an, dass die meisten Veranstaltungen nur einmal im Monat stattfinden.« Pause, Grinsen. »Außerdem ist das mein Beziehungsstatus.«
Monotonie dürfte so schnell nicht aufkommen am »Single«-Tresen. Jeden Monat soll das Design der Räume wechseln. »Die Vision ist, alles zu gestalten, von der Toilettenschüssel bis zur Kellneruniform.« Anklänge an die Wiener Werkstätten will Wissel erzeugen. Der Club als Gesamtkunstwerk. Zum Konzept gehören auch die von Künstlern gestalteten Veranstaltungsplakate und die Bands. Konzerte sind zentraler Bestandteil des »Single«-Programms.
In mancher Hinsicht ist die neue Bar ein »Ratinger Hof« mit umgekehrten Vorzeichen. War die legendäre Altstadtkneipe einst Musikclub mit Kunstaffinität, so ist die neue Bar am Worringer Platz Kunst-Ort mit musikalischen Ambitionen. Was nicht heißt, dass die Bands Nebensache wären. Manche bestehen zwar bisher nur auf dem Papier, haben aber schon ein ausgefeiltes Image. Sie tragen klangvolle Namen wie »Chiqueria« und »The Fürst Pücklers« und sollen sich, musikalisch wie modisch, am jeweiligen Thema des Abends orientieren.
Nächstes Jahr soll es einen besonderen Clou geben. Statt 24 Stunden am Stück, wird die »Single«-Bar 24 Tage aufhaben, aber jeweils nur eine Stunde. »Jeden Tag bauen wir einen anderen legendären Club nach. Das ›CBGB‹ und ›Studio 54‹ in New York, die ›Hacienda‹ in Manchester und – natürlich – den alten Ratinger Hof hier in Düsseldorf«, sagt Wissel. Der Sound der Bands soll sich am Sound des jeweiligen Clubs orientieren: Punk und New Wave fürs CBGB und den Hof, Rave für die »Hacienda« usw. Zu jedem Abend soll ein zwölfseitiges Fanzine erscheinen, die Konzerte werden außerdem aufgezeichnet.
Letzteres übernimmt der Düsseldorfer Regisseur Jan Bonny. Mit gerade mal 31 Jahren war er schon in Cannes nominiert und auf einem halben Dutzend weiterer Festivals. Nebenbei arbeitet er als Werbefilmer. Nun plant er eine Dokumentation über den »Single«-Club, Konzerte inklusive. Bonny ist Abgänger der Kölner Kunsthochschule für Medien. Im letzten Jahr war er Stammgast in der Oktoberbar. Die »Single«-Doku war seine eigene Idee.
Und so gibt es, wenn alles gut läuft, nächstes Jahr ein Novum – einen Film über Kunst und Musik in Düsseldorf, der nicht in der Vergangenheit spielt. Es wird nicht um Beuys gehen, nicht um Punk und den Ratinger Hof, sondern um eine aktuelle Bar am Worringer Platz. Ausgerechnet.
»Single«, Ackerstraße 5, Düsseldorf, nächster Termin voraussichtlich 23.7., 22 Uhr, vollständiges Programm unter www.single-club.in