TEXT: INGO JUKNAT
Wer Hamed Shahi bei Konzerten begegnen will, sollte nicht unbedingt an den nahe liegenden Orten suchen – den Clubs, Mehrzweckhallen und Kulturzentren, in denen viele seiner Künstler auftreten. Oft ist er dort, wo man Popmusik nicht vermuten würde: in klassischen Konzerthallen, Theatern und manchmal auch bei Modenschauen. Es sind Orte wie diese, die seine Firma SSC für den Pop-Betrieb öffnet.
Siehe Tonhalle Düsseldorf. Dort veranstalten Shahi und sein Kollege Manuel Schottmüller alle zwei Monate ein Club-Event. Bei der »Tonfrequenz« treten internationale DJs und Bands in der Rotunde des Konzerthauses auf. Statt älteren Menschen in Abendgarderobe bevölkern dann Teens und Twens in bunten Outfits das Haus. Die Veranstaltung ist inzwischen ein fester Termin im Düsseldorfer Nightlife-Kalender. Ab und zu darf SSC sogar in den großen Symphoniesaal – für Ausnahmekünstler wie Ryuichi Sakamoto oder die Kollektionspräsentation von Modeschul-Absolventen (begleitet von SSC-DJs). In der Bruderstadt Köln hat Shahi letztes Jahr obendrein die Opern-Terrassen bespielt – eine weitere »Off-Location«, die selten für nicht-klassische Musik zur Verfügung steht. Der Auftritt der Band The Go! Team fand im Rahmen der »c/o pop« statt. Mit dem Musikmarathon verbindet Shahi eine längere Geschichte. Obwohl Düsseldorfer, gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Veranstaltung.
Shahis Verbindungen zahlen sich aus. SSC ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und beschäftigt inzwischen 14 feste und viele freie Mitarbeiter. Dieses Jahr gab es eine erste große Auszeichnung. SSC gewann einen »Live Entertainment Award« (LEA), den wichtigsten Preis der deutschen (Pop-)Konzertbranche. Es ging um die Clubtour der französischen Soul-Band Ben l’Oncle. Ausgezeichnet wurde neben der Umsetzung vor Ort auch das zielgruppengerechte Marketing. SSC hatte einem in Deutschland bis dato völlig unbekannten Act eine ausverkaufte Tour beschert. Es war nicht das erste Mal. Zum Künstlernetz der Agentur gehört auch der Amerikaner Aloe Blacc, den die SSC quasi von Null aufgebaut hat. Mittlerweile läuft sein Hit »I Need a Dollar« sogar im Autoradio.
Das Gespür für die Musikwünsche seiner Mitmenschen geht bei Shahi weit zurück. Mit 15 verkaufte er illegal Michael Jackson-Kassetten auf dem Schulhof in Teheran. Mit 19 setzte er sich in den Zug nach Deutschland und landete in Krefeld. Kaum von der Schule, organisierte er seine ersten Konzerte. Erst kleine Shows mit lokalen Bands, ab Ende der 90er auch größere – unter anderem mit den HipHop-Pionieren Grandmaster Flash und Kurtis Blow.
Seit 2006 gibt es die SSC Group. Als überregional agierende Konzertagentur ist SSC eine Seltenheit in NRW. Platzhirsche der Branche wie Marek Lieberberg oder Karsten Jahnke sitzen eher in Frankfurt bzw. Hamburg. Hinzu kommt Berlin als wichtiges Künstlerbiotop. Seit vier Jahren haben auch Shahi und Schottmüller dort eine Zweigstelle. Ein paar der wichtigsten Künstler werden von der Hauptstadt aus betreut. Die wirtschaftlichen Fäden laufen dagegen weiterhin in Düsseldorf zusammen.
Die Zentrale von SSC liegt in einem restaurierten Hinterhofgebäude im Stadtteil Flingern. Ein halbes Dutzend Mitarbeiter arbeitet hier in einem weißgetünchten Großraumbüro. Die Atmosphäre ist geschäftig, aber nicht hektisch. SSC wirkt wie ein junges Unternehmen, das sich von Start-up-Klischees befreit hat – die Poster an den Wänden sind gerahmt, die Schreibtische aufgeräumt, der Dresscode ist jung, aber nicht berufsjugendlich. Shahis Mitarbeiter sind Musikliebhaber, die wissen, dass Jobs im Pop-Business nicht nur aus Tischkicker und Jukebox bestehen.
Gut möglich, dass die Agentur derzeit in einem Zwischenstadium ist. Das Künstlernetz umfasst inzwischen mehr als 150 DJs und Bands, die Firma hat drei Filialen (Düsseldorf, Berlin und Basel) und ein wachsendes Aufgabenfeld – von Werbetouren und Musikberatung für Kunden wie Beck’s oder Levi’s bis zur Festival-Organisation.
Dass die Expansion auch Risiken birgt, ist Shahi nicht entgangen: »Manche der großen Agenturen sind inzwischen die reinsten Gemischtwarenläden. Die organisieren neben Konzerten auch Dinner-Shows oder Kickbox-Events. Ich kann das einerseits verstehen – es ist eine Chance, mehr Geld zu verdienen. Ich sehe darin aber auch eine Gefahr. Deshalb konzentriere ich mich auf bestimmte Künstler und Bereiche, weil ich den roten Faden nicht verlieren will.«
Und was ist der rote Faden von SSC? Shahi denkt nach, dann steht er von seinem Stuhl auf: »Qualität, unabhängig von der Stilrichtung. Wir vertreten Menschen wie Ryuichi Sakamoto oder Mr. Oizo. Das sind völlig unterschiedliche Künstler. Aber ich bin mir sicher, dass die beiden sich bestens verstehen würden.« Punkt zwei sei Aktualität, sagt Shahi. SSC habe die richtigen »Trüffelschweine« – Leute, die das Potenzial noch unbekannter Acts wie Ben l’Oncle oder Aloe Blacc vor anderen erkennen und sie richtig platzieren.
Mit 39 Jahren überlässt Shahi die Rolle der Trüffelschweine meist seinen jüngeren Kollegen (obwohl er Ben l’Oncle selbst auf einer Musikmesse in Frankreich entdeckt hat). Dass er nicht mehr so oft auf Konzerte gehe, habe auch mit den Rahmenbedingungen zu tun – unschönen, verrauchten Hallen, dem Stehen und Drängen. Sehr familienfreundlich sei das Ganze nicht, sagt Shahi. Man merkt ihm an, dass das keine bloße Feststellung ist. Im Kopf bastelt er schon an Alternativen.